Gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung kommt es immer wieder zu Demonstrationen, wie hier in Berlin, als 15.000 Menschen für die Belange der Veranstaltungsbranche auf die Straße gingen. (09. September 2020)
von Gert Ewen Ungar
Zwei Wochen ist es nun her, dass in Berlin eine überschaubare Anzahl an Covidioten und Rechtsradikalen gegen die sinnvollen Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung protestiert haben. Die Mehrheit der Bundesbürger, so vermitteln uns Umfragen, würde die Maßnahmen mittragen und sogar eine Ausweitung begrüßen. Das ist zumindest die Nachricht, die der Mainstream und die Politik über die Querdenken-Demo vom letzten Augustwochenende verbreitet.
Wer auf der Demonstration war, kann sich über eine derartige Berichterstattung nur verwundert die Augen reiben. Die Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni war bunt und friedlich. Im Gegensatz zu der Gegendemonstration der Antifa, die von sehr uniformer Einheitlichkeit in ihrer Ästhetik und von einem konformistischen Vertrauen gegenüber den Mächtigen geprägt war, bildete sich auf der Querdenken-Demo die Vielfalt Deutschlands und Europas ab. Trotz der Reichweite der Demonstration fand medial und tagespolitisch eine sinnvolle und auch notwendige Auseinandersetzung mit der Eindämmungspolitik reflexhaft nicht statt.
Stattdessen wurden die Teilnehmer breit diskriminiert, man stürzte sich auf eine vermeintliche Erstürmung des Reichstages, die mit der Querdenken-Veranstaltung nichts zu tun hatte, und schob sie den Querdenkern unter, über die man sich dann breit empörte sowie die demokratische Widerstandskraft beschwor, ohne dabei auch nur auf die Idee zu kommen, die Politik zu korrigieren, die zu der Fragmentierung der deutschen Gesellschaft geführt hat.
Demokratie ist allerdings kein Selbstzweck. Sie tritt mit dem Versprechen an, durch offenen Dialog den jeweiligen gesellschaftlichen Kompromiss zu finden, den im Idealfall alle Beteiligten als politische Entscheidung mittragen. Wenn sich eine immer größere Zahl von Menschen Entscheidungen entgegenstellt, dann stimmt etwas mit der real existierenden Demokratie nicht. In Deutschland sieht man das aktuell allerdings so, dass mit den Menschen etwas nicht stimmt. Durch diese problematische Haltung wird die Schieflage des ganzen Gebäudes noch einmal anschaulich verdeutlicht.
Inzwischen hat die Empörung über die mutmaßliche Vergiftung Nawalnys durch die russische Regierung die Empörung über den mutmaßlich rechten Protest gegen die Corona-Maßnahmen abgelöst. Es ist ein bisschen leiser geworden. Dennoch haben sich auch nach der Demonstration einige bemerkenswerte Dinge ereignet, wodurch sich diese rückblickende Einordnung legitimiert.
Kritiker der Corona-Maßnahmen: Nur eine kleine Minderheit?
Obwohl verbreitet wurde, es handele sich bei den Demonstranten um eine kleine Minderheit, wurde Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei fast jedem seiner öffentlichen Auftritte ausgebuht. Auch in diesem Zusammenhang beeilt man sich, zu versichern, es handele sich dabei um nur einige wenige Provokateure. Überall trifft man in diesen Tagen auf vernachlässigbare Minderheiten und Einzelmeinungen, die quer zur Mehrheitsmeinung stehen. Die Mehrheit steht hinter den Maßnahmen, so das mediale Mantra.
Allerdings relativiert der Gesundheitsminister inzwischen viele seiner Positionen, die er vor einigen Monaten noch offensiv als alternativlos vertreten hat. So sei der Lockdown in dieser Form wohl nicht notwendig gewesen. Es sei nicht notwendig gewesen, den Einzelhandel und andere Bereiche komplett zu schließen. Den Menschen, die durch die harten Einschnitte, die der Gesundheitsminister angeordnet hat, ihre Existenzgrundlage verloren haben oder absehbar verlieren werden, hilft dessen späte Erkenntnis allerdings wenig, zumal sie nicht dazu führt, die Maßnahmen an der tatsächlichen Bedrohungssituation auszurichten.
Die Sterbefälle durch eine Covid-19 Infektion geben aktuell keinen Anlass für die Drastik der Maßnahmen. Aber hier bleibt Spahn weiterhin taub und zeigt sich nicht dialogbereit und hält am Ausnahmezustand fest. Genau aus diesem Starrsinn aber mag sich ein Großteil der Wut speisen, die sich jetzt zeigt.
Das mag auch ein Grund dafür sein, dass am vergangenen Wochenende in mehrere Städten Proteste gegen die Corona-Maßnahmen stattgefunden haben. Die Tatsache der Verstetigung und Ausbreitung der Proteste steht unmittelbar im Gegensatz zu der ermittelten Zufriedenheit der Bundesbürger mit den Maßnahmen als auch mit dem angeblich überragenden Vertrauen der Wähler in die Bundesregierung. Allerdings gibt es – wie immer in Krisenzeiten - an Umfragen keinen Mangel, die mal das eine und mal das genaue Gegenteil belegen. So gab im April jeder vierte und inzwischen immerhin noch jeder sechste Befragte an, wegen Corona in finanziellen Schwierigkeiten zu