Krankenkassen-Daten sorgen für Aufregung: Mehr Impf-Nebenwirkungen als bekannt?
Die BKK ProVita ist eine Krankenkasse mit mehr als 100.000 Versicherten, hat aber Zugriff auf den Datenpool aller Betriebskrankenkassen mit insgesamt 11 Millionen Versicherten. Vorstand Andreas Schöfbeck teilt in einem Brief an Klaus Cichutek, den Präsidenten des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI), mit Bezug auf die Daten aus diesem Pool nun mit:
„Uns liegen bisher die Abrechnungsdaten der Ärzte für das erste Halbjahr 2021 und circa zur Hälfte für das dritte Quartal 2021 vor. Unsere Abfrage beinhaltet die gültigen ICD-Codes für Impf-Nebenwirkungen. Diese Auswertung hat ergeben, obwohl uns noch nicht die kompletten Daten für 2021 vorliegen, dass wir anhand der vorliegenden Zahlen jetzt schon von 216.695 behandelten Fällen von Impf-Nebenwirkungen nach Corona Impfung aus dieser Stichprobe ausgehen. Wenn diese Zahlen auf das Gesamtjahr und auf die Bevölkerung in Deutschland hochgerechnet werden, sind vermutlich 2,5-3 Millionen Menschen in Deutschland wegen Impf-Nebenwirkungen nach Corona Impfung in ärztlicher Behandlung gewesen. Das sehen wir als erhebliches Alarmsignal an, das unbedingt beim weiteren Einsatz der Impfstoffe berücksichtigt werden muss.“
Zum Zahlenvergleich: Das PEI hat für das gesamte Jahr 2021 insgesamt weniger als 250.000 Verdachtsmeldungen registriert. Das entspräche somit einer Untererfassung der Impf-Nebenwirkungen um den Faktor 10 oder mehr. Die Zahlen könnten, so Schöfbeck, „relativ leicht und auch kurzfristig“ validiert werden, indem alle Krankenkassen zu einer entsprechenden Auswertung ihrer Daten aufgefordert würden. Hochgerechnet auf ganz Deutschland waren demnach „circa 4-5 % der geimpften Menschen wegen Impf-Nebenwirkungen in ärztlicher Behandlung“. Zu den Gründen der massiven Untererfassung vermutet der Krankenkassenchef, dass eine Verdachtsmeldung an das PEI häufig deshalb unterbleibe, weil eine solche Meldung von den Kassen nicht vergütet wird:
„Ärzte haben uns berichtet, dass die Meldung eines Impfschadenverdachtsfalls circa eine halbe Stunde Zeit in Anspruch nimmt. Das bedeutet, dass 3 Millionen Verdachtsfälle auf Impf-Nebenwirkungen circa 1,5 Millionen Arbeitsstunden von Ärztinnen und Ärzten erfordern. Das wäre nahezu die jährliche Arbeitsleistung von 1000 Ärztinnen und Ärzten.“
Schöfbeck sandte seinen Warnbrief am Montag sowohl an das PEI, als auch an den GKV-Spitzenverband, den BKK-Dachverband, die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie die STIKO. Er schließt:
„Da Gefahr für das Leben von Menschen nicht ausgeschlossen werden kann, bitten wir Sie um eine Rückäußerung über die veranlassten Maßnahmen bis 22.2.2022 18:00 Uhr.“
Die Frist verstrich ohne Antwort. Bis zum Mittwoch reagierte niemand der Angeschriebenen.
Laut den Abrechnungsdaten der BKK – bei denen es sich, anders als bei den InEK-Krankenhaus-Daten, überwiegend um Abrechnungen von Hausärzten handelt – entstanden von Januar bis August 2021 aufgrund von Krankschreibungen wegen Impf-Nebenwirkungen Arbeitsausfälle in Höhe von insgesamt 383.000 Tagen. Demgegenüber standen im gleichen Zeitraum lediglich 374.000 Ausfalltage durch Krankschreibungen wegen COVID-19. Die Impfung führte demnach zu mehr Arbeitsausfällen als das Virus.
Schöfbeck hatte sich mit den BKK-Daten Anfang Februar zunächst an den Hamburger Datenanalysten Tom Lausen gewandt, der im vergangenen Jahr unter anderem als Sachverständiger im Deutschen Bundestag angehört wurde und der ein Portal zur Intensivbettenauslastung betreibt. Lausen half bei der Aufbereitung der Daten und informierte mit Einverständnis Schöfbecks am Mittwoch die Redaktion der WELT, die am Mittwochabend darüber berichtete, jedoch hinter einer Bezahlschranke.
