Symbolbild.
Am 10. Februar 1898 erblickte der deutsche Dramatiker und Dichter Bertolt Brecht in Augsburg das Licht der Welt. Auch heute noch gilt der Autor und Regisseur, der sich nur selten von seiner Zigarette trennte, als eine Art Fixstern für viele zeitgenössische Theatermacher.
So auch für den Intendanten des Berliner Ensembles Oliver Reese. Das Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm wurde 1949 von der DDR-Führung extra für Brecht gegründet, der zusammen mit seiner Frau Helene Weigel damals ein neues Betätigungsfeld suchte.
Im Theatersaal sieht man weit oben noch heute einen goldenen Reichsadler, durchgestrichen mit roter Farbe. Auf Anweisung Brechts. Am Gebäude hängt derzeit ein Plakat: "Ändere die Welt, sie braucht es."
Reese hörte in seiner Jugend zufällig im Radio alte Aufnahmen von Theaterproben mit Brecht. "Ich weiß es wie heute. Im Badezimmer in Bad Lippspringe bei Paderborn hörte ich das", sagte Reese in einem Gespräch mit der dpa.
"Diese Stimme von dem Brecht, dieses Nasale, aus dem Berliner Ensemble. Kommentiert von Hans Bunge. Ich habe das mit Kassettenrekorder aufgenommen und mir immer wieder angehört."
Zu Brechts bekanntesten Stücken gehören "Der gute Mensch von Sezuan", "Leben des Galilei", "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" und natürlich die "Dreigroschenoper", die er zusammen mit Kurt Weill und unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann geschrieben hat.
Auf die Frage, ob man Brecht "heute noch lesen muss", antwortet Reese:
"Meine Antwort ist ganz klar: Seine Zeit ist wieder da."
Man lebe "jetzt wieder in schlechten Zeiten", so der Intendant. Und weiter:
"Und in schlechten Zeiten merkt man auf einmal, wie sehr sein Werk – auf Grund seiner Biografie! – durchdrungen ist von Krieg, Exil, Revolution, der Frage: gutes Leben oder politisches Engagement? Vom Ich gegenüber der Welt."
Oder wie es Brecht selbst in der ersten Strophe seines weltbekannten Gedichts "An die Nachgeborenen" schreibt:
"Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!"
Brecht verließ Deutschland unter dem Druck der deutschen Faschisten. 15 Jahre seines Lebens habe er im Exil verbracht. "Kurz nach seinem Welterfolg mit der 'Dreigroschenoper' – der wurde von den Nazis jäh gebremst – musste er bis '49 ins Exil. Und da er schon '56 gestorben ist, waren das seine zentralen Schaffensjahre", so Reese.
Brecht sei über Stationen in Moskau, Dänemark, Schweden und Finnland in die USA gegangen. Er habe überall von Neuem anfangen müssen. "Das war bitter und mühsam", sagt Reese. Das Schreiben sei existenziell geworden.
Als die NS-Diktatur zu Ende war, habe ihn keiner haben wollen:
"Es gab noch in den 1960er Jahren einen Skandal, als er in Frankfurt gespielt wurde. Harry Buckwitz inszenierte den Kommunisten Brecht – da war der schon zwei Jahre tot – konsequent seit 1958 am Schauspiel Frankfurt."
Das sei ein Skandal gewesen, einfach, weil man dem Kommunisten die große Bühne ausgerechnet in der Stadt des Geldes gegeben habe.
Verbunden sind mit Brecht bis heute die Begriffe episches Theater und Verfremdungseffekt. Der Verfremdungseffekt beschreibt Stilmittel, mit denen die Geschichte auf der Bühne quasi gebrochen wird, das können etwa Kommentare oder Musik sein.
Reese spricht von einem genialen Trick:
"Wir sagen euch vorher, was gleich passiert – dadurch relativieren wir die Spannung und Sentimentalität wieder."
Außerdem habe Brecht etwas geschaffen, was das Theater brauche und was das Theater der Gegenwart leider kaum noch produziere – starke Figuren.
Doch wer Brecht kennenlernen will, kann auch seine Tagebücher oder Briefe lesen. So zum Beispiel seinen Briefwechsel mit seiner Frau Helene Weigel. Die Korrespondenz ist vor einiger Zeit bei Suhrkamp erschienen. Das Buch beginnt mit einem Schreiben Brechts von 1923:
"Zweite Hälfte Dezember: starke Langeweile / 90 % Nikotin / 10 % Grammophon / offensichtlicher Mangel / an Bädern / Jahresende: Auf nach Mahagonny / bevorzugt!"
Reese arbeitet derzeit an einem Abend mit Liedern und Gedichten von Brecht. Dafür habe er dessen Lyrik und autobiografische Aufzeichnungen gelesen. "Da geht es auch um sein persönliches Leben", sagt Reese. Und er fügt hinzu:
"Dieses fast Buddhistische, das er hatte. Dieses Stille, Persönliche, Melancholische, Einfache. Die Feier des einfachen Lebens."
Kleine Gedichte, kleine Bemerkungen, die in ihrer Einfachheit sehr treffend unser Lebensgefühl spiegelten, so Reese weiter. Tatsächlich finden sich bei Brecht immer wieder kleine, kluge Zeilen, die sich gerade in dieser Zeit alle Regierenden an den Badezimmerspiegel heften sollten:
"Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war."
(rt de/dpa)