Es sind Kinder, die am stärksten unter der Politik leiden, die als totalitär bezeichnet werden muss.
von Tom J. Wellbrock
Wir erinnern uns an die Meldungen über Kinder, die isoliert in ihren Zimmern hockten und auf das Essen warteten. Es wirkt noch immer wie ein böser Traum, aus dem man so schnell wie möglich erwachen möchte. Um sich selbst zu beruhigen, fährt das Wort „Einzelfälle“ durch unsere Köpfe, und wir hoffen, dass es so sein möge, dass es sich nur um bedauerliche Einzelfälle gehandelt hat. Doch hinter den Meldungen, die langsam in unserer Erinnerung verblassen, verbirgt sich ein staatliches Handeln, das in eine dystopische Richtung weist.
Vor der Kritik kommt das Lob. Es gibt leider viele Kinder, die gerettet werden müssen, und zwar vor ihren eigenen Familien. Man verdrängt es naturgemäß aus seiner Gedankenwelt, dass Kinder hungern, angekettet, geschlagen und sexuell misshandelt werden. Doch es gibt diese Fälle, und der Staat hat hier nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einzugreifen. Die Kindeswohlgefährdung ist ein weitverbreitetes Problem, das es nur selten in die Schlagzeilen schafft.
Jugendämter und andere Institutionen stehen immer wieder vor der Frage, ob ein Kind bei den Eltern bleiben kann oder nicht. Die Entscheidung ist schwer und wird oft genug mit einem fatalen Ausgang getroffen. Das liegt an personellen Engpässen, aber auch am Zaudern. Im Zweifel für den Angeklagten (die Eltern) kann für das Opfer bedeuten, ohne Zweifel genau darunter zu leiden und ohne Hilfe zurückzubleiben.
Aber so oder so, das Prinzip der Kindeswegnahme ist gut und richtig. Ob die Praxis im Sinne des Kindeswohls funktioniert, ist eine ganz andere Frage, um die es hier jedoch nicht gehen soll. Vielmehr geht es darum, durch diese Einordnung die Kindeswegnahme nicht generell zu verteufeln.
Wenn allerdings die Motivation für das Herausreißen eines Kindes aus der Familie politisch gesteuert ist und als Druckmittel für „uneinsichtige“ Eltern missbraucht wird, ist vom eigentlich guten Prinzip nichts mehr übrig.
Die Autorin und Psychologin Dr. Andrea Christidis schildert in ihrem Buch „Staatliche Kindeswohlggefährdung“ Fälle staatlicher Einflussnahme und die Kindeswegnahme aufgrund fehlender Impfbereitschaft oder der Weigerung, Masken zu tragen. Der Fall eines Weimarer Richters ging im Sommer 2021 durch die Presse. Der Richter hatte für zwei Schulen die Maskenpflicht aufgehoben und war danach ins Visier der Politik geraten:
„Der Angeschuldigte hat sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ‚dabei bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt‘. Ihm sei es darum gegangen, ‚die angebliche Unwirksamkeit und Schädlichkeit staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie öffentlichkeitswirksam darzustellen‘.“
Aus heutiger Sicht liest sich das wie ein zynisches Eingeständnis, denn die Unwirksamkeit und Schädlichkeit der Corona-Politik ist inzwischen auf vielen Ebenen belegt. Doch auch die Jugendämter waren „fleißig“ und arbeiteten dabei nicht nur ohne Empathie, sondern mit fragwürdigen Methoden.
Psychologen berichten von Fällen der Kindeswegnahme, weil Eltern keine Masken tragen oder sich nicht impfen lassen wollten. Es geht hier um hunderte Fälle, bei denen die Eltern ihre Kinder nach der Anordnung nicht nur nicht besuchen durften, sondern zusätzlich eine Rechnung präsentiert bekamen und das alles selbst bezahlen mussten.
Laut Christidis haben die Inobhutnahmen von Kindern in den letzten Jahren massiv zugenommen. Gemäß dem oben genannten Motto „Ein gutes Prinzip“ sollte das eine gute Nachricht sein, doch die Wegnahme von Kindern beruht nicht selten auf erfundenen Anschuldigungen, anonymen Anrufen und sogar einem Nachbarschaftsstreit, der als Grundlage für einen „Rache-Anruf“ dient.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, das jedoch schon deutlich länger als die Corona-Politik besteht: Gefälligkeitsgutachten, die in den seltensten Fällen tatsächlichen Missbrauch offenbaren, aber für die Eltern und die Kinder grauenvolle Konsequenzen haben können.
Eltern, Anwälte und Experten kämpfen seit Jahren einen aussichtslosen Kampf, sie fordern demokratische Abläufe und drängen auf höchstrichterliche Rechtsprechungen. Vergeblich. Und man sieht nicht nur am oben genannten Weimarer Richter, was „höchstrichterlich“ heute bedeutet, sondern ahnt es auch, wenn man die Pläne der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verfolgt, die künftig „Staatsfeinde“ auch durch einen schieren Verwaltungsakt der betroffenen Behörde „aus dem Weg räumen“ möchte. Die Definition dessen, was ein „Staatsfeind“ ist, ist ebenso willkürlich, weil nicht klar beschrieben, wie die absurde Umkehr der Beweislast. Der „Staatsfeind“ soll also, geht es nach Faeser, künftig nachweisen, dass er kein Staatsfeind ist.
Immerhin: „Staatsfeinde“ können noch den Versuch unternehmen, ihre zutiefst vorhandene demokratische Gesinnung zu belegen. Obgleich ihr Versuch zum Scheitern verurteilt ist, wenn ihre Ausführungen nicht überzeugen. Es erinnert in der Tat an den meist tödlich endenden Vorwurf, eine Hexe zu sein, der aus einer Zeit stammt, in der es so etwas wie einen Rechtsstaat noch nicht gab und machtversessene Kirchenoberhäupter ihre Urteile nach Gutdünken sprachen.
„Du sagst, du bist keine Hexe? Beweise es!“ Jeder Versuch, diesen Beweis zu erbringen, wurde in aller Regel als zusätzlicher Beleg für die Existenz einer Hexe ausgelegt, was mit entsprechenden Strafen quittiert wurde. Auf „Staatsfeinde“ könnte Ähnliches zukommen, wenn auch nicht mit tödlichem Ausgang.
Eltern aber, denen ihre Kinder weggenommen werden, sind in den meisten Fällen komplett hilflos, sie können nicht einmal den Versuch unternehmen, ihre fürsorgliche Liebe zu beweisen.
Die Kindeswegnahme ist also schon seit vielen Jahren ein raues Pflaster aus Gefälligkeitsgutachten, internen Absprachen, Willkürlichkeit und der elterlichen Chancenlosigkeit gegen Entscheidungen, die nur schwerlich wieder korrigiert werden können.
Nimmt man jetzt noch die Tatsache hinzu, dass fehlende Masken oder Impfunwilligkeit Anlass sind, Eltern ihre Kinder wegzunehmen, dann ist das Verbrechen perfekt. Es mögen „nur“ ein paar Hundert Fälle sein, doch erstens ist jeder Fall einer zu viel.
Und zweitens ist es die erschreckende Erkenntnis über die Skrupellosigkeit und die Bereitschaft staatlicher Stellen, solche der Folter gleichenden Maßnahmen zu ergreifen, um Macht zu demonstrieren und unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren, die den Atem raubt.
Einmal mehr sind es die Kinder und deren Eltern, die am stärksten unter der Politik leiden müssen, die nur noch als totalitär bezeichnet werden kann.