Die provokativ an die Grenze Russlands verschobenen NATO-Manöver nehmen kein Ende. Diesmal üben 4.000 Soldaten der westlichen Angriffsallianz in Litauen Angriff und Verteidigung gegen die Russen. Eine Neocon-Zeitschrift träumt auch schon vom Dritten Weltkrieg.
von Rainer Rupp
In Anlehnung an Winston Churchills Bild vom "Eisernen Vorhang" hat nun ein Top-Kommandant der NATO Russland beschuldigt, einen "Bogen aus Stahl" zu errichten, der von der Arktis bis zum Mittelmehr reiche. Admiral Mark Ferguson, Chef des NATO-Kommandos in Neapel, verurteilte in seiner Rede vor dem Atlantikrat scharf die "Remilitarisierung der russischen Sicherheitspolitik". Das böse Russland habe "zur Abschreckung der US-Streitkräfte [...] modernste Luftverteidigungssysteme, Marschflugkörper und andere Waffensysteme eingeführt".
Es scheint, als ob Admiral Ferguson und seine hochgestellten NATO-Zuhörer schon so lange in der spiegelverkehrten Begriffswelt der NATO leben, in der Krieg als Frieden dargestellt wird, dass ihnen die Verteidigungsmaßnahmen des Kremls gegen den einzigartigen NATO-Aufmarsch an den russischen Grenzen als russische Bedrohung und Angriff gegen den "friedfertigen" Westen vorkommen. Aber wahrscheinlich handelte es sich dabei auch nur um Formulierungshilfen für die verfertigte Wahrheit, die dann in der Parallelwelt der unabhängigen, kritischen Leitmedien reproduziert werden soll.
Natürlich versucht die NATO, Russlands "Bogen aus Stahl" mit der "Speerspitze" der "Schnellen Eingreiftruppe" zu durchlöchern. Diese soll innerhalb kurzer Zeit mit bis zu 300.000 Soldaten der Kriegsallianz unter US-Führung an der Grenze Russlands in Osteuropa verstärkt werden können. Damit das im gegebenen Fall auch klappt, haben US-Streitkräfte von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer zu Lande, zu Wasser und in der Luft, allein im Jahr 2015 im Rahmen ihrer "Operation Atlantic Resolve" (Operation Atlantische Entschlossenheit) insgesamt 69 Militärmanöver in Osteuropa abgehalten, die in der Ukraine nicht mitgezählt. Die wichtigsten Manöver werden auf der beigefügten Karte des Pentagon gezeigt und eine detaillierte Liste aller Übungen hat das Pentagon auf seiner Webseite im Internet veröffentlicht.
Die Liste für das laufende Jahr 2016 wird noch länger werden. Dazu gehört auch das oben bereits erwähnte Manöver "Eisernes Schwert", das vom 16. November bis Mitte Dezember in Litauen durchgeführt wird. Zur gleichen Zeit veröffentlicht die neo-konservative US-Zeitschrift "Foreign Policy", die in atlantischen Kriegstreiber-Kreisen hoch angesehen ist, einen Artikel unter dem Titel: "Wie der Dritte Weltkrieg in Lettland beginnen könnte".
In dem viel beachteten Artikel breitet Paul D. Miller, ein ehemaliger Mitarbeiter des Weißen Hauses unter den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama, ein Szenario aus, das typisch ist für die kranken Gehirne der neokonservativen Intrigantenclique.
Der erste Teil seines Artikels besteht aus einer Schmähschrift auf den russischen Präsidenten Putin, der total irrational wäre und nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen geradezu besessen, die russische Hegemonie über das "nahe Ausland" anzustreben. Wörtlich heißt es:
Putin - und vielleicht mehr noch sein innerer Kreis - ist nicht nur nationalistisch. Der Kreml scheint von einer eigenartigen Form des russischen Nationalismus angetrieben zu werden, der durchzogen ist mit Religion, Schicksal und Messianismus. Folglich sieht sich Russland als Hüter des orthodoxen Christentums und hat eine Mission zum Schutz und zur Ausbreitung des Glaubens", so Miller über Putin, der also in Wahrheit ein orthodoxer Gotteskrieger ist.
Dann belehrt der Neocon seine Leser, dass ein wirklich rationales Russland die Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union nicht als Bedrohung sehen würde, denn "die liberale Ordnung [des Westens] ist offen und integrativ und sie würde die Sicherheit und den Wohlstand Russlands tatsächlich erhöhen". Aber für Putin und andere Russen, die "die Welt nur durch die Brille des russischen religiösen Nationalismus sehen, ist der Westen wegen seiner Entartung und seines Globalismus von Natur aus eine Bedrohung".
Aus Putins Sicht sei die NATO - wie könnte man auch nur auf eine solche Idee kommen?! - "nicht der wohlwollende Garant einer liberalen Ordnung in Europa, sondern der feindliche Agent des degenerierten Westens und das Haupthindernis für russische Größe". Daher ziele Putins Generalstrategie darauf ab, "die NATO zu brechen. Vor allem will er die gegenseitige Sicherheitsgarantie des Artikels V bedeutungslos machen", so Miller weiter.
Teilweise sei es dem Gottseibeiuns Putin schon durch die "russischen Invasionen Georgiens und der Ukraine" gelungen, […] die Glaubwürdigkeit der NATO zu zerstören". Daher habe Putin aktuell "das günstigste internationale Umfeld seit dem Ende des Kalten Krieges, um die russische Expansion fortzusetzen". Die europäische Einheit ist gebrochen. Allianzmitglieder hinterfragen den Wert des gegenseitigen Sicherheitspakts. "Und der nächste amerikanische Präsident scheint Russland offen gegenüberzustehen und bereit zu sein, Russlands unverantwortliches Verhalten zu entschuldigen", entsetzt sich der Autor.
Wo Gefahr ist, wächst aber das Rettende auch. Und Miller weiß, wie es doch dazu kommen könnte, dass eines Tages wieder "zurückgeschossen" werden könnte. Putins nächster Schritt, doziert der Schreibtischstratege, "gefährlicher sein als die vorherigen", weil er "wahrscheinlich in die baltischen Staaten einfällt, die jedoch NATO-Mitglieder sind". Er würde "keine großen Formationen von uniformierten russischen Soldaten über die internationale Grenze schicken, das könnten selbst die vorsichtigsten NATO-Mitglieder […] nicht ignorieren", mutmaßt Miller.
Stattdessen werde Putin "wahrscheinlich schon in den nächsten zwei Jahren eine mehrdeutige militärische Krise inszenieren und zwar mit Stellvertretern, zu denen jede direkte [russische] Beziehung verneint werden kann". Vielleicht würden russischsprachige Letten oder Esten [ein Viertel der Letten und Esten ist ethnisch russisch] mit dem Protest für ihre Rechte beginnen und behaupten, verfolgt zu werden und um "internationalen Schutz" bitten. Eine verdächtig gut bewaffnete und gut ausgebildete "Volksfront für die Befreiung der baltischen Staaten Russlands" würde auf der Bühne erscheinen. Ein paar hochkarätige Attentate und Bombenanschläge brächten die baltischen Staaten an den Rand des Bürgerkrieges, in dessen Folge sich ein Aufstand auf niedriger Flamme entwickeln könne.
An diesen Passagen kann man genau erkennen, dass der Autor Miller aus dem US-Handbuch für Regimewechsel abgeschrieben hat. Genau nach diesem Muster sind die US-Imperialisten in den zahllosen Umstürzen von demokratisch gewählten Regierungen rund um die Welt immer wieder vorgegangen. Und die "Sender Gleiwitz"-Nummer kann nicht alt und abgedroschen genug sein, als dass es nicht immer noch Leute gäbe, die in der Lage wären, auf False-Flag-Aktionen hereinzufallen.
Die Antwort auf die Frage, wie es dann zum Dritten Weltkrieg kommt, gibt uns Miller in aller Kürze dann am Ende seines Artikels: Demnach würden Polen und die baltischen Staaten alles tun, damit in der NATO der Artikel V ausgerufen würde, d. h. der kollektive Verteidigungsfall gegen die angebliche russische Aggression eintritt. Die Deutschen und Franzosen würden sich diesem hartnäckig widersetzen. Anschließend würde jeder auf die Vereinigten Staaten blicken.
Wenn aus Washington keine Unterstützung für Artikel V käme, wäre das das Ende der NATO. Wenn sich das Bündnis aber auf Artikel V berufen würde, wäre das "gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung des Westens gegen Russland", so Miller.
Mit anderen Worten: Trump müsste sich entscheiden, ob der Erhalt der NATO und die Verteidigung Lettlands es wert sind, den Dritten Weltkrieg zu führen.