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Verlorene Heimat

swaine1988
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Autor: Gero Bernhardt
Quelle: https://www.compact-online.de/...
2024-11-03, Ansichten 388
Verlorene Heimat

Die Oder-Neiße-Linie war nie als Polens Westgrenze vorgesehen. Darauf setzte anfangs auch die deutsche Politik. Mit unserer Silbermünzreihe «Deutsche Ostgebiete» erinnern wir an Ostpreußen, Pommern, Schlesien und das Sudetenland. Hier mehr erfahren.

Mit dem Londoner Protokoll vom 12. September 1944 hatten die Alliierten die Aufteilung Deutschlands mit Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 in mehrere Besatzungszonen beschlossen – mit Groß-Berlin als einer anfangs gemeinsam regierten Vier-Sektoren-Stadt. Die deutschen Ostgebiete, also Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Ost-Brandenburg, blieben zunächst ausgenommen.

Polonisierung

Seine endgültige Fassung erhielt dieser Teilungsplan mit dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945. In der Vereinbarung wurde Ostdeutschland unter polnische beziehungsweise – im Falle des nördlichen Ostpreußens – unter sowjetische Verwaltung gestellt. Wohlgemerkt: Eine Abtretung der Gebiete an Polen war nicht vorgesehen.

Dazu heißt es im Potsdamer Protokoll:

«Die Häupter der drei Regierungen {der USA, der UdSSR und Großbritanniens} stimmen darin überein, dass bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früher deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teils Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Übereinstimmung mit den auf dieser Konferenz erzielten Vereinbarungen, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.»

Damit war die Oder-Neiße-Linie geboren.

Warschau behandelte die ihm dadurch unterstellten Gebiete allerdings von Anfang an als «polnisch» und wollte vollendete Tatsachen schaffen. In seinem 2014 veröffentlichten Buch Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie schreibt der Staatsrechtler Michael A. Hartenstein:

«Einhergehend mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung erfolgte in den Oder-Neiße-Gebieten eine Besiedlung mit Polen. Gleichzeitig gliederte der polnische Staat die Oder-Neiße-Gebiete durch Verwaltungsmaßnahmen in das Staatswesen ein. Mit einem Dekret vom 13. November 1945 wurde für eine Übergangszeit ein Sonderministerium für die ”wiedergewonnenen Gebiete” (…) eingerichtet.»

Es folgte eine Verwaltungsneugliederung und faktische Übereignungen von Land und Gut der deutschen Bewohner an die polnischen «Kolonisten». Hartenstein stellt fest:

«Aus den weitreichenden Rechtsakten Polens, durch die die Oder-Neiße-Gebiete trotz des juristischen Vorbehaltes faktisch in den polnischen Staat eingegliedert wurden, ist ersichtlich, dass Polen sich in Konsequenz seiner schon vor Kriegsende gezeigten politischen Haltung auf Dauer in seinen ursprünglich deutschen ”Verwaltungsgebieten” einrichten und diese für immer behalten wollte.»

Fortan stand für Warschau die Frage nach der internationalen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze ganz oben auf der Agenda.

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Sozialdemokraten für das Reich: SPD-Wahlplakat aus dem Jahr 1949. Foto: SPD

Heimatrecht

Deutsche Politiker der unmittelbaren Nachkriegszeit waren nicht gewillt, dies hinzunehmen. Das war auch für Kurt Schumacher, den ersten Parteivorsitzenden der SPD in der Nachkriegszeit, eine Selbstverständlichkeit.

Vor Studenten in Hamburg sagte er am 4. September 1946: «Lange bevor noch irgendjemand in Deutschland den Mund aufzumachen wagte, haben Sozialdemokraten schon gesagt, dass die Oder-Neiße-Grenze nationalpolitisch und ernährungspolitisch eine Unmöglichkeit ist. Dieses verwüstete Niemandsland, auf dem kein Halm und keine Ähre wächst, das die Polen weder volklich noch politisch noch organisatorisch auszugestalten in der Lage sind, ist das Terrain, um das wir kämpfen.»

Vor dem Deutschen Bundestag erklärte Schumacher, der von den Nationalsozialisten ins KZ gesteckt worden war, am 10. März 1950: «Die Schaffung des Bonner Grundgesetzes hat diese Auffassung von einem einheitlichen Deutschland, einschließlich der sowjetischen Besatzungszone und einschließlich der besetzten Gebiete östlich von Oder und Neiße, in nichts aufgegeben.»

Dies bekräftigte er noch mal in einer Rede vom 13. Juni 1950: «Die Oder-Neiße-Linie ist ja nicht nur das Problem der deutschen Grenzen, die Oder-Neiße-Linie ist auch das Problem des Rückkehr- und Heimatrechts der Ostvertriebenen, zu dem wir uns bekennen müssen.» Und auf einer Kundgebung vor den Messehallen in Berlin am 17. August 1951 erklärte der SPD-Chef unter «stürmischem Beifall» (laut Protokoll): «Keine deutsche Regierung und keine deutsche Partei können bestehen, die die Oder-Neiße-Linie anerkennen. Wir lehnen es ab, uns in die Politik des Nationalverrats und des Verrats an den Menschheitsideen durch die Kommunisten, durch die pseudobürgerlichen Satelliten in der Zone und durch die Sowjets verstricken zu lassen.»

