Christopher Street Day: Zehntausende Menschen feierten am 24. Juli 2021 in Berlin
Im alten Preußen gab es ein Dreiklassen-Wahlrecht. In der neuen Bundesrepublik gibt es ein Zweiklassen-Demonstrationsrecht. Kritikern der Corona-Maßnahmen wird inzwischen fast schon routinemäßig in vielen Orten ein Grundrecht verweigert, das laut unserer Verfassung eigentlich unveräußerlich sein sollte: Das Recht, sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln.
Wer indes Gegendemonstrationen gegen solche Kundgebungen durchführen will, darf ebenso regelmäßig damit rechnen, dass sie genehmigt werden. Wie am heutigen Samstag in Kassel. Eine geplante Demonstration von Maßnahmen-Gegnern wurde verboten – ihre Gegner dagegen durften ungehindert aufmarschieren. Was schon ein Widerspruch in sich ist. Parallel galt auch in der Kasseler Innenstadt ein „temporäres“ Maskengebot – Kritiker argwöhnten, es sei gezielt gegen potentielle Demonstranten gerichtet gewesen. Da läge dann der Verdacht nahe, dass hier gezielt rechtsmissbräuchliche Regeln erlassen werden, um Kritiker der Regierungspolitik zu behindern.
Der zuständige Verwaltungsgerichtshof zeigte sich ganz staatsnah und bestätigte das Verbot: Aus seiner Sicht hat die Stadt „die überzeugende Prognose gestellt, dass es bei der Durchführung der angemeldeten Versammlung wiederum zu Verstößen gegen derartige Auflagen und Verbote kommen werde“, zitiert das Lokalblatt HNA die Richter:
„Da die Anmelderin von etwa 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgehe, könne die Polizei solchen Verstößen nicht effektiv begegnen. Daher bestehe eine ‘Gefahr für Leib und Leben der Allgemeinheit durch die weitere Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus‘.“
Gleichzeitig konnten in Berlin seelenruhig 65.000 Teilnehmer des Christoper-Street-Days auf die Straße. Und die Nicht-Einhaltung der Hygieneregeln war dort offenbar auch kein Problem – obwohl sie bei Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen in der Hauptstadt akribisch verfolgt werden. Und Teilnehmer ohne Maske regelmäßig in Polizeigewahrsam genommen werden.
Die Tagesschau in der ARD führte ihre Zuschauer in die Irre, indem sie in der Anmoderation ein Bild einblendete, unter dem geschrieben stand, es habe ein Abstandsgebot gegeben. Formal mag das stimmen – die Bilder sprechen allerdings eine ganz andere Sprache. Allerdings nicht die, die in der Tagesschau gezeigt wurden. Selbst der Reporter vor Ort trug eine Maske und sagte, die meisten Teilnehmer hätten sich an die Maskenpflicht gehalten.
Trotz dieses völlig offensichtlichen Zwei-Klassen-Demonstrationsrechts verweisen die Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Bundespressekonferenz fast schon regelmäßig darauf, wie wichtig, ja heilig, ihnen das Demonstrationsrecht ist. Und klagen bitter über andere Länder, in denen regierungskritische Demonstrationen unter Verweis auf Corona verboten werden.
Wenn Doppelmoral stinken würde, müsste man das Kanzleramt und viele Behörden, die für Kundgebungen zuständig sind, weiträumig sperren. Im selbsternannten „besten Deutschland aller Zeiten“ (BeDaZ – nicht zu verwechseln mit GröFaZ) gilt das Grundgesetz in voller Ausprägung offenbar nur noch für diejenigen, die dem quasi-amtlichen Zeitgeist huldigen und der Regierung die nötige Ehre und Anerkennung erweisen.