In Bundesländern praktiziert, auf Bundesebene bislang nicht: Volksentscheide (Symbolbild)
Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrem digitalen Parteitag am Wochenende beschlossen, dass die seit Parteigründung bestehende Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden keinen Eingang mehr in ihr neues Grundsatzprogramm finden solle. Denn der entsprechende, unter anderem vom Bundesgeschäftsführer Michael Keller unterstützte Antrag erhielt lediglich 46,4 Prozent der Delegiertenstimmen. Der Parteivorsitzende Robert Habeck dagegen sieht in bundesweiten Volksabstimmungen die Gefahr einer "Stärkung des Populismus". Er sagte:
Volksentscheide werden polarisieren. Sie werden nicht den Diskurs in der Gesellschaft befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft.
Rückendeckung erhielt er unter anderem auch vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Nach Ansicht Trittins gehe es – mehr denn je – darum, "die parlamentarische Demokratie zu stärken". Trittin verwies in diesem Zusammenhang auch auf das "Bedrängen" von Bundestagsabgeordneten durch Gäste der AfD vor der Abstimmung über die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes in der vergangenen Woche.
Stattdessen wurde ein Antrag des Bundesvorstandes zur Schaffung sogenannter "Bürgerräte" mit knapper Mehrheit angenommen. Diese Bürgerräte sollen für ausgewählte Themen gebildet werden und könnten dann dem Bundestag Vorschläge zu konkreten Fragen vorlegen. Ihre Mitglieder sollen per Los ausgewählt werden. Habeck begründete den Antrag so:
Die Frage ist doch, welches Problem eine bundesweite Volksabstimmung löst. Ein Problem ist, dass viele zu wenig Gehör finden – im Parlament sitzen zum Beispiel kaum Abgeordnete mit mittlerer Reife oder im Grunde niemand mit erstem Schulabschluss. Um darauf zu antworten, gibt es aber ein besseres Modell, die Bürgerräte. Ich finde, dass diese Form der direkten Beteiligung wirklich eine Stärkung bedeutet.
Das Grundgesetz spricht in Artikel 20 Absatz 2 – lediglich ganz allgemein – davon, dass alle Staatsgewalt vom Volke durch "Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt wird. Volksentscheide auf Bundesebene gibt es zwar derzeit nicht, sie wären demnach jedoch verfassungsrechtlich durchaus möglich und denkbar. Für die Grünen war die Forderung nach der Etablierung des Mittels bundesweiter Volksentscheide bislang eine politische Kernforderung, von der sie sich nun mit ihrem jüngsten Beschluss verabschiedet haben.
Von allen im Bundestag vertretenen Parteien halten somit lediglich noch die AfD und Die Linke die Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden aufrecht. Die AfD wünscht sich für Änderungen des Grundgesetzes und wichtige völkerrechtliche Verträge sogar die Bestätigung durch ein entsprechendes bundesweites Referendum. Nach Auffassung der Linken sollten Bürger die Möglichkeit haben, per Referendum ein Veto gegen Entscheidungen des Parlaments einzulegen.
Die SPD spricht in ihrem letzten Wahlprogramm zwar allgemein vom Streben nach einer "Stärkung direkter Demokratiebeteiligung auf Bundesebene", trifft darüber hinaus jedoch keine klaren Forderungen oder Festlegungen. Die CSU fordert in ihrem "Bayernplan", in "wichtigen politischen Fragen" Volksentscheide auf Bundesebene einführen zu wollen. Gemeint sind hier vor allem besonders bedeutsame Themen der Europäischen Union. CDU und FDP insgesamt lehnen Volksentscheide auf Bundesebene bislang ab, wenngleich auch die Auffassungen innerhalb der FDP dazu stärker differieren.