Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat der türkischen Regierung in Ankara vorgeworfen, jeglichen Zugang zu unabhängigen Ermittlungen hinsichtlich des Verdachts auf Menschenrechtsverletzungen im Südosten der Türkei zu unterbinden. HRW fordert nun die UN auf, Ermittlern Zugang zu den Kampfgebieten zu verschaffen. In der Südosttürkei gehen Sicherheitskräfte gegen die in der Türkei als terroristisch eingestufte PKK vor.
In einem aktuellen Bericht argumentiert Human Rights Watch (HRW), türkische Sicherheitskräfte hätten im Zusammenhang mit ihrer seit Juli 2015 andauernden, groß angelegten Operation gegen die PKK schwere Menschenrechtsverstöße zu verantworten. Diese sollen unter anderem ungesetzliche Erschießungen, Massenumsiedlungen und die Zerstörung von Privateigentum umfassen.
"Die Regierung sollte dem UN-Büro des Hochkommissars für Menschenrechte unverzüglich die Genehmigung erteilen, Untersuchungen in der Region vorzunehmen", heißt es in einer HRW-Erklärung.
Die türkische Weigerung, diese Schritte zu veranlassen, fördere "Bedenken bezüglich einer großen Vertuschungsaktion", erklärte Emma Sinclair-Webb, die verantwortliche HRW-Analystin für die Region Türkei.
"Glaubwürdige Berichte von Sicherheitskräften bezeugen Tötungen von Zivilisten, darunter Kindern", äußerte Sinclair-Webb. "Die Staatsanwalt in Cizre sollte in der Lage sein, eine vollständige, wirksame und unabhängige Untersuchung durchführen zu können. Es muss für die Opfer Gerechtigkeit geben."
HRW schreibt von mindestens 338 zwischen die Fronten geratenen Zivilisten, die ums Leben kamen, nachdem im Juli 2015 der zuvor in Kraft befindliche Waffenstillstand zwischen der türkischen Regierung und der PKK zusammengebrochen war. Andere Schätzungen gehen von bis zu 1.000 toten Zivilisten aus. Zusätzlich sollen tausende weitere Zivilisten von den Kämpfen zwischen PKK und Sicherheitskräften betroffen sein. Die Rede ist unter anderem von 355.000 Menschen, die vor den Kämpfen vorübergehend flüchten mussten.
Einen offiziellen Abschlussbericht der türkischen Regierung gibt es zurzeit noch nicht, da in mehreren Gebieten noch Operationen der Sicherheitskräfte im Gange sind. Beide Konfliktparteien in der Türkei werfen einander gegenseitig vor, für den Tod von Zivilisten verantwortlich zu sein.
Das Gros der Zerstörungen im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Zusammenstöße ereignete sich in neun Städten im Südosten der Türkei, einschließlich Cizre. Türkische Sicherheitskräfte riefen im Zusammenhang mit Operationen "24-stündige Ausgangssperren in 22 Ortschaften und Nachbarschaften von Städten" aus, berichtete HRW. Die Ausgangssperren verhindern jegliche Bewegung ohne Erlaubnis von Behörden. Die türkische Regierung betrachtet die Ausgangssperren als erforderlich und geboten, um Zivilisten von Kampfgebieten fernzuhalten. Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und Anwälte klagen darüber, dass ihnen der Zugang zu den Zivilisten verwehrt wurde. Ankara rechtfertigt dies mit Sicherheitserfordernissen.
"Die Behörden haben zahlreiche Menschenrechtsgruppen am Zutritt gehindert, darunter Human Rights Watch, Amnesty International und die Ärzte für Menschenrechte, weil diese versuchten, die Verbrechen zu dokumentieren", kritisiert HRW.
„Angesichts der steigenden Anzahl an Toten ist eine echte Rechenschaftspflicht im türkischen Südosten von entscheidender Bedeutung" fügte Sinclair-Webb hinzu. "Die Staatsanwaltschaft sollte gründlich und effektiv alle Vorwürfe im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen untersuchen."
Die türkische Regierung dementierte in der Zwischenzeit, dass Sicherheitskräfte Zivilisten bei Militäroperationen ins Visier genommen hätten. Allerdings wurde die Blockade für Ortsfremde auch dann nicht aufgehoben, nachdem Aktivisten Anhaltspunkte präsentiert hatten, aus denen diese auf das Vorliegen von Fällen rechtswidriger Gewalt gegen Teile der Zivilbevölkerung schließen konnten.
Im März startete RT eine Petition mit dem Ziel, die Vereinten Nationen dazu zu drängen, in Cizre Untersuchungen einzuleiten. Die Petition basierte auf Berichten von RT-Reportern, die die Region besucht hatten und Zerstörungen dokumentierten. Die RT-Reporter sammelten erschreckende Berichte über mögliche Gräueltaten gegen kurdische Zivilisten.
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Die PKK ist eine sozialistisch ausgerichtete, militante Untergrundorganisation mit Ursprung in den kurdischen Siedlungsgebieten innerhalb der Türkei. Sie kämpft seit 1984 mit Waffengewalt für ein unabhängiges Kurdistan, wobei mittlerweile in eigenen Publikationen nur noch von "politischer Autonomie" gesprochen wird. Seit ihrer Gründung verübt die PKK auch Anschläge auf militärische und zivile Ziele. Die Türkei, die Europäische Union und USA listen die PKK als terroristische Vereinigung.
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