U-Bahnhof in Berlin: Ein Rentner sucht nach Pfandflaschen
Millionen von älteren Bundesbürgern sind empört: Sie werden für ihre private oder betriebliche Altersvorsorge vom Fiskus und ihren Krankenkassen abgezockt. Zudem lässt Draghis Nullzinspolitik manchen Traum vom sorgenfreien Ruhestand unversehens platzen. Wolfgang Schäuble propagiert schon mal eine mögliche Alternative: arbeiten bis 70!
Einer der reichsten Männer Deutschlands hat ein Buch geschrieben, das die Bestsellerlisten stürmen soll. Dass er es selbst geschrieben hat, erscheint zwar eher unwahrscheinlich, vermutlich durfte sich ein Ghostwriter über ein fürstliches Honorar freuen. Doch das soll nicht unser Thema sein. Der Autor ist Carsten Maschmeyer, und der Titel seines Buches lautet Die Millionärs-Formel. An sich kein schlechtes Geschäft: Man investiere 19,99 Euro in Maschmeyers Buch und steige in den erlauchten Kreis von Deutschlands Millionären auf.
Im Buch selbst findet der Leser allerdings wenig Neues. Vor allem hätte man sich für Maschmeyers eigene Millionärs- (oder besser: Milliardärs-Formel) interessiert. Die lautet wie folgt: Man pflege enge Kontakte mit hochrangigen deutschen Politikern, ist nicht knauserig, wenn es um Redenhonorare oder die finanzielle Förderung von Exkanzler-Memoiren geht, hole mit Bert Rürup einen talkshowtauglichen Wissenschaftler ins Boot und mache dank einer gut geölten Propagandamaschine die Menschen systematisch meschugge: Wer nicht privat fürs Alter vorsorge, müsse später darben, so der Tenor der Kassandrarufe.
Nun hätte einer wie Maschmeyer, dem damals mit dem AWD der wohl erfolgreichste (manche sagen auch: einer der skrupellosesten) Strukturvertriebe gehörte, natürlich jede Menge Vorsorgeprodukte seiner Partnerbanken und -versicherungen verkaufen können. Was aber fehlte, war ein echter Blockbuster.
Der kam während der Kanzlerschaft des Maschmeyer-Freundes Gerhard Schröder auf den Markt: ein Vorsorgeprodukt mit dem Namen des damals amtierenden Arbeits- und Sozialministers Walter Riester. Die sogenannte Riester-Rente sollte die Schokostreusel auf dem Renten-Cappuccino sein (die gesetzliche Rente war der Kaffee und die Betriebsrente das Sahnehäubchen). Ein Produkt, das den Namen eines Ministers trägt, muss doch eigentlich eine seriöse Sache sein, dachten viele Deutsche.
Und Maschmeyers Drückertruppe profitierte in hohem Maße von der Nachfrage nach Riester-Verträgen. »Riestern lohnt sich.« Mit Schlagzeilen wie dieser feuerte auch das von der Stiftung Warentest herausgegebene Magazin Finanz-Test den anfänglichen Hype rund um die private Zusatzrente weiter an.
Heute steht fest: Satt verdient haben vor allem Strukturvertriebe, Versicherungen, Banken und Fondsgesellschaften. Ökonomen ‒ und inzwischen auch immer mehr Politiker ‒ bezeichnen die Riester-Rente hingegen als Flop. »Das Riester-Modell ist gescheitert«, sagt zum Beispiel Rentenexperte Rudolf Zwiener von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Riester-Rente sei »an die Wand gefahren«, konstatiert Christian Bäumler, Bundesvize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). Auch die Bundesregierung muss einräumen, dass die Riester-Rente nicht so funktioniert wie einst erhofft. Aus dem Bestseller von damals wurde ein Ladenhüter.
Viel Bürokratie, üppige Provisionen und Minizinsen machen diese Form der privaten Altersvorsorge uninteressant. Die Umlaufrendite eines Riester-Vertrags ist in den vergangenen Monaten fast auf null Prozent gefallen.
