Seehofer präsentiert gefälschte Statistik zur politisch Motivierten Kriminalität
von Torsten Groß
2020 wurden in Deutschland insgesamt 44.692 Straftaten verübt, die einen politischen Hintergrund hatten. Das sind rund 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr und so viele wie seit 2001 nicht mehr. »Die politisch motivierte Kriminalität nimmt deutlich zu«, konstatierte Horst Seehofer auf seiner gestrigen Pressekonferenz und nannte den sich verfestigenden Aufwärtstrend der vergangenen Jahre »beunruhigend«. Besonders schlimm sei die Zunahme der Gewaltdelikte um rund 19 Prozent, denen elf Menschen zum Opfer fielen. Außerdem wurden 13 Mordversuche registriert. Es gebe »klare Verrohungstendenzen in unserem Lande«, so Seehofer.
Mit 23.604 erfassten Fällen wurden 2020 mehr als die Hälfte der politisch motivierten Kriminalität dem Phänomenbereich rechts zugeordnet. 10.971 Delikte gehen auf das Konto von Linksradikalen, gefolgt von ausländischen Extremisten (1.016) und religiösen Fundamentalisten (477). In 8.624 Fällen konnte keine Tätergruppe ermittelt werden.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist für Horst Seehofer klar, dass der Rechtsextremismus weiterhin die größte Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland darstelle. Diese Aussage war auch beliebter Aufmacher der Berichterstattung in den Mainstream-Medien zur Pressekonferenz, häufig garniert mit Balkendiagrammen, die den deutlichen Überhang rechter Straftaten eindrucksvoll visualisierten. Doch die statistischen Daten bedürfen einer genaueren Analyse.
Zunächst ist festzuhalten, dass im vergangenen Jahr über 57 Prozent aller politischen Straftaten sogenannte Propagandadelikte, Beleidigungen oder Volksverhetzungen waren. Die aber werden überwiegend Tätern mit rechter Gesinnung zugerechnet. Das gilt für 89 Prozent der Propaganda- und 94 Prozent der Volksverhetzungsdelikte. Kein Wunder, können doch Rechtsverstöße dieser Art von Personen aus dem linken, ausländischen oder religiösen Spektrum kaum begangen werden, weil es an entsprechenden Tatbeständen fehlt.
Beispiel Propagandadelikte: Darunter ist die Verbreitung von Propagandamitteln bzw. die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu verstehen, wozu u. a. Hakenkreuzschmierereien rechnen. Die werden – ebenso wie vergleichbare neonazistische oder rechtsextreme Symbole – aufgrund einer zwischen Bund und Ländern 2008 vereinbarten Zählweise automatisch dem Phänomenbereich rechts zugeordnet, obwohl bis dahin 80 Prozent der Taten nicht aufgeklärt werden konnten. Allein durch die veränderte Erfassung ist die offiziell ausgewiesene Zahl politisch rechtsmotivierter Delikte in den Folgejahren deutlich gestiegen, was zu einer Verzerrung der Statistik führt.
Ganz anders stellt sich die Situation im Phänomenbereich links dar. Hier wurden 2020 gerade einmal 118 Propagandadelikte gezählt. Der Grund: Es gibt so gut wie keine linken Kennzeichen, deren Verbreitung oder Verwendung in Deutschland verboten ist. Das gilt sogar für das bekannte Emblem der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF).
Und während Innenminister Horst Seehofer Bestrebungen diverser Bundesländer lobt, die Kaiserliche Reichskriegsfahne ebenfalls auf den Index zu setzen und ein einheitliches Vorgehen in dieser Frage anstrebt, ist das Verbot der Antifa-Flagge, die nicht nur eine gegenwartsbezogene, verfassungsfeindliche Symbolik aufweist, sondern auch als Erkennungszeichen linksextremer, gewaltorientierter Gruppen gilt, für den CSU-Politiker kein Thema. Wäre das anders, würde die Zahl linker Propagandadelikte wohl deutlich höher ausfallen und so das statistische Ungleichgewicht relativiert. Genau das ist offenbar nicht gewünscht. Schließlich soll das Narrativ, der Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für die freiheitliche Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, nicht in Frage gestellt werden.
Ähnlich verhält es sich mit dem Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB, ein Delikt, das laut PMK-Bericht fast ausschließlich von Personen aus dem Phänomenbereich rechts verübt wird. Auch das ist kein Wunder. Denn während Migranten und Menschen jüdischen Glaubens als bevorzugte Hassobjekte von Rechtsradikalen zweifelsfrei dem Schutzbereich des § 130 Abs. 1 StGB unterfallen, ist das nach herrschender Meinung nicht der Fall, wenn das deutsche Volk in seiner Gesamtheit oder größere Teile davon in den Fokus verbaler Aggression geraten, die oftmals von der radikalen Linken ausgeht. Als 2016 ein Funktionär des Türkischen Elternbunds in Hamburg die Deutschen als »Köterrasse« bezeichnete, wurde ein von der Staatsanwaltschaft eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung schon nach wenigen Wochen eingestellt. Juristisch begründet wurde dieser Schritt mit dem Argument, dass der Straftatbestand nicht erfüllt sei, weil es sich bei »allen Deutschen« nicht um eine Gruppe handele, »die als äußerlich erkennbare Einheit aus der Masse der inländischen Bevölkerung abhebt«.
