_ von Michael Kumpmann
König T’Challa herrscht über ein Reich, in dem Traditionsbewusstsein und Patriotismus Selbstverständlichkeiten sind. Das Volk ist in seinen Stämmen zwar divers, ethnisch jedoch homogen. Die Menschen ehren ihre Ahnen, man praktiziert einen archaisch anmutenden Kult um einen Panthergott, setzt aber zugleich auf technologischen Fortschritt, der dem Land enormen Wohlstand beschert hat. Dessen Quelle ist ein vielfältig einsetzbarer Rohstoff, ein Metall namens Vibranium, über das keine andere Nation verfügt.
Dieses Geheimnis der Autarkie gilt es zu hüten. Nie haben Fremde das Land entdeckt oder gar erobert – und so soll es auch bleiben. Man schottet sich von der Außenwelt ab, Grenzen werden gesichert, die Regierung achtet penibel darauf, wer hineinkommt und wer nicht. Nicht willkommen sind Flüchtlinge – sie würden, wie ein Berater des Königs munkelt, nur für Unruhe sorgen und dazu beitragen, dass Wakanda, so der Name des Reiches, seine Exklusivität verlöre. Deshalb werden die hoch technisierten Wolkenkratzerstädte, durch die Ufo-artige Fluggeräte schweben, mit modernster Waffentechnik verteidigt – und mit den Kräften von Superhelden.
Dieses Szenario stammt nicht aus der Feder von Robert A. Heinlein, der in seinem berühmten Science-Fiction-Roman Starship Troopers (1959) einen ähnlich starken, selbstbewussten und wehrhaften Staat beschrieb. Es ist die Rahmenhandlung der Marvel-Verfilmung Black Panther (2018), die fast ausschließlich mit Afroamerikanern besetzt ist. Regie führte mit Ryan Coogler ebenfalls ein Farbiger. Das schwarze Utopia ist eine Art Zukunfts- und Sehnsuchtsort, in dem die Probleme vieler heutiger US-Ghettos – die konservative schwarze Aktivistin Candace Owens zählt dazu unter anderem Drogenkriminalität, eine hohe Scheidungsrate oder Bildungsdefizite – nicht existieren. Wakanda ist dem Rest der Welt überlegen – nicht nur technologisch und politisch, sondern auch moralisch und spirituell.
Der Film ist das wohl prominenteste Beispiel einer kulturellen Strömung, die der US-Autor Mark Dery – ein Weißer – in seinem Essay Black to the Future (1994) als Afrofuturismus bezeichnet. Diese Nischenkunst schwarzer Amerikaner vermengt religiöse Themen und Aspekte der afrikanischen Kultur mit Science-Fiction-Motiven, nicht nur in Erzählungen, sondern auch in der Musik. So soll eine neue schwarze Identität in der Diaspora erschaffen werden.
Neben einem antikolonialistischen Grundimpuls ist hierbei vor allem eine spirituelle Weltsicht kennzeichnend, die Ähnlichkeiten mit indoeuropäischen, fernöstlichen und orientalischen Anschauungen aus vorchristlicher Zeit aufweist und die dem Traditionalisten René Guénon zufolge zu den unverwechselbaren Kennzeichen einer Philosophia perennis – einer über alle Zeiten hinweg und in allen Kulturen gültigen Weisheit – zählt. Viele der ursprünglichen afrikanischen Stämme, insbesondere die Zulu, gingen von einem zyklischen Verlauf der Geschichte aus, der sich in vier Äonen vollzieht. Demnach sei ein ewiger Kreislauf von Aufstieg, Niedergang, Wiederaufstieg und erneutem Verfall quasi kosmisches Gesetz. Die Ankunft der britischen Kolonialherren auf dem afrikanischen Kontinent markiere den Beginn des gottlosen und dunklen Zeitalters der Gegenwart, das in der hinduistischen und buddhistischen Überlieferung Kali Yuga genannt wird.
Abgespaced: Der Jazz-Musiker war der Überzeugung, Mitte der 1930er Jahre von Aliens entführt worden zu sein. Foto: RCA Records
Afrofuturisten kritisieren, dass Schwarze infolge ihrer Verschleppung nach Nordamerika stets in ein dialektisches Verhältnis zu den Weißen gesetzt worden seien – zunächst als deren Sklaven, später als Opfer fortwährender Diskriminierung. Afrikanische Identität könne weder auf reiner Negation der weißen Mehrheitsgesellschaft noch auf Umkehrung der Rollen basieren, sondern auf Herausformung des Eigenen – unabhängig von anderen. Es handelt sich also nicht um eine anti-weiße und somit rassistische, sondern eine ethnopluralistische und identitäre Idee. Damit ist sie quasi das Gegenstück zu Black Lives Matter, aber auch zum modernen Multikulturalismus.
Die spirituelle Dimension des Afrofuturismus hat niemand so verkörpert wie Sun Ra. Der 1914 als Herman Poole Blount in Birmingham im US-Bundesstaat Alabama geborene und ebendort 1993 verstorbene Jazz-Pianist war ein ausgesprochener Exzentriker, der lieber in öffentlichen Parks über Altertumsgeschichte, Philosophie und Raumfahrt diskutierte, als in verrauchten Klubs abzuhängen. Vor allem aber studierte er – ähnlich wie der US-amerikanische Scifi-Autor Philip K. Dick (The Man in the High Castle) – religiöse und okkulte Lehren wie die Kabbala und mythologische Quellen. Daher auch sein Künstlername: Ra ist der Name des antiken ägyptischen Sonnengottes. (…) Ende des Textauszugs.