Axel-Springer-Haus in Berlin: Kapitulation vor dem Meinungsterror einer Minderheit
von Martin Voigt
Hinter den Kulissen des Axel-Springer-Konzerns kracht es gewaltig, seit ein Quintett an wissenschaftlichen Autoren am Mittwoch in der Welt den Gastbeitrag „Wie ARD und ZDF Kinder sexualisieren und umerziehen“ veröffentlicht hat. Der Druck auf das Medienhaus scheint so groß zu sein, daß nun dessen Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner öffentlich zu Kreuze kriecht. Gegen 18 Uhr am Freitag veröffentlicht er „in eigener Sache“ ein Schreiben, das zuvor nahezu wortgleich an alle Mitarbeiter des Verlags versendet wurde: „Unser Haus steht für Vielfalt und Freiheit“, ist seine Bitte um Entschuldigung betitelt. Nebenbei wird auch die Überschrift von „sexualisieren und umerziehen“ in „indoktrinieren“ geändert.
Döpfner liege das Thema – gemeint ist die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – „besonders am Herzen“, doch zuerst gehe es ihm um die Sache, „und in der Sache – so finde ich – ist der Beitrag der fünf Gastautoren unterirdisch“. Die Wissenschaftler würden pauschal die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für ihre Berichterstattung über transsexuelle Identitäten bei Kindern und Jugendlichen kritisieren und ebenso pauschal implizieren, daß es nur zwei Geschlechtsidentitäten gebe.
„Wissenschaftlich ist der Text bestenfalls grob einseitig“, kritisiert der gelernte Journalist die promovierten Wissenschaftler. Diese weisen in ihrem Beitrag in der Welt auf das von ihnen verfasste Dossier „Ideologie statt Biologie im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk“ hin, das zahlreiche Belege zur Indoktrination und propagandistischen Falschdarstellung von biologischen Tatsachen dokumentiert – vor allem in Sendungen, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Der dem Dossier an die Seite gestellte öffentliche Aufruf hat zahlreiche weitere Unterzeichner aus mehreren wissenschaftlichen Fachbereichen.
Unter den federführenden Autoren ist auch Alexander Korte, leitender Oberarzt an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der seit etwa zwanzig Jahren Kinder mit transsexueller Geschlechtsdysphorie behandelt. In zahlreichen Interviews, wie etwa jüngst in der taz – „Es ist hip, trans zu sein“ – warnt Korte vor dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Koalition und davor, den Transgender-Hype unter jungen Mädchen noch weiter anzuheizen. Er beobachtet, wie viele weitere Ärzte auch, einen exponentiellen Anstieg an Transgender-Selbstdiagnosen von jungen Mädchen in den vergangenen Jahren.
Der Trans-Hype unter pubertierenden Mädchen sei eine „moderne Störung“, die an die Stelle der Magersucht trete, beobachtet Korte, der hunderte solcher Fälle als behandelnder Arzt begleitet hat. Die Botschaft der Trans-Lobby treffe auf psychisch labile Mädchen, die mit ihrer sich entwickelnden Weiblichkeit massive Probleme hätten. Der Wechsel ins andere Geschlecht werde ihnen von der Trans-Lobby als Lösung für all ihre Probleme angepriesen.
Korte sieht eine Mitverantwortung aber auch in den vielen auf Kinder und Jugendliche zugeschnittenen Formaten des ÖRR, die „ausgehend von der Falschaussage der Vielgeschlechtlichkeit“ das „trans“-Sein zum Dauerthema machen. Geschlechtsumwandlungen würden als kinderleichter Schritt geschildert, und Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone sowie die chirurgische Entfernung von Brust und Gebärmutter verharmlost. „Die psychischen und körperlich schweren und irreversiblen Folgen solcher Maßnahmen werden allerdings entweder überhaupt nicht geschildert oder bestenfalls nebenbei erwähnt“, heißt es in der Warnung vor der „ideologischen Umerziehung der Kinder“, die nun für Furore sorgt. „Die Öffentlichkeit muß die Augen aufmachen“, fordern die fünf Autoren. „Es kann nicht angehen, daß eine kleine Anzahl von Aktivisten mit ihrer ‚woken‘ Trans-Ideologie den ÖRR unterwandert, Falschdarstellungen als vermeintlichen Stand der Wissenschaft verbreitet und das Leben von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beschädigt.“
Doch die „woke“ Trans-Lobby ist die neue Hausmacht im Regenbogen-Deutschland und das bekommt der Axel-Springer-Verlag nun zu spüren. Öffentlich thematisiert Döpfner in seinem Schreiben nur so viel: „Die von der Uhlala-Group organisierte, queere Jobmesse Sticks & Stones hat in einer Erklärung das Unternehmen Axel Springer von der diesjährigen Teilnahme ausgeschlossen.“
Döpfner, der sich befleißigte, den Gastbeitrag als „oberflächlich, herablassend und ressentimentgeladen“ zu verunglimpfen, und den versammelten Biologen und Ärzten eine „reaktionäre Haltung“ zu unterstellen, ließ keinen Zweifel daran, daß er persönlich und damit auch Springer insgesamt auf der guten und toleranten Seite stünden: Für alle, die sich der „LGBTIAQ*-Community“ zugehörig fühlten, sei der Gastbeitrag „eine Verletzung und Zumutung“.
