Ein Teilnehmer einer regierungskritischen Demo trägt eine Armbinde mit der Aufschrift "Ungeimpft".
Mit dem Schuldspruch über die „Ungeimpften“ betritt zum ersten Mal offen das mythische Opfer, volkstümlich „Sündenbock“ genannt, die parlamentarische Bühne der Bundesrepublik. Das ist ein historischer Einschnitt ersten Ranges. Siebzig Jahre lang galt die Abwehr solcher „Tendenzen“ als gemeinsame Pflicht aller Demokraten, plötzlich wird das Mitmachen Pflicht. Ein Ethos verkommt zum Mittel des Totschlags. Das mag zyklische Gründe besitzen und im allgemeinen Werteverfall begründet sein, aber es ist vor allem bequem.
Die Umdeutung der Begriffe zum Zweck der Opfermarkierung folgt der Notwendigkeit, überhaupt argumentieren zu müssen. Die leidenschaftliche Argumentation der Gefährdungsanwälte ist weitgehend Schein: Auf ihrem Grunde ertönt die alte Leier der Alternativlosigkeit. Oberflächlich rational, folgt sie dem tief in der menschlichen Psyche verankerten Gefühl für das scheinbar Richtige, für das, was nottut, für das, was jetzt getan werden muss. Scheinbar deshalb, weil die angestrebte Abwendung der Tragödie sie erst heraufbeschwört.
Eine der Formen, unter denen der Mechanismus des „versöhnenden Opfers“ in Gang kommt, ist die Zwillingskonkurrenz. Je totaler die Konkurrenz, desto mehr gleichen sich die Konkurrenten in ihren Parolen, Methoden und Gesinnungen einander an. Das parlamentarische System, das die Konkurrenz der feindlichen Zwillinge um die Macht im Staat ein Stück weit unter seine Fittiche genommen hat, dient unter anderem bekanntlich dem Zweck, sie zu entschärfen, um den Taumelflug der Politik und damit der Gesellschaft ins Opfer zu verhindern. Kein Wunder daher, dass es im gleichen Maß, in dem es selbst ins Taumeln gerät, an Bedeutung verliert.
Als symptomatisch dafür dürfen üppig wuchernde Koalitionsverträge gelten, die der Regierungsbildung vorausgehen und Ausschlusscharakter besitzen. Nicht im kontinuierlichen parlamentarischen Austausch der Argumente, so das dahinterstehende Kalkül, sollen die „Regierungsvorhaben“ Bestand gewinnen, sondern im vorab zu erfolgenden Ausschluss des politischen Gegners. Man ist sich einig, dem Gegner, soweit er außerhalb des „Konsenses“ steht, auch künftig kein Gehör zu geben. Zu diesem Zweck zieht man die Grenzen der Legitimität enger, als das Grundgesetz es den Handelnden zugesteht: Wer den Konsens verlässt, dessen Stimme zählt nicht.
Wer als erster den Konsens verlässt, ist das „Volk“. Nicht etwa, weil es von Haus aus seinen Vertretern opponiert, sondern weil es sich herausnimmt, über dem im Hintergrund festgezurrten Konsens zu stehen und ihn von allen Seiten unter die Lupe zu nehmen. Wenn die Regierenden ihre gebündelten Vorhaben als „Projekt“ begreifen, dann betrachten die Regierten es als ihr gutes Recht, das Projekt nach Maßgabe ihres eigenen – naturgemäß sehr differierenden – Vorteils zu bereden.
Das demokratische Giftwort „Populismus“ ist wie geschaffen, die parlamentarische Repräsentation dieses elementaren Vorgangs nach Kräften zu unterbinden und dort, wo das nicht gelingt, zu zerrütten. Eine gewählte „Elite“ setzt sich mehr oder weniger souverän über die Belange des verfassungsmäßigen Souveräns hinweg. Die Mittel dazu wirken nicht besonders fein. Ein Parlament, dessen ehrenwerte Mitglieder ihre Hauptaufgabe darin sehen, Regierungsvorlagen abzunicken und in den Pausen dazwischen „den Populismus“ zu bekämpfen, spaltet sich automatisch in einen konformistischen Teil und seinen Widerpart, die Partei der Aussätzigen. Das Signal an die Gesellschaft verfügt über die Sprengkraft einer Pestwarnung: Die nicht!
