Es war zu erwarten: Die Erstürmung des Kapitols durch Anhänger von Donald Trump am vergangenen Mittwoch führt auch in Deutschland zu aufgeregten Forderungen nach verstärkter Repression gegen die Demokratie-Bewegung. Zu erwarten war auch, wer den Aufschlag in dieser garstigen Debatte machen würde, nämlich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Wie falsch die Unterstellungen Söders und wie pluralistisch die Querdenker-Bewegung wirklich ist, das können Sie in unserem COMPACT-Spezial Die Querdenker: Liebe und Revolution nachlesen, das Sie HIER bestellen können!
„Aus bösen Gedanken werden böse Worte und irgendwann auch böse Taten. Deswegen müssen wir auch in Deutschland nicht nur die Sicherheitsmaßnahmen für die demokratischen Institutionen verbessern, sondern grundlegend die sektenähnliche Bewegung der ,Querdenker‘ und anderer vergleichbarer Gruppierungen in den Blick nehmen.“ Mit diesen Worten plädiert Markus Söder in der heutigen Ausgabe der Welt am Sonntag für eine verschärfte staatliche Verfolgung aller Gruppen, die noch irgendwie Kritik am Lockdown-Kurs der Bundesregierung üben.
„Corona-Mob“ im Anmarsch
Eine zentrale Rolle weist Söder dabei dem Verfassungsschutz zu, da sich seiner Auffassung nach aus dem AfD-Umfeld „in Deutschland ein Corona-Mob oder eine Art Corona-RAF bilden könnte, die zunehmend aggressiver und sogar gewalttätig werden könnte“. Das Volk, ein „Corona-Mob“, dessen Proteste man aber mit Hilfe der Geheimdienste und Ordnungskräfte unten halten kann. Die Aussage ist bezeichnend für das Denken des bayerischen Ministerpräsidenten, etwas anderes hatte man freilich schon gar nicht mehr erwartet.
Schon im November vergangenen Jahres hatte Markus Söder mit Blick auf die große Querdenker-Demo in Leipzig vom 7. November im Münchner Merkur geäußert: „Es entwickelt sich ein wachsendes Konglomerat von Rechtsextremen, Reichsbürgern, Antisemiten und absurden Verschwörungstheoretikern, die der Politik sogar Satanismus vorwerfen.“ Schon damals forderte er den Inlandsgeheimdienst zum Handeln auf und äußerte weiter: „Wir haben in Deutschland anfangs die Reichsbürger unterschätzt und dann erlebt, wie aus einer völlig absurden Idee eine ernsthafte Gefahr für den Staat und das Leben entstehen kann. Ich habe ein ungutes Gefühl, dass sich bei einem Teil der Querdenker Ähnliches anbahnt.“
„Radikalisierung in Blasen“?
Markus Söders „Gefühle“ als Begründung für einen Beobachtungsauftrag an den VS? Was nach unerhörter Gesinnungsschnüffelei klingt, kann leider rasch Wirklichkeit werden, weil es sich bei den VS-Behörden eben nicht um wirklich neutrale und unabhängige Institutionen, sondern bloß um weisungsgebundene Anhängsel der jeweiligen Innenministerien handelt.
Dabei hat Markus Söder offenbar nur ein paar Schlagworte aus der Medienberichterstattung über die Querdenker aufgeschnappt, die er in dem Interview dann einfach aneinanderreiht. Von einer „zunehmend sektenartig(en)“ Entwicklung der Bewegung ist hier die Rede sowie von einer „Abschottung von Argumenten“ oder einer „Radikalisierung in Blasen“.
Elsässer: Querdenker ziehen „ungebundenen Teil der Öko-Szene“ an
Von solchen Fehleinschätzungen könnte der bayerische Ministerpräsident rasch kuriert werden, wenn er doch nur mal einen unvoreingenommenen Blick in das brandneue COMPACT-Spezial Die Querdenker: Liebe und Revolution werfen würde, in der insbesondere der politische Pluralismus und die große Bandbreite der Querdenker-Bewegung herausgearbeitet werden.
Hier stellt Jürgen Elsässer in seinem Leitartikel „Aufstand unterm Regenbogen“ mit Blick auf die Versuche etablierter Politiker, die Demonstranten als Extremisten abzustempeln, fest:
Offensichtlich ist es den Querdenkern gelungen, den ideologisch ungebundenen Teil der Öko-Szene anzuziehen: Leute, die den Technizismus der modernen Welt ablehnen, die zunehmende Entfremdung zwischen Mensch und Natur mit Sorge beobachten und sich aufgrund dieser Einstellung gegen Apparatemedizin und Impfzwang wehren und Naturheilverfahren befürworten.
Diese sympathische Sehnsucht nach einer Versöhnung des Homo sapiens mit Flora und Fauna wurde vom internationalen Finanzkapital seit der Gründung des Club of Rome Anfang der 1970er Jahre in die falsche Richtung gelenkt: gegen die traditionelle Industriestruktur auf Basis fossiler Energien, die den Herren des Großen Geldes zu wenig profitabel ist. Aus dieser Beeinflussung werden die ehrlichen Ökologen durch das Angebot der Querdenker befreit und gegen den wirklichen Feind positioniert: nicht gegen die traditionelle, sondern gegen die kommende Industriestruktur, also Gen- und Nanotechnologie, Big Pharma und Transhumanismus. Durch diese Frankenstein-Entwicklungen droht mehr als Umweltverschmutzung: Sie bringen die Mutation unserer Erbmasse, die Züchtung neuer Rassen und Mensch/Tier- beziehungsweise Mensch/Maschine-Hybriden. Während die Hassfigur für die Greta-Szene US-Präsident Donald Trump als Schirmherr von Stahl und Kohle war, verkörpert für die Querdenker-Ökologen Bill Gates das Feindbild.“ (den ganzen Artikel können Sie im COMPACT-Spezial Die Querdenker: Liebe und Revolution lesen)
Es ist also gleichermaßen absurd wie niederträchtig, nun den Inlandsgeheimdienst auf eine derartige Bewegung loszuhetzen, der es ja erklärtermaßen darum geht, grundgesetzwidrige Lockdown-Maßnahmen, die ebenso von ordentlichen Gerichten kritisiert werden, zu verhindern oder rückgängig zu machen.
Markus Söder hingegen scheint sich in schlechtester CSU-Manier über Hetze gegen politische Minderheiten die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien sichern zu wollen. Man kann nur hoffen, dass ihm das nicht gelingt!