Die Nichtmeldung von Impf-Nebenwirkungen ist kein Kavaliersdelikt. In Paragraf 6 der Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer (die sich in den Berufsordnungen der einzelnen Länderkammern ebenso findet) heißt es klar, dass Ärzte „verpflichtet sind“, die „ihnen bekannt werdenden unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln (…) der zuständigen Behörde mitzuteilen“. Ein entsprechendes Formular dazu („Verdacht auf Impfkomplikation“) findet sich auf der Webseite der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Das Nichtmelden hat dabei offenbar nicht nur wirtschaftliche Gründe, wie die von Schöfbeck angeführte fehlende Vergütung. So hat Prof. Christof Kuhbandner im Januar von mehreren Ärzten erfahren, dass viele Mediziner sich von vornherein weigern, Impfschäden auch nur zu erwägen. Ein Arzt aus einem Gesundheitsamt schrieb ihm vertraulich:
„In vielen Gesprächen mit Hausärzten, insbesondere aber auch Klinikärzten, konnte ich erleben, dass ein echter Unwille besteht, Impfschäden überhaupt zu erwägen und dann auch noch zu melden.“
Ein anderer Arzt aus einer Allgemeinmedizinpraxis versuchte Impf-Nebenwirkungen ans PEI zu melden und schildert:
„Wir erhielten erst auf renitentes Nachfragen hin die Antwort, dass Impf-Nebenwirkungen aufgrund einer eingeschränkten Personalkapazität (lediglich 4 Mitarbeiter) bearbeitet würden. Auf die Nachfrage hin, warum der Erfassung nicht mehr Augenmerk geschenkt würde, erhielten wir die Antwort, dass dies ‘nicht gewünscht’ sei.“
Das ZDF hatte bereits im Sommer letzten Jahres von einer dramatischen Überlastung der Behörde bei der Erfassung der Impf-Nebenwirkungen berichtet, damals unter dem Titel: „Das Daten-Desaster“.
Nicht nur Ärzte müssen Impf-Nebenwirkungen melden. Das Arzneimittelgesetz legt fest, dass auch der Inhaber der Zulassung eines Medikamentes aktiv werden muss. So heißt es in Paragraf 63c („Dokumentations- und Meldepflichten des Inhabers der Zulassung bei Verdachtsfällen von Impf-Nebenwirkungen“):
„Der Inhaber der Zulassung hat Unterlagen über alle Verdachtsfälle von Impf-Nebenwirkungen sowie Angaben über abgegebene Mengen zu führen. Der Inhaber der Zulassung übermittelt alle Informationen über sämtliche Verdachtsfälle von 1. schwerwiegenden Impf-Nebenwirkungen, die im In- oder Ausland auftreten, innerhalb von 15 Tagen, 2. nicht schwerwiegenden Impf-Nebenwirkungen, die im Inland oder einem Mitgliedstaat der Europäischen Union auftreten, innerhalb von 90 Tagen nach Bekanntwerden elektronisch an die EudraVigilance-Datenbank (…) Der Inhaber der Zulassung muss gewährleisten, dass alle Verdachtsmeldungen von Impf-Nebenwirkungen bei einer zentralen Stelle im Unternehmen in der Europäischen Union verfügbar sind.“
Hier stellt sich die Frage, ob Unternehmen wie Biontech, Moderna, Astra Zeneca etc. nicht die rechtliche Verpflichtung zukommt, alles nötige zu unternehmen, um Informationen über die aufgetretenen Impf-Nebenwirkungen zu sammeln und den Behörden zentral zur Verfügung zu stellen. Dazu, so ließe sich argumentieren, gehören auch die Abrechnungsdaten der Krankenkassen mit den Krankenhäusern und den Hausärzten, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit erfragt werden können. Warum also recherchieren die Hersteller nicht selbst und legen die Daten offen?
