Die amerikanische Regierung fragt sich, wie es mit der Ukraine nach den Wahlen weitergehen kann. Foreign Policy formuliert Wünsche an die Ukrainepolitik einer kommenden Regierung Clinton.
von Wladislaw Sankin
Wie amerikanische politische Personalplanung in der Außenpolitik funktioniert, kann man aktuell in Foreign Policy nachlesen. Anlass für den Artikel "Was wird Ukraine ohne Onkel Joe machen?" ist das bevorstehende Ausscheiden von Joe Biden als Vize-Präsident.
Es ist bekannt, dass dieser die Rolle des US-amerikanischen Chefaufsehers für die ukrainische Angelegenheiten spielte. Diese übte er in einer "einzigartigen und wertvollen" Art und Weise aus, die "schwer nachzumachen" sein werde, so Natalie Jaresko, die ehemalige hochrangige Beamtin des Außenministeriums, die im Jahr 2014 in das Amt der Finanzministerin der Ukraine wechselte.
Zusammen mit Victoria Nuland und John McCain managte Biden die Ukraine-Krise. Außenpolitik-Experten sind sich nicht sicher, ob die neue Regierung in der Lage sein wird, einen adäquaten Ersatz für ihn zu finden. Insbesondere dann, wenn der republikanische Kandidat Donald J. Trump gewinnen sollte, könnten westlich-hegemoniale Blütenträume jäh zerplatzen.
An dieses Szenario will in der ukrainischen Führung keiner denken. Denn Trump hat ihrer Meinung nach "kein Herz" für die Ukraine, insbesondere vermag er dort keinen "russischen Einmarsch" auszumachen und meint, den Menschen auf der Krim gehe es in Russland viel besser als in Ukraine. Dies äußerte er erst jüngst wieder in einem Interview mit dem amerikanischen Sender ABC.
In der Ukraine äußerte sich der ehemalige ukrainische Premier Arsenij Jazenjuk, der nach Meinung von Beobachtern seine steile politische Karriere ab dem Maidan-Putsch vor allem US-amerikanischer Protektion verdankt. Trumps Bemerkungen, so Jazenjuk, hätten "die Werte der freien Welt, die zivilisierte Weltordnung und das Völkerrecht" verletzt. Dagegen sei Hillary "die Vorkämpferin für die Ukraine. Sie weiß alles über die Ukraine."
Man muss kein Prophet sein, um abschätzen zu können, dass sich die ehemalige US-Außenministerin persönlich um die Ukraine kümmern wird, und diese zur Chefsache machen wird, falls sie die Präsidentschaftswahlen tatsächlich gewinnen sollte. In diesem Fall könnte Joe Biden sogar den Posten als Außenminister bekommen, spekulierte Foreign Policy. Was diese Berufung für die Welt bedeuten könnte, legen die Autoren wie folgt dar:
Der Einfluss des Vizepräsidenten beruht weitgehend auf der Kraft seiner großen Persönlichkeit und seiner langjährigen Erfolgsgeschichte bezüglich der Förderung einer robusten amerikanischen Rolle in Osteuropa - von der Unterstützung der Erweiterung der NATO bis auf das Durchdrücken der US-Militärintervention auf dem Balkan in den Neunzigern.
Ob dieser Wechsel realistisch ist, sei dahingestellt. Entscheidend ist der Wunsch in Clintons Umfeld nach einer Außenpolitik, wie sie Joe Biden verkörpert. Angesichts dieser Meriten, könnte die hegemonial-interventionalistische, auf der Überlegenheitsideologie basierende Außenpolitik keine ausdrucksstärkere Verkörperung finden. Ungeachtet der Rolle des "ukraineaffinen" außenpolitischen Duos aus Clinton und Biden sollte im neuen Kabinett auch ein eigener Beauftragter, wie es Biden für die Ukraine war, nicht fehlen.
Der aktuelle Artikel liest sich deshalb wie eine Anleitung für diejenigen, die in einer möglichen Clinton-Regierung den Staffelstab von Biden in der Betreuung der Ukraine übernehmen sollen - idealerweise in Bidens "very hands-on" Manier.
Dafür ist gewiss nicht jeder geschaffen. Der oder die Betreffende sollte jene Herrschaftlichkeit genauso glaubwürdig ausstrahlen können wie es dem grauhaarigen Veteran amerikanischer Politik in den zweieinhalb Jahren nach dem Maidan in der Ukraine eigen war. Sich in einem fernen Land im Präsidentensessel adäquat platziert oder vor Rednerpult im Parlament von Anfang an sicher zu fühlen, das schafft wahrlich nicht jeder. Die Sitzung im ukrainischen Parlament, die Joe Biden am 22. April 2014 leitete, ging als Sinnbild für die öffentliche Unterweisung einer Marionettenregierung um die Welt.
Wie in pädagogischen Ratgebern nachzulesen ist, soll diese "Bezugsperson" auch eine "strenge Hand" zeigen können. Legendär ist z. B. die Vergabe einer Kreditbürgschaft von einer Milliarde Dollar, die Biden im Frühjahr 2016 im Tausch gegen die Neubesetzung des Postens des Generalstaatsanwalts veranlasst hat. Jeder Besuch "Onkel Joes" im Kindergarten der ukrainischen Politik markierte dort bislang irgendeine Zäsur.
Am schwierigsten wird es aber wohl werden, mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie der US-amerikanische Noch-Vize bei jeder Gelegenheit die unschöne ukrainische Korruption zu geißeln, aber gleichzeitig im ukrainischen Gas-Geschäft einem Unternehmen den Weg freizumachen, in welches er selbst familiär verstrickt ist.
Diese Pikanterie ist sogar der deutschen Mainstreampresse nicht verborgen geblieben. Doch als dies geschah, sollte der Grund für diese kleine "delikate" Enthüllung, speziell für SPON, eher im Bestreben liegen, der "russischen Propaganda" und deren Bestreben, die "Maidan-Revolution" zu diskreditieren, die Deutungshoheit zu entziehen.
Für ein Herrschaftssystem der Welthegemonie, das die Zeitschrift Foreign Policy nicht hinterfragt, ist es folgerichtig, dass das Gebiet, das man eingliedern will, auch militärisch verteidigt werden soll. Ganz deutlich war im Artikel nachzulesen, wie ungeduldig und gereizt die Militärlobby auf Obamas Zögerlichkeit reagiert hat, als es darum ging, der Ukraine "tödliche Waffen" zu liefern.
Mit der erhofften Neubesetzung im Weißen Haus könnte jedoch - so glauben die Autoren - der Weg frei sein für solche Entscheidungen. Bis jetzt läuft zwischen Kiew und Washington militärisch all das, was mit einem Nicht-NATO-Staat laufen kann, und das im Überfluss. Auf jeden Fall gilt als sicher, dass die neue Administration zunächst versuchen wird, auf dem Feld der "Minsker Gespräche" vorzupreschen:
Die Zeit ist gekommen, dass die Vereinigten Staaten eine führende Rolle in den Gesprächen übernehmen, anstatt diese an Paris und Berlin zu delegieren.
Es sieht also nicht danach aus, als ob die Autoren wirklich traurig darüber wären, dass "Onkel Joe" künftig die Ukraine nicht mehr wie bisher auf dem persönlichem Weg über ihren Präsidenten lenken kann. Das "Fenster der Möglichkeiten", das sich der kommenden amerikanischen Führung mit dem Ausscheiden des "konfliktscheuen" Präsidenten Obama eröffnen könnte, macht das Fehlen des Vize-Präsidenten in der Position des Oberaufsehers für die Ukraine wieder wett.