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Kein Verzicht: Auch die Unionsparteien setzten sich anfangs vehement für die völkerrechtlich gültigen Grenzen ein. Foto: KAS

Auch für CDU, CSU und FDP war damals klar, dass die Ostgebiete nach wie vor als Teil eines gesamtdeutschen Vaterlandes anzusehen sind. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) teilte den Vertriebenen in einem Aufruf zum Jahreswechsel 1946/47 mit, dass «kein christlich-demokratischer Politiker einen Friedensvertrag unterschreiben wird, in dem die Oder-Neiße-Linie anerkannt wird».

Die FDP schloss sich dieser Haltung mit einer Erklärung am 7. Januar 1947 an. Mit dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten gab es in Westdeutschland sogar eine parlamentarisch verankerte Partei für die Interessen der Ostdeutschen.

Adenauer formulierte schon in seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 die offizielle Haltung Bonns in dieser Sache: «Im Potsdamer Abkommen heißt es ausdrücklich: Die Chefs der drei Regierungen – das sind die Vereinigten Staaten, England und Sowjetrussland – haben ihre Ansicht bekräftigt, dass die endgültige Bestimmung der polnischen Westgrenze bis zur Friedenskonferenz vertagt werden muss. Wir können uns daher unter keinen Umständen mit einer von Sowjetrussland und Polen später einseitig vorgenommenen Abtrennung dieser Gebiete abfinden.»

Man werde «nicht aufhören, in einem geordneten Rechtsgang unsere Ansprüche auf diese Gebiete weiterzuverfolgen». Hartenstein merkt in seinem Buch dazu an: «Der Rechtsstandpunkt, den Adenauer in seiner Regierungserklärung vertrat, wurde von allen Parteien, außer den Kommunisten, geteilt. Kurt Schumacher (SPD) warnte in seiner Erwiderung auf Adenauer sogar vor jedem Kompromiss im Kampf gegen die Oder-Neiße-Linie.»

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Tradition verpflichtet: Schlesier in Tracht beim Treffen ihrer Landsmannschaft 1985 in Hannover. Die Vertriebenen waren jahrzehntelang eine wichtige Wählergruppe für CDU und CSU. Foto: picture-alliance / dpa

Unter Ludwig Erhard (CDU), dem Nachfolger Adenauers als Kanzler, wurden diese deutschlandpolitischen Rechtspositionen aufrechterhalten. In seine Amtszeit fällt auch eine «Note zur deutschen Friedenspolitik», die am 25. März 1966 allen ausländischen Regierungen übermittelt wurde. Darin betonte man, dass «Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbesteht, solange nicht eine frei gewählte, gesamtdeutsche Regierung andere Grenzen anerkennt».

Grotewohls «Friedensgrenze»

In der DDR schwenkte man hingegen schon früh auf den Kurs des Großen Bruders in Moskau und seiner Statthalter in Warschau ein. Ministerpräsident Otto Grotewohl erklärte am 12. Oktober 1949, also nur wenige Tage nach Gründung des mitteldeutschen Teilstaates, dass man die Oder-Neiße-Linie als «eine Friedensgrenze» ansehe, «die ein freundschaftliches Verhältnis zum polnischen Volke ermöglicht».

In einer Antwort an Grotewohl und DDR-Präsident Wilhelm Pieck zeigte sich Polens Staatschef Boleslaw Bierut – unter dem 1945/46 die berüchtigten Dekrete zur Entrechtung und Enteignung der Vertriebenen erlassen worden waren – äußerst zufrieden und erklärte, dass man die «Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik» begrüße, da sie «ein für alle Mal mit der verhängnisvollen und schändlichen Tradition des ”Dranges nach Osten” gebrochen hat und die Oder und Neiße als Grenze des Friedens betrachtet».

Die DDR und Polen nahmen dann am 18. Oktober 1949 diplomatische Beziehungen auf, und Pieck und Grotewohl bekräftigten in einem Antwortschreiben an Bierut vom 2. November 1949 erneut, dass man die Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze anerkenne. Darüber hinaus erklärten sie, dass die SED jeden, «der das Ansinnen einer Revision dieser Grenze stellt, als einen Feind des deutschen und polnischen Volkes und zugleich als Kriegstreiber» ansehe. Formaljuristisch folgte am 6. Juni 1950 eine in Warschau unterzeichnete Deklaration über die Grenzmarkierung zwischen beiden Staaten.

Doch damit nicht genug. Mit dem Abkommen von Görlitz vom 6. Juli 1950 wollten die beiden kommunistischen Länder der «Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen» eine völkerrechtlich verbindliche Legitimation verleihen, was schon deshalb reichlich grotesk erscheinen musste, weil sich die DDR zur damaligen Zeit selbst nur als Teilstaat betrachtete, also kaum für das ganze Deutschland sprechen und handeln konnte.

Als Zeichen des guten Willens beziehungsweise «als Beweis der Festigung der deutsch-polnischen Freundschaft», wie es offiziell hieß, trat man knapp ein Jahr später noch einen Gebietsstreifen auf der Insel Usedom westlich von Swinemünde an Warschau ab. Was von der «Friedensgrenze», die laut der Präambel des Görlitzer Abkommens Deutsche und Polen «nicht trennt, sondern einigt», wirklich zu halten war, zeigte sich in den folgenden Jahren. Bis in die 1960er Jahre gehörte sie zu den bestbewachten und am schärfsten abgeriegelten Grenzen Europas.

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