Symbolbild: Verkehrsschild unter Wasser
von Georg Etscheit
In vormodernen Zeiten war jedes sich ankündigende Unwetter eine unmittelbare Bedrohung für Leib, Leben und Besitz. Damit das Unheil an einem vorüberziehen möge, stellten die Bauern Wetterkerzen ins Fenster, fielen auf die Knie und beteten. Im Altöttinger Kapell-Laden wurden 1817, wohl wegen des gewitterreichen Sommers, 270.358 Stück abgesetzt, so viele wie nie zuvor. Wenn es einen traf, wenn ein Blitz einschlug und der Hof abbrannte, wenn eine Flutwelle oder ein Sturm all das, was Generationen zuvor geschaffen hatte, dem Erdboden gleichmachte, waren die Menschen ohne Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Elementarschadenversicherung oft auf sich allein gestellt und mussten, so sie überlebt hatten versuchen, wieder von vorne beginnen.
Heute ist dieses Gefahrenbewusstsein weitgehend verlorengegangen. Das zeigen auch Bilder von der jüngsten Flut in Eifel und Bergischem Land, wo Schaulustige die steigenden Wassermassen vom vermeintlich sicheren Ufer aus betrachteten und ihre Handys zückten, um den Lieben daheim hübsche Fotos von den Naturgewalten ins Wohnzimmer zu schicken. Auch bei einem heftigen Gewitter freuen sich viele Menschen, anstatt sich zu ängstigen, und genießen den ungewohnten Nervenkitzel. Natur ist meist keine reale Bedrohung mehr, sondern ein gefährdetes Subjekt, dem man Schutz und Hilfe angedeihen lässt, von der Bienenrettung bis zum „Klimaschutz“.
Wenn dann wirklich einmal die immer noch weitgehend unberechenbaren Kräfte der Natur gnadenlos zuschlagen und wie jetzt an Ahr und Rur innerhalb weniger Stunden Chaos, Verwüstung und Tod hinterlassen, wird sogleich die Frage gestellt, wie „so etwas“ passieren könne. Reflexartig wird nach Verantwortlichen gesucht und Politiker aller Couleur eilen in die Katastrophengebiete, um Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Nichts ist ihnen verhasster, als hilflos dazustehen und sagen zu müssen, dass „so etwas“ eben passiert, dass man das Ausmaß des Unglücks nicht habe voraussehen können und man leider nicht mehr tun könne, als aufzuräumen und die Opfer zu betrauern. Demut vor den Naturgewalten, gar vor Gott als deren Dirigenten, ist keine Option im Zeitalter anthropozentrischen Allmachtsglaubens. Selbst die Kirchen organisieren keine Bittprozessionen mehr, um im Angesicht der Naturgewalten die Hilfe Gottes und der Heiligen zu erflehen. Sie assistieren höchstens bei der öffentlichen Trauerfeier für die Opfer.
Mit dem Klimawandel, respektive der „Klimakrise“ existiert zudem ein Narrativ, das als Erklärung für nahezu jedes Wetterphänomen herhalten muss. Ob ungewöhnliche Schneemassen im Winter, ob Dürre oder Sturzfluten, Hitzewellen oder ein Tornado. Schuld ist immer der Mensch selbst und die von ihm verstärkte Erderwärmung. Und jagt mittlerweile nicht ein „Extremwetterereignis“ das andere? Gerade erst eine „historische“ Hitzewelle in Kanada und den USA, jetzt „nie dagewesene“ Sturzfluten in Deutschland. Man erinnert sich auch noch an Bilder des überschwemmten Markusplatzes in Venedig und der Golden Gate Bridge im Feuerschein brennender Wälder. Immer heißt es, „seit Menschengedenken“ habe es nichts Schlimmeres gegeben und die Medien konstruieren daraus ein permanent sich steigerndes Horrorszenario. Der Weltuntergang steht unmittelbar bevor, wenn nicht jetzt und sofort gehandelt wird!
Doch die statistische Wirklichkeit ist ernüchternd banal. Wie selbst der regierungsamtliche Deutsche Wetterdienst (DWD) auf Anfrage noch einmal bestätigt hat, gibt es derzeit keine belastbaren Daten, die darauf hinweisen, dass solche Extremwetterereignisse zugenommen hätten, aus welchen Gründen auch immer. „Tatsächlich ist es so, dass sich die Vermutung festigt, dass Starkregen in Zukunft intensiver und häufiger auftreten wird. Diese Änderungssignale sind aber in Deutschland regional und auch jahreszeitlich recht unterschiedlich. Allgemein sind extreme Einzelereignisse zunächst kein Beleg für den Klimawandel. Nur langjährige Beobachtungen können zeigen, ob die Häufigkeit bestimmter Ereignisse zugenommen hat oder nicht. Gerade bei extremen Ereignissen, die also nur selten vorkommen, ist es besonders wichtig, einen sehr langen Zeitraum zur betrachten. Ob der Klimawandel nun genau dieses oder jenes Unwetterereignis verstärkt hat, kann leider nicht ohne weiteres oder gar pauschal beantwortet werden.“
Die gewundene Formulierung der amtlichen Wetterforscher kann man auch so ausdrücken: Nichts Genaues weiß man nicht. Ihr Blick richtet sich nur in die Zukunft und die von ihnen herangezogene Klimamodelle, die einen mehr oder weniger deutlichen Anstieg bei Überschwemmungen im Zusammenhang mit der Erderwärmung errechnen, sind besonders unzuverlässig, wenn es darum geht, hydrologische Ereignisse in Vergangenheit oder Zukunft abzubilden.
