Polizeistaat: Immer mehr Deutsche finden Gefallen am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren
von Mirjam Lübke
Mir graut schon davor, wenn in diesem Winter der typische deutsche Wachhund wieder auf den Plan tritt. Dieser Wachhund döst fröhlich weiter, wenn es tatsächlich einmal notwendig wäre einzuschreiten, zum Beispiel, wenn Schreien und Poltern in der Nachbarwohnung auf Gefahr für Leib und Leben eines Familienmitglieds hindeuten. Oder jemand in der Straßenbahn übel von einer Gruppe von Raufbolden angegangen wird. Denn das Wohlergehen anderer ist nicht die Motivation dieser Menschen, sie sehen sich selbst als verlängerten Arm der Ordnungsmacht. Was gut und richtig ist, das entscheidet man nicht nach einem inneren Wertekompass, sondern nach offiziellen Vorgaben. Und die werden nicht hinterfragt.
Während der Prä-Impf-Ära machten Politiker-Cartoons die Runde, in denen Merkel und Seehofer sich einen Spaß daraus machten, sich absurde Vermummungsmaßnahmen auszudenken, um das Volk auf seine Gehorsamkeit zu testen. Ob die Leute sich wohl auch Pappnasen aufsetzen würden? Eigentlich war das Maskentragen allen lästig, aber gerade das machte die Corona-Jünger so aggressiv. Nachdem in den Medien verbreitet worden war, dass einzelne Ärzte ein wenig großzügig mit befreienden Attesten umgegangen waren, stand plötzlich jeder Befreite unter Generalverdacht, sich seines erschlichen oder gefälscht zu haben (was einem übrigens auch mit einem Schwerbehindertenausweis passieren kann, wenn man um einen Sitzplatz bittet). Wahrscheinlich waren die meisten noch nicht einmal vom Nutzen der oft widersprüchlichen Vorschriften überzeugt – aber Vorschrift ist Vorschrift! In Dutzenden Videos wurden Ausraster gegen Maskenlose im Supermarkt dokumentiert. Man hätte den Spieß einmal umdrehen müssen: „Ihr Geschrei erzeugt so viel CO2, dass Deutschland auch diesmal wieder seine Klimaziele nicht erreicht! Gerade jetzt fällt in der Arktis ein Eisbär von der Scholle!„.
Vielleicht wird es im Winter selbsternannte Wärmeprüfer geben. Unter dem Vorwand, sich eine Rolle Toilettenpapier leihen zu wollen, kommen sie in die Wohnung – und während man das begehrte Gut aus dem Nachbarraum holt, messen sie rasch die Raumtemperatur. 17,3 Grad! Und dann steht nach ein paar Minuten die Polizei vor der Tür und nimmt einen als russischen Schläfer in Gewahrsam. Eine Duschkontrolleurin hatte ich schon einmal in der Wohnung unter mir wohnen. Die ältere Dame glaubte zu wissen, dass tägliches Haarewaschen Erkältungskrankheiten fördert und betätigte, wenn ich unter der Brause stand, gerne ihre Toilettenspülung mehrfach – was durch den Druckabfall in der Leitung dazu führte, dass ich al dente gekocht wurde. Das gab sie sogar offen zu. Gegen derlei Erziehungsversuche hege ich spätestens seit diesen Jahren tiefste Abneigungen. Die Dame hatte vor ihrer Pensionierung ein Wohnheim für alleinstehende männliche Migranten geleitet und war daher prädestiniert als Ordnungshüterin. Als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln hätte sie wahrscheinlich Wunder gewirkt, aber wenn jemand auch im Privatleben die Lust an der Beaufsichtigung anderer Menschen nicht verliert, kann einen das in den Wahnsinn treiben.
Solche Menschen geben einem einen Vorgeschmack darauf, wie es ist, unter einem totalitären Regime zu leben, in einer Gesellschaft, in der jeder ständig auf jeden aufpasst. Bekanntlich ist das in Chinas Sozialpunktesystem schon Realität – es gehört zum guten Ton, jeden noch so kleinen Fehltritt seines Nebenmenschens behördlich anzuzeigen. Ich bin vorsichtig dabei geworden, Menschen zu verurteilen, die in der Diktatur nicht zum Helden werden. Allerdings würden die meisten Diktaturen weitaus weniger effektiv funktionieren, wenn nicht so viele Bürger enormen Belastungseifer an den Tag legten. Aus purer Giftigkeit. Der Nachbar hört BBC oder guckt Westfernsehen? Einfach mal ignorieren! Was juckt es dich?
Nun kommen wir auch behördlich dem Totalitarismus zumindest in Nordrhein-Westfalen ein Stückchen näher – und ich fürchte, das wird deutschlandweit Schule machen: Ein Meldenetzwerk soll demnächst alle rassistischen und queerfeindlichen Bemerkungen auch „unterhalb der Grenze der Strafbarkeit“ erfassen.
Es ist im Grunde genommen das gleiche System wie bei Facebook: Nicht was tatsächlich strafbar ist, wird zensiert, sondern alles, was irgendjemandem sauer aufstößt. Es ist vollkommen richtig, dass man sich in Deutschland juristisch gegen Beleidigungen zur Wehr setzen kann, wir wollen schließlich kein Häuflein von rücksichtslosen Barbaren sein. Aber ebenso gibt es gute Gründe dafür, dass Menschen Konflikte auch einfach einmal unter sich ausmachen sollten. Die Gerichte in Deutschland sind teilweise mit Lappalien so ausgelastet, dass richtig schwere Jungs aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil Fristen versäumt wurden. Und das sind dann oft gerade diejenigen, die berechtigt dort saßen.
Sollen diese Meldestellen etwa dazu dienen, den Rahmen der Strafbarkeit zu erweitern, so lange, bis schließlich auch die berühmt berüchtigten Mikroaggressionen justiziabel sind? Oder müssen ein paar arbeitslose Parteifreunde mit Posten versorgt werden? Vielleicht etwas von beidem. Fest steht jedenfalls schon jetzt, dass wieder ein paar lautstarke Minderheiten einen neuen Spielplatz bekommen haben und ein neues Zensurinstrument geschaffen worden ist. Man sammelt dort schließlich nicht zum Spaß – und sei es nur deshalb, weil unsere Sprache wieder einmal politisch korrekter werden muss. Das Wort „Kartoffel“ wird aber sicher nicht auf der schwarzen Liste landen.