Im gleichen Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die öffentliche Zurschaustellung der Buchstabenkombination ACAB als Abkürzung für »All Cops Are Bastards« nicht per se volksverhetzend sei, weil man nicht pauschal alle Polizisten beleidigen könne. Aus diesem Grund blieb auch die linksradikale Journalistin Hengameh Yaghoobifarah von den Strafverfolgungsbehörden unbehelligt, die im Juni letzten Jahres in einer von der Tageszeitung taz veröffentlichten Kolumne Polizisten mit Abfall gleichsetzte.
Trotz scharfer Kritik an dieser unbefriedigenden Rechtslage auch durch renommierte Strafrechtslehrer blockieren die linken Parteien im Deutschen Bundestag die längst überfällige Novellierung des § 130 StGB. Man ahnt auch in diesem Fall, warum!
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die politisch motivierten Gewaltdelikte in den Blick nimmt. Von den insgesamt 3.365 Fällen, die im vergangenen Jahr aktenkundig wurden, gingen 1.526 auf das Konto von Linksradikalen. Das entspricht einem Anteil von 45 Prozent. Der politischen Rechten werden 1.092 Taten zugeschrieben (32,5 Prozent). Personen mit ausländerextremistischem oder religiösem Hintergrund spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Besorgniserregend ist der starke Anstieg linker Gewalt mit einem Zuwachs von über 45 Prozent gegenüber 2019. Bei rechtsmotivierten Delinquenten nahm die Zahl der Taten dagegen »nur« um knapp 11 Prozent zu.
Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass rechte Kriminelle im vergangenen Jahr etwa doppelt so viele Körperverletzungen begangen haben wie Linksradikale, die demgegenüber bei Brandstiftungen, Landfriedensbruch (Vervierfachung der Fallzahl gegenüber 2019) und gefährlichen Eingriffen in den Verkehr dominieren. Außerdem werden der politischen Rechten zwei versuchte und ein vollendetes Tötungsdelikt angelastet. Mit Letzterem ist der Amoklauf von Hanau vom Februar 2020 gemeint, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund von einem 43-jährigen Deutschen ermordet wurden. Es ist allerdings unter Experten umstritten, ob die Tat tatsächlich rechtsextremistische Motive hatte oder ob wahnhafte Vorstellungen infolge einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie das Handeln des Mannes bestimmten.
Mordtaten hat es im Bereich der linksmotivierten Kriminalität im vergangenen Jahr nicht gegeben, wohl aber sechs versuchte Tötungsdelikte, was man allerdings nicht dem PMK-Bericht selbst, sondern nur dem statistischen Anhang entnehmen kann. Diese Information dürfte viele Leser überraschen, hat sich doch in der breiten Öffentlichkeit die Meinung verfestigt, dass linke Gewalt vor allem gegen Sachen und nicht gegen Menschen gerichtet sei. Doch diese Sichtweise ist überholt.
Alarmierend ist auch die starke Zunahme von Straftaten, die von politisch motivierten Kriminellen gegen Polizeibeamte ausgeübt werden. Ihre Zahl stieg 2020 um 73,46 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wobei knapp die Hälfte der Delikte von Personen aus dem linken Spektrum begangen wurde. In 25 Prozent der Fälle wurden Rechtsradikale als Täter identifiziert. Bei einem Viertel der gegen Polizisten verübten Straftaten handelte es sich um Gewaltdelikte, vor allem Widerstandshandlungen, Landfriedensbrüche und Körperverletzungen.
Doch nicht nur Ordnungshüter, sondern auch andere Repräsentanten des Staates wie Amts- und Mandatsträger werden immer häufiger zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. In diesem Segment hat sich die Zahl der Vorfälle im Vergleich zu 2019 mehr als verdoppelt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat zweifellos recht, wenn er die zunehmende Verrohung in unserer Gesellschaft beklagt. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass die aufgeheizte Stimmung in Deutschland, die an den politischen Extremen verstärkt in kriminelles Handeln umschlägt, auch das Ergebnis eines teilweise katastrophalen Krisenmanagements der Regierung ist, das sich aktuell vor allem in der Corona-Pandemie zeigt. Die Menschen haben kaum noch Vertrauen in die Politik und noch sehr viel weniger in die (etablierten) Parteien. Das hat Folgen für die Sicherheit in Deutschland, die sich im aktuellen PMK-Bericht deutlich manifestieren!