Vor allem kommt diese Verpflichtung dem Bundesgesundheitsministerium und dem ihm nachgeordneten Paul-Ehrlich-Institut zu, dass nach den nun vorliegenden Daten kaum länger sein lediglich passives Meldesystem rechtfertigen kann, bei dem es sich allein auf Ärzte verlässt, die, wie geschildert, oft kein Interesse an einer Meldung haben. Das Meldesystem muss kurzfristig und grundlegend geändert werden, sofern ihm zukünftig noch Vertrauen entgegengebracht werden soll. Doch nicht nur das. Der Mediziner Klaus Hartmann, von 1993 bis 2003 beim PEI für Arzneimittelsicherheit zuständig, stellte bereits vor mehreren Jahren in einem Buch eine noch grundlegendere Forderung, die nichts an Aktualität verloren hat:
„Die Verantwortlichkeit für die Erfassung von Impf-Nebenwirkungen und Komplikationen sollte von der zulassenden Behörde getrennt werden, da auch hier ein Interessenkonflikt besteht. Das Paul-Ehrlich-Institut als an der Zulassung beteiligte Behörde tut sich selbstverständlich schwer, für einen Impfstoff Sicherheitsrisiken zu benennen, der von den eigenen Experten mit zugelassen wurde. Das gilt natürlich ebenso für die europäische Arzneimittelbehörde EMA. Dringend gebraucht wird also eine unabhängige Behörde für Arzneimittelsicherheit, die nicht nur für Impfstoffe zuständig sein sollte. Aber gerade die Überwachung der Impfstoffe, die bei gesunden Menschen und auch sehr oft bei Kindern verabreicht werden, gilt es auf diese Weise zu verbessern.“
Die WELT wies in der vergangenen Woche auf einen weiteren brisanten Aspekt hin: 14 Monate nach der ersten Impfung sind die Präparate von Biontech und Moderna noch immer ohne ordentliche Zulassung, weil, so die Recherchen der Zeitung, „essenzielle Studien fehlen (…) vor allem zu Sicherheit und Wirksamkeit“:
„Bis Juli 2021, so hatte die EMA frühzeitig klar gemacht, seien die Studien nachzureichen. Aber die Frist verstrich still und ereignislos. Stattdessen verlängerte die EMA im Oktober 2021 die ‘bedingte Zulassung’ in aller Diskretion um ein Jahr. Zunächst für Spikevax von Moderna und Anfang November für Comirnaty von Biontech. Das brachte in der wissenschaftlichen Fachwelt erste Irritationen auf, es gab Fragezeichen, auch den Verdacht der Geheimniskrämerei, inzwischen erweitert um offenes Befremden.“
Offene Fragen gibt es demnach auch bei den Eigenschaften der mRNA-Präparate, was gerade mit Blick auf das nun bekannt gewordene Ausmaß an Impf-Nebenwirkungen beunruhigend erscheint:
„Es sind essenzielle Fragen wie: Lagert sich der Wirkstoff im Gehirn ab? Gibt es Anreicherungen in der Niere? In den Lymphknoten? Im Herzen? Wird es bei trächtigen Tieren auf den Embryo übertragen?“
Fragen, „die die Hersteller bisher nicht beantwortet haben“, so eine Expertin gegenüber der WELT, „was daran liegen könnte, dass die mRNA-Vakzine als klassische Impfstoffe zugelassen wurden“, bei denen solche Fragen im Zulassungsverfahren keine Rolle spielten. „Tatsächlich“, so die WELT, sind Präparate wie das von Biontech „jedoch gentherapeutische Produkte“. Für ein Zulassungsverfahren würden daher auch andere Regeln angewandt werden müssen. Auf diesen Umstand hatte die Redaktion ebenfalls im vergangenen Dezember hingewiesen.
All das ist nicht neu. Wie der SPIEGEL schon im Jahr 2018 berichtete, ereigneten sich nahezu parallele Vorgänge 2009 beim Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix, der damals 30 Millionen Europäern injiziert worden war. Demnach zeichnete sich schon zu Beginn der damaligen Impfkampagne ab, dass bei Pandemrix deutlich mehr Impf-Nebenwirkungen gemeldet wurden, als bei einem anderen, vergleichbaren Mittel – darunter allergischer Schock, Gesichtslähmungen, Zuckungen, Gefäßentzündungen und Gehirnentzündungen. Doch die Behörden unternahmen nichts. Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des Arznei-Telegramms kommentierte 2018 gegenüber dem SPIEGEL:„Meines Erachtens wurde das Risiko von den zuständigen Behörden negiert. Man wollte impfen, man wollte den Impfstoff loswerden, den man gekauft hatte.“