Doch nicht nur das: Die Bezüge aus der Riester-Rente werden in der Auszahlungsphase in voller Höhe besteuert. Wer Pech hat, zahlt für seine Riester-Rente sogar noch Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung. Normalerweise fallen für diese Altersbezüge zwar keine Sozialversicherungsabgaben an. Personen allerdings, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, werden von ihren Krankenkassen sehr wohl zur Kasse gebeten. Gleiches gilt, wenn die Riester-Rente über den Arbeitgeber abgeschlossen wurde.
Der Krankenkassenschock trifft auch viele, die ihrer betrieblichen Altersversorgung vertrauen. Schon seit dem 1. Januar 2004 gelten hier nämlich neue Spielregeln. Wird die vom Arbeitgeber für seinen Mitarbeiter abgeschlossene Direktversicherung auf einen Schlag ausgezahlt, dann werden über 18 Prozent an Beiträgen für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Diesen Betrag muss der Versicherte allein zahlen.
Wer sich also zum Beispiel auf eine Auszahlung von 100.000 Euro freute, bekommt am Ende nur 82.000 Euro überwiesen. Den Rest kassiert die Krankenkasse. »Mindestens 70 Prozent der Betroffenen wissen gar nicht, was da auf sie zukommt«, warnt die Verbraucherzentrale Bayern.
Auf unangenehme Überraschungen müssen sich auch Arbeitnehmer einstellen, deren betriebliche Altersversorgung über Versorgungswerke, Pensionsfonds oder Riester-Verträge aufgebaut werden. In diesen Fällen drohen ebenfalls Abzüge für die Krankenkassen. Das heißt im Klartext: Von der betrieblichen Altersversorgung profitieren häufig nur Arbeitgeber und Versicherungen.
Ist also doch gut beraten, wer auf die Lebensversicherung als einen der deutschen Vorsorgeklassiker setzt? Wohl kaum, denn auch hier droht gewaltiges Ungemach. Felix Hufeld, Chef der Finanzaufsichtsbehörde BaFin, rechnet mit dem Zusammenbruch von einzelnen Lebensversicherern. Zugleich hält er den derzeitigen Garantiezins für Lebensversicherungspolicen von 1,25 Prozent für nicht mehr realistisch. Hufeld sprach sich erst jüngst für eine weitere Senkung dieses Zinssatzes aus.
Da ist es doch eine gute Nachricht, dass es zumindest mit der gesetzlichen Rente wieder rundzulaufen scheint. Vor einigen Wochen kündigte die Bundesregierung stolz eine Rentenerhöhung von 4,25 Prozent in den westlichen und 5,95 Prozent in den östlichen Bundesländern an. Was man geflissentlich verschwieg: Dadurch müssen viele Rentner Steuern zahlen.
Schon ab einer Bruttorente von 1200 Euro langt der gierige Fiskus zu. Aktuellen Schätzungen zufolge dürften über 160.000 Senioren nach der Rentenerhöhung zum 1. Juli zusätzlich steuerpflichtig sein. Und das bedeutet: Sie müssen wieder Steuererklärungen abgeben. Wer dem nicht nachkommt, dem können die Finanzämter Verzugszinsen oder sogar Säumniszuschläge von bis zu zwölf Prozent (!) pro Jahr auferlegen.
Die Altersversorgung droht in den nächsten Jahren zu einem sozialpolitischen Pulverfass zu werden. Nach aktuellen Statistiken haben über 40 Prozent der Deutschen nicht genug Geld, um Rücklagen fürs Alter zu bilden. Und bereits heute beziehen etwa 500.000 ältere Menschen die sogenannte Grundsicherung, das heißt, ihre Rente ist so gering, dass sie der Staat auf Hartz-IV-Niveau aufstocken muss.
Die Wut wächst, was folgender Auszug aus einem Leserbrief zeigt, den ein Ehepaar unlängst an eine große Tageszeitung schickte: »Besonders verwerflich finden wir, dass Menschen, die ein Leben lang oft über 45 Jahre 50 Prozent ihres hart verdienten Lohnes an Steuern und Sozialabgaben dem Staat überlassen mussten, dann im Alter in Altersarmut enden …« Das Patentrezept von Wolfgang Schäuble gegen Altersarmut scheint derweil zu lauten: einfach länger arbeiten, am besten bis 70.