von Georg Gafron
Unter den fundamentalen Grundrechten einer Demokratie gebührt dem Recht auf freie Meinungsäußerung ein besonders hoher Stellenwert. Nicht ohne Grund sind für seine Einschränkung genau festgelegte Kriterien notwendig. Nach bislang unangefochtener Rechtsauffassung sind diese durch das Strafrecht definiert. Niemand soll willkürlich und nach Lust und Laune eine andere Meinung verbieten oder unterdrücken können!
Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes zur Meinungsfreiheit in der vergangenen Woche ist das nun anders. Die Richter ermunterten die Verantwortlichen bei Facebook geradezu, sogenannte „Hasskommentare“, auch ohne dass eine Verletzung des Strafrechts vorliegt, zu unterbinden. Stellt sich da doch sofort die Frage, wer legt eigentlich fest, was ein „Hasskommentar“ ist. Ein Verantwortlicher von Facebook, der, möglicherweise als Mitglied einer Partei oder einfach wegen seiner Gesinnung, einen Text ganz anders bewertet als sein Kollege von nebenan. Offensichtlich gehen die Richter davon aus, daß „Hasskommentare“ à priori rechtsextremistischem Gedankengut entspringen. Hier mag ein Konsens ja noch schnell gefunden werden können. Wie ist es aber, wenn Vertreter der Antifa (also angeblich die auf der guten Seite) Morddrohungen gegen Andersdenkende absetzen und Gewalt offen anpreisen? Wie schnell bleibt da die soviel gepriesene Gleichheit vor dem Gesetz auf der Strecke?
Die Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen. Die Rechtsfindung wird beliebig, je nachdem, was gerade gewünscht wird. So etwas kannte man in Deutschland bislang nur zwischen 1933 und 1945, und – nicht zu vergessen – in einem Teil Deutschlands unter sowjetischer Herrschaft noch ein bißchen länger, bis 1990. Die von der Staatssicherheit als Grundlage für Ermittlungen herangezogenen Paragraphen des Strafgesetzbuches waren die umgangssprachlich sogenannten Zweihunderter-Artikel, also das politische Strafrecht. Besonders gern bediente man sich dabei des Paragraphen 220 (Staatsverleumdung). Das konnte ein Witz in der Pause gegenüber Kollegen sein, eine kritische Meinung zu Aussagen der SED und vieles andere. Was das so genau war, bestimmte die Staatssicherheit selbst, jeweils abhängig von der vorgegebenen politischen Linie. Auf alle Fälle ging es bei 220 nie unter zwei Jahren Zuchthaus ab, ganz zu schweigen von „staatsfeindlicher Hetze“ und „Herabwürdigung der DDR oder ihrer Repräsentanten“. Die Folge derartiger Rechtsunsicherheit schafft Verunsicherung und Ängste. Es entsteht ein Klima des Duckmäusertums und des Misstrauens gegenüber allem und jedem. Spätestens dann ist die Stunde der Denunzianten und geheimen Lauscher gekommen. Das zwischenmenschliche Klima verändert sich, dauernd schaut man sich um und achtet beispielsweise darauf, wer im Restaurant am Nebentisch sitzt. Es ist so, als ob sich eine bleierne Decke herabgesenkt hätte.
Man stelle sich vor – ein früheres Verfassungsgerichtsurteil, nachdem die Bezeichnung unserer Soldaten als Mörder möglich ist, könnte dazu dienen, demnach auch unsere Polizei als „staatlich eingesetzte Knüppelrowdies“ im Umgang mit Demonstranten anderer Meinung bezeichnen. Gerade in letzter Zeit hat die Polizei mit unverhältnismäßiger Härte Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung unterbunden, und im Gegensatz dazu sich bei gewalttätigen Ausschreitungen Linksradikaler auffallend zurückgehalten. Nun bin ich kein Jurist, aber für mich ist beides nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Unser Staat und unsere Justiz täten wirklich gut daran, einmal grundsätzlich über diese Fragen nachzudenken.
Merkwürdig muß auch stimmen, dass die Bundesregierung ausgerechnet über in China bereits eingesetzte technische Systeme, die die vorgegebenen sozialen Verhaltensregeln überwachen sollen, forschen lässt. Vielleicht gehört in nicht allzu langer Zeit auch der Gebrauch der Gender-Sprache dazu. In China existiert ein Punkte-System. Wer negativ auffällt, erleidet gesellschaftliche Benachteiligungen vom Verwehr einer Urlaubsreise bis zur Verweigerung eines Studienplatzes. Viele haben die Realität im Unrechtsstaat DDR wieder vergessen, und Merkel selbst sorgt dafür, daß unliebsame Personen, wie der unter fadenscheinigen Umständen gefeuerte langjährige Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, im Nichts verschwinden. Zum Schluß noch ein paar Zahlen. Die DDR hatte etwa 17 Mio Einwohner. Neben der Einbindung in für jede Altersgruppe geschaffenen Organisationen, von den Jung-Pionieren bis zur Volkssolidarität im Alter, wachten 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter, die von 180.000 inoffiziellen Mitarbeitern (Spitzeln) unterstützt wurden, über die Menschen im SED-Staat. Damit entfielen auf 90 Einwohner ein Spitzel. Wenn man dazu bedenkt, daß die Ermittlungen des Geheimdienstes nicht alle Teile der Gesellschaft gleich intensiv erfassten, lässt sich der Verfolgungsdruck ermessen. Er war in der DDR größer als in jedem anderen Land des Ostblocks, einschließlich der Sowjetunion. Doch bis es wieder soweit ist, ist die Freiheit längst gestorben.