Symbolbild: Ein Patriot-Flugabwehrraketensystem der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Munster (18. April 2024)
Bei dem gestrigen Treffen des NATO-Ukraine-Rates haben die Verteidigungsminister der NATO-Staaten der Ukraine baldige Unterstützung bei der Luftverteidigung zugesagt. Diese hatte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij zuvor eindringlich gefordert, der an der Krisensitzung teilnahm.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte im Anschluss an die per Videokonferenz abgehaltenen Beratungen in Brüssel, dass sich die Verteidigungsminister der Allianz darauf geeinigt hätten, "ihre militärische Unterstützung zu verstärken und weiter auszubauen, auch im Bereich der Luftverteidigung".
Zuvor hatte Stoltenberg der NATO ans Herz gelegt, der Bewaffnung der Ukraine Vorrang vor der Stärkung ihrer eigenen Verteidigungskapazitäten einzuräumen.
Konkrete Ankündigungen über die Lieferung von Flugabwehrsystemen sollen in den nächsten Tagen durch die einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen. Länder, die selbst keine verfügbaren Luftverteidigungssysteme haben, haben laut Stoltenberg zugesagt, finanzielle Unterstützung für den Kauf entsprechender Systemen zu leisten.
Deutschland hatte jüngst die Lieferung eines weiteren "Patriot"-Luftabwehrsystems zugesichert, obwohl die Bundeswehr selbst nur noch über zehn Einheiten verfügt. Auch vom Flugabwehrsystem Iris-T SLM sollen weitere geliefert werden. Das kündigte Helmut Rauch an, Chef des Rüstungsunternehmens "Diehl Defence", das die Systeme herstellt.
Rauch begleitete Wirtschaftsminister Robert Habeck auf seiner Reise nach Kiew. Gegenüber der Bild sagte er:
"Drei unserer Systeme sind schon in der Ukraine, weitere werden noch in diesem Jahr geliefert. Das nächste schon in wenigen Wochen."
Doch von den drei bereits gelieferten Iris-T-Systemen wurden mindestens zwei nachweislich von den russischen Truppen zerstört. Das erste im Dezember 2023, das zweite System fiel vergangene Woche einer russischen Rakete zum Opfer:
Kiew kann den russischen Raketen- und Drohnenangriffen immer weniger entgegensetzen, weshalb Außenministerin Annalena Baerbock gegenüber dem ZDF-heute-journal jüngst erklärte:
"Auf der ganzen Welt müssen wir die Luftverteidigung, die wir haben, zusammenkratzen."
Forderung nach einem Strategiewechsel
Das westliche Arsenal an Flugabwehrsystem mitsamt dazugehöriger Raketen leert sich zusehends, und der Konflikt im Nahen Osten verschärft die prekäre Lage weiter. Vor diesem Hintergrund fordert der deutsche Militärexperte Nico Lange einen "Strategiewechsel".
Gegenüber der ARD-"Tagesschau" verweist der "Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz" auf den iranischen Raketenangriff auf Israel vor einer Woche, bei dem laut dem öffentlich-rechtlichen Sender "99 Prozent der iranischen Drohnen, Marschflugkörper und Raketen" abgewehrt worden seien.
Unter Berufung auf diesen vermeintlichen Erfolg sagte Lange, der bis 2022 dem Leitungsstab des Bundesverteidigungsministeriums angehörte:
"Die Verteidigung Israels zeigt: Wenn die westlichen Partner wollen, können sie viel mehr tun, um die Menschen in der Ukraine vor russischen Raketen- und Drohnenangriffe zu schützen. Es ist ein kostspieliger Fehler, der auch unsere Sicherheit verschlechtert, dass die westlichen Partner das für die Ukraine bisher nicht tun. Unsere Unterstützung für die Ukraine braucht einen Strategiewechsel."
Dem "Experten" Lange ist dabei offenbar eine wichtige Tatsache entgangen: Israel musste eingestehen, dass es trotz massiver westlicher Unterstützung und trotz Vorwarnungen nicht in der Lage war, den Einschlag iranischer ballistischer Raketen auf die gut geschützten Militärflugplätze Nevatim und Ramon zu verhindern.
Dessen ungeachtet ist auch Lange bewusst, dass die von NATO-Staaten angekündigte Lieferung weiterer Flugabwehrsysteme und die dafür benötigte Ausbildung ukrainischer Soldaten noch Monate dauern wird. So wäre laut "Tagesschau" das aus Bundeswehr-Beständen gelieferte "Patriot"-Abwehrsystem frühestens Ende Juni einsatzbereit. Lange fordert daher kurzfristig unkonventionelle Lösungen:
"Die Partner sollten mit den zahlreichen 'Patriot'-Systemen an unseren Ostgrenzen ab jetzt alle russischen Raketen und Drohnen über der Ukraine abschießen, die sie in Reichweite haben."
So könnten etwa NATO-Flugabwehrsysteme im Osten Polens genutzt werden, um russische Raketen über der Westukraine abzuschießen. "Völkerrechtlich wäre das voll gedeckt", behauptet Lange, der aber kaum bestreiten kann, dass die NATO dann das wäre, was sie laut ihrem Generalsekretär niemals sein soll: direkte Kriegspartei.