Der Spiegel berichtete übrigens schon 2016 über schwere Unwetter und die „bizarre Sehnsucht nach dem Klimawandel“ und berief sich dabei ebenfalls auf Mitteilungen des DWD und des Umweltbundesamtes, die keine Trends bestätigen konnten. Heute versteht sich das „Nachrichtenmagazin“ als Zentralorgan der Klimaapokalyptiker und lässt keinen Tag verstreichen, um die Panik nicht noch ein wenig mehr anzuheizen.
Doch die ernüchternde Botschaft des Spiegel-Berichts ist längst ebenso der Vergessenheit anheimgefallen wie die zahllosen Flutkatastrophen, die immer wieder auch über Deutschland hereingebrochen sind und die man an historischen Flutmarken im ganzen Land ablesen kann. So wurden weite Teile Europa nicht im Zeitalter der Klimakrise von den verheerendsten Überflutungen heimgesucht, sondern zu Beginn der sogenannten Kleinen Eiszeit im Jahre 1501, an der oberen Donau als „Himmelfahrtsgieß“ bekannt. Nur die Magdalenenflut im Sommer 1342 könnte noch höher aufgelaufen sein, doch hier fehlen halbwegs zuverlässige Messungen. Auch im engen Ahrtal kam es immer wieder zu verheerenden Überschwemmungen, die zweifellos durch andauernde Zersiedelung und Flächenversiegelung verstärkt werden. Oft gibt es auch sogenannte Ereigniscluster in denen sich Jahre in Folge bestimmte extreme Wetterphänomene häufen. Die Gründe sind weitgehend unbekannt.
Doch die Macht der Bilder ist gebieterisch und kann den Fakten ebenso wenig standhalten wie Häuser, Brücken und Straßen der Sintflut. Wer sieht, wie sich ein sonst friedlicher Fluss, an dessen Gestaden sich liebliche Weingärten entlang ziehen, zum tobenden Monster wird, das alles verschlingt, was ihm im Wege steht und eine Schneise blanker Verwüstung hinterlässt, dem kann auch am Flachbildfernseher, wo diese Bilder in Endlosschleife laufen, Angst und Bange werden. Es scheint, als werde da immer noch und immer aufs Neue eine in alle eingeschriebene Urangst aktiviert, die Angst vor den unberechenbaren Naturgewalten, gegen die der Mensch trotz all seiner Technik und Wissenschaft immer noch weitgehend machtlos ist.
Beim Betrachten dieser Bilder beschleicht einen noch eine andere Angst. Die nämlich, dass unsere Politiker diese Bilder und ihre Wirkung auf das Publikum dafür nutzen, wieder einmal „alternativlose“ Maßnahmen zu verkünden. Man nennt das den Fukushima-Effekt. Im Banne der Live-Aufnahmen der explodierenden Reaktorgebäude nach dem Mega-Tsunami im fernen Japan verordnete die Kanzlerin 2011 den endgültigen Atomausstieg, um den Grünen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg das Wasser abzugraben, was bekannterweise misslang.
Auch in diesem Jahr stehen Wahlen an, sogar Bundestagwahlen, und der Kanzlerkandidat der Union, dem der Sieg (noch) sicher scheint, ist Ministerpräsident jenes Landes, in dem sich die Flutwelle ereignet hat, die zuerst von der grünen Co-Fraktionsvorsitzenden Göring-Eckhardt als unbedingte Folge der Klimakatastrophe klassifiziert wurde, verbunden mit der Forderung „dringend Veränderungen herbeizuführen“. Jener Ministerpräsident wurde jüngst von einem Grünen der Mitschuld an den Hitzetoten in Kanada geziehen, weil er es gewagt hatte, für sein Land einen Mindestabstand von gerade mal 1000 Metern zwischen Wohnhäusern und 300 Meter hohen Windkraftwerken einzuführen.
Wäre es völlig undenkbar, wenn die Kanzlerin in den nächsten Tagen vor ihr Volk träte und verkündete, das Kabinett habe gerade den Klimanotstand über das ganze Land verhängt, verbunden mit zahlreichen Sofortmaßnahmen: Vollständiger Kohle- und Verbrennerausstieg bis 2025, und 10 000 neue Windräder pro Jahr, gebaut vom Staat in Eigenregie, wobei leider auf die Befindlichkeiten einiger Betroffener keine Rücksicht genommen werden könne, schließlich gehe es ums Ganze. Und wenn der Strom einmal ausfiele, was auch in anderen Ländern wie Indien vorkomme, dann könne man sich im Winter ja, würde die Kanzlerin in ihrem Schwurbeldeutsch verkünden, „nen warmen Pullover“ überziehen. Überhaupt: Wir schaffen das“, würde sie sagen vor Deutschland-, Europa- und NRW-Fahne, wir hätten ja auch Corona besiegt, mehr oder weniger jedenfalls. Und wir würden jetzt profitieren von dem, was wir in der Coronakrise gelernt hätten.