Was Döpfners Kotau vor dem queeren Zeitgeiste folgte, dürfte ein in der Geschichte des Springer-Verlages einmaliges Flehen sein: Wegen eines einzelnen Gastbeitrags externer Autoren, würden „knapp 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Unternehmens pauschal in Mithaftung genommen“, lamentiert der Vorstandsvorsitzende. Geht es wirklich bloß um die queere Jobmesse? Axel Springer habe „als eines der allerersten Unternehmen diese Messe seit 2010 unterstützt“, so Döpfner weiter. Der Ausschluß von der Jobmesse hat offenkundig eine immense Bedeutung. Die Uhlala-Group, die nicht nur die Jobmesse organisiert, sondern Unternehmen wie Microsoft, Coca Cola, Google und SAP in ihrem „LGBTIQ+ Diversity Management“ unterstützt und an besonders willfährige Firmen das Siegel PRIDE Champion Gold verleiht, ist ein Beispiel dafür, daß „trans“ und „queer“ zu einem Milliardengeschäft mit entsprechendem politischen Einfluß geworden ist.
Döpfner befürchtet nicht den Ausschluß von irgendeiner Jobmesse, sondern die volle Wucht der Cancel Culture – und das, so zählt der Verlagschef alle guten Taten auf, „obwohl in dem globalen LGBTIAQ*-Netzwerk von Axel Springer mehr als 800 Personen engagiert sind“, und obwohl das Unternehmen, wie wenig andere, „seit Jahren unterschiedliche sexuelle Identitäten und Lebensformen nicht nur akzeptiert, sondern sogar ausdrücklich fördert“. Safezones und All-Gender-Toiletten würden für diese „zutiefst freiheitliche Unternehmenskultur“ Pate stehen.
Aus Sicht Döpfners mag es an die Quadratur des Kreises grenzen, den Gastbeitrag, über den die Republik spricht, wieder einzufangen, ohne die heterogene, aber tendenziell doch eher konservativ-bürgerliche Leserschaft zu verprellen. „Unser Haus steht für Vielfalt. Also auch und gerade für Meinungsvielfalt“, bricht Döpfner daher doch noch eine Lanze für unbequeme Gastkommentare im Allgemeinen und den „Unterirdischen“ im Speziellen. Schlicht zu viele seiner Leser sind im Bilde, daß das Thema, „wie und wann man Kindern Diskussionen und Entscheidungen über fluide Geschlechtsidentitäten verweigert oder zumutet“ ein ausgesprochen wichtiges und heikles sei.
Mit dem Mut der Verzweiflung gerät eine Passage in Döpfners Schreiben, die den Geist der Unfreiheit seinem Wesen nach beschreibt: „Ausgrenzung aber behindert nicht nur Debatten, sondern auch Erkenntnis und Entwicklung. Ausgrenzung ist das exakte Gegenteil von Inklusion und Vielfalt. Mit Ausladung und Ausgrenzung fördert man nicht Toleranz und Verständnis. Sondern Intoleranz. Es ist eine fast tragische Pointe, wenn ausgerechnet der Kampf für Vielfalt und Inklusion, für Toleranz und Freiheit der Lebensformen mit den Mitteln von Ausgrenzung, Intoleranz und Unfreiheit geführt wird.“ Döpfners Einladung an den Uhlala-Geschäftsführer und Veranstalter der Sticks & Stones Jobmesse, Stuart Bruce Cameron, eine Gegenposition in der Welt zu vertreten, grenzt beinahe schon an Tollkühnheit.