Der einmal gefasste Entschluss, nicht mit den „Populisten“ zu reden, schleust das Opfer in seiner scheinbar homöopathischen Form ins politische Geschehen ein: als rituelles Opfer. Die ausgegrenzte Partei genießt vorderhand alle parlamentarischen Rechte, auch wenn sie in ihrer Ausübung nach Kräften behindert wird. Auf der Straße mag das anders aussehen, aber im Parlament laufen die Geschäfte, oberflächlich betrachtet, weiter as usual. Inzwischen kann das große Publikum lernen: Mit Populisten redet man nicht. Sie sind tabu.
Doch auf diese Weise ist Einmütigkeit der Regierten nicht zu erreichen. Es muss etwas geschehen. „Hate speech!“ giften die Regierenden und beschließen Maßnahmen zur Dämpfung von Volkes Stimme, assistiert von abgetakelten Meinungsführern, denen das Internet das Meinungsmonopol entzogen hat. Die öffentlichen „Hassredner“, als publizistischer Arm der „Populisten“ gebrandmarkt, dürfen praktisch nach Belieben von privaten Netzbetreibern zensiert werden, auch wenn Einzelne hier und da vor Gericht Achtungserfolge erzielen, die ihre „Moral“ aufrechterhalten, den Glauben an den Rechtsstaat eingeschlossen.
Mit der Einsetzung und indirekten Förderung der privaten Zensur ist ein weiterer wichtiger Zwilling gesetzt: die ausgegrenzte Meinung. Was im Parlament durch Manieren überdeckt wird, tritt hier offen zutage: jener Hass, gegen den sich angeblich die Gesetzeslage richtet. Ausgrenzer und Ausgegrenzte vereint erstmals der zügellose Affekt des Du oder ich: Wer immer vermittelnd zwischen die Fronten tritt, wird umstandslos der anderen Seite zugerechnet und erfährt den vernichtenden Furor, der hier am Werk ist, am eigenen Leib.
Der Zensierte ist der Sündenbock in vitro: Man kann ihn von allen Seiten betrachten und kommentieren, aber noch ist die Zeit nicht gekommen, ihn umstandslos für die Leiden der Gesellschaft verantwortlich zu machen und entsprechend zur Verfolgung freizugeben. Nur die Sitten werden rauer.
Die Spaltung der Gesellschaft in die Partei der Einmütigen und die Partei der Zwietracht ist damit fast vollendet. Fast perfekt ist auch die Wahrnehmungssymmetrie: „Spalter“ sind die Vertreter der jeweils anderen Seite. Was nicht ganz falsch ist, da Spaltung der Gesellschaft jetzt zum offen betriebenen, alle Sachthemen strukturierenden Geschäft der Meinungsmacher und ihrer Auftraggeber avanciert. Zu welchem Ende? Das wird man sehen. Wichtiger ist vorderhand: Es gibt kein Zurück.
Versetze die Bevölkerung in Panik und sie zeigt panische Reaktionen. So geschehen im Frühjahr 2020, als ein neu entdecktes Virus mit unklarem Gefährdungspotenzial aus der Klasse der Erkältungskrankheiten zum Weltfeind Nummer eins befördert wurde. Notsituationen stärken die in einer Gesellschaft vorhandenen Gemeinschaftselemente. Plötzlich ist Einmütigkeit unter den eben noch verfeindeten Parteien angesagt. Es schlägt die Stunde der Exekutive: Auf sie sind aller Augen gerichtet, sie muss es richten. Auch wenn das Übel fürs erste nicht zu bannen ist, muss sie den Weg zeigen, der „Leben wieder möglich macht“. Andernfalls, so die Befürchtung, geht die Menge über sie hinweg. Panik erleichtert das Regieren, verengt jedoch seine Perspektiven. Die Zwillinge, überwältigt vom Geschehen, ziehen für kurze Zeit an einem Strang.
Wie jedes Naturereignis folgt auch Panik ihren Gesetzen. Sie ist von begrenzter Dauer und sie zeitigt unterschiedliche Verarbeitungsmuster, darunter zwei besonders auffällige. Das eine besteht darin, vom Staat – der „Führung“ – alles zu fordern, das andere in aufkommender Scham darüber, einer Massensuggestion erlegen zu sein. Zu halbwegs autonomer Analyse und Risikobeurteilung befähigt offensichtlich allein das zweite, während das erste das persönliche Urteil zugunsten der Autoritäten suspendiert: Hauptsache, sie schaffen Sicherheit. Dieses immer wieder zu beobachtende Element der Urteilssuspension im Dienst einer zwanghaft imaginierten Sicherheit gilt es zu beachten: Es ist der Schlüssel zu dem, was in der Folge passiert. Man sagt, Angst schalte den Verstand aus, aber das trifft es nur halb.
Der menschliche Teil der Panik als modus operandi der Gesellschaft besteht im Ruf nach der Wiederherstellung von Ordnung um jeden Preis. Ein chaotisches Element ist ins Leben der vielen Einzelnen getreten und muss, koste es, was es wolle, beseitigt werden. In diesem „um jeden Preis“ liegt gerade das Element des Panischen. Die Frage ist, was passiert, sobald der zu entrichtende Preis – vielleicht nicht vollständig, aber andeutungsweise – sicht- und fühlbar wird, vor allem für den Fall, dass die neue Ordnung, die da entsteht, das Sicherheitsversprechen nicht einzulösen vermag, seine Einlösung sich vielmehr in eine unbestimmte Zukunft verschiebt, dafür aber in der Gegenwart das Leben der Einzelnen immer weiter einschnürt, „um Schlimmeres zu verhüten“. Dieses Schlimmere, z.B. der „drohende Zusammenbruch des Gesundheitssystems“ auf Grund ein paar fehlender, sprich: aus ökonomischem Kalkül ausgemusterter Krankenhausbetten, kann gar nichts anderes sein als der leibhaftig an die Wand gemalte Teufel. Kein Wunder also, dass die Gesellschaft in diesem mythischen Moment reif wird für den Sündenbock – den wirklichen Sündenbock, nicht etwa sein rituelles Ersatzbild.
Eine Politik, die an dieser Stelle nicht entschieden auf die Bremse tritt, sondern, im Gegenteil, unter Ausnutzung des fatalen Affekts, den Umbau des Systems in Richtung auf die rigidere Ordnung forciert, macht sich schuldig: schuldig vor den zerstörten Leben der Einzelnen, die sich schnell zu Vielen addieren, schuldig auch vor der Geschichte, soll heißen angesichts einer Vergangenheit, der man bei allen Werten der Zivilisation ein für allemal abgeschworen hat. Wirklich steht an dieser Stelle die Zivilisation auf dem historischen Prüfstand, wie etwa die australischen Lager für „positiv Getestete“ drastisch vor Augen führen. Eine Politik, die den Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit nicht findet (stattdessen kontrafaktische Exit-Strategien propagiert, deren Erfolg angeblich an der Verweigerungshaltung einer Minderheit scheitert), zeigt, dass sie zum Bestandteil des fatalen Sündenbock-Prozesses geworden ist, in dem ihre im Dienst realistischer Problembewältigung stehenden Steuerungsfunktionen sich langsam auflösen.
Der Sündenbock gilt, anders als der Feind, als schuldig im umfassenden Sinn, also vor allem am eigenen Versagen, das nicht nur der Erklärung, sondern auch der Auflösung harrt. Der feindliche Zwilling, also die wohlfeile Galerie von „Rechten, Querdenkern, Covidleugnern“, hat in dem Moment ausgedient, in dem der „Ungeimpfte“ als Quelle des gesellschaftlichen Unheils die Szene beherrscht: Er muss beseitigt werden … um jeden Preis, wie denn sonst, denn er allein blockiert die Erreichung des Ziels. So denkt es im Inneren dieses Vorgangs, dessen intimer Sinn in der Zerreißung des zivilisatorischen Vorhangs besteht. Die drastischen Vorschläge, wie sich die Ungeimpften am besten aus dem Weg räumen ließen, die jetzt von vereinzelten Politikern, Publizisten und, horribile dictu, allzu freigiebig ihren Ruf aufs Spiel setzenden Wissenschaftlern gestreut werden, sind beileibe kein Ausfluss einer speziell sadistischen Persönlichkeit, sondern Einfälle ganz normaler Menschen, irritierende Warnzeichen bezüglich der „Banalität des Bösen“, welche auf frühere Generationen so schockierend wirkte, dass sie immer wieder bestritten werden musste. Ihr Echo in der Gesellschaft ist beträchtlich.
Natürlich ist der Sündenbock nicht ursächlich schuld (an was auch immer). Er wird „schuldig“ durch symbolische Übertragung. Was nicht bedeutet, dass hier bloße Konvention am Werk wäre: „Nehmen wir einfach einmal an, es wäre so…“ Im Gegenteil, die symbolische Übertragung erzeugt erst die „tiefere Wahrheit“, Grundlage einer Überzeugung, die durch die Erwähnung von Tatsachen nicht mehr aufgebrochen werden kann. Wenn etwa die Ansteckungszahlen steigen, nachdem die Zahl der Ungeimpften drastisch zurückgegangen ist, dann wird die vermutliche Wirkungslosigkeit der Impfung (oder ihre Rolle als möglicher Ansteckungsfaktor) ein gesellschaftliches Tabu. Je mehr die Zahl der Sündenböcke schrumpft, desto mehr „Schuld“ wird auf die verbliebenen gehäuft: Ihre angenommene Gefährlichkeit wächst mit der Enttäuschung über den ausbleibenden Erfolg der Massenimpfungen in schwindelnde Höhen.
Die Covid-Krise gibt als eine Art Lackmus-Test Auskunft über den Stand der Erosion zivilisatorischer Standards, sprich: über den mittlerweile erreichten Grad an Ordnungsverlust – und damit einhergehendem Ordnungswahn – in den Ländern des Westens, die bereitwillig in den Notstandsmodus wechselten, als die Statistiken bereits auswiesen, dass das „Unheil“ sich in den Dimensionen und Bahnen üblicher Grippewellen bewegte. Was immer sie dazu trieb – sie haben das Chaos vervielfältigt, dessen Einbruch zu heilen sie für sich in Anspruch nahmen. Der laufende Prozess, man gebe sich da keinen falschen Hoffnungen hin, umfasst weit mehr als die „vorübergehende“ Suspension einiger Grundrechte. Er verändert das Verhältnis der Menschen untereinander ebenso wie ihr Verhältnis zur Macht – und der Macht zu den Menschen.
In dieser Hinsicht steht das zur „Impfpflicht“ (und damit zur beliebigen Prolongation der Krise) entschlossene Deutschland an der Schwelle zwischen Befremden und Entsetzen. Opfert es seine Sündenböcke, folgt also weiter der durch die Logik des „versöhnenden Opfers“ vorgezeichneten Bahn, dann wird es aufwachend feststellen, dass auch dieses Opfer „umsonst“ war, weil die kühle Faktenanalyse am Ende dem Bewusstseinsspuk aus überdrehter Propaganda, doppelzüngiger Wissenschaft und auf plumpe Täuschung vertrauender Politik ein unrühmliches Ende bereiten wird. Und da keine Gesellschaft ohne die Verteilung von Schuld auskommt, wird das einmal Geschehene auf diejenigen zurückfallen, die heute mit den ernsten Mienen von Leuten, die wissen, wo’s langgeht, den Sündenbock präparieren.
Der Milliardenmarkt der Krankheitsbranche wächst und wächst - und damit auch die von ihr verursachten Verheerungen. Nach Krebs und Herzinfarkten stehen auf Platz drei der Exitus-Liste die von Ärzten und durch Medikamente verursachten Todesfälle. Bestsellerautor Sven Böttcher räumt in seinem Buch „Rette sich, wer kann. Das Krankensystem meiden und gesund bleiben“ gründlich auf mit unseren falschen Prämissen, korrigiert tödliche Wahrnehmungsfehler und zieht die Konsequenzen: Gesundheit und ein langes Leben sind jederzeit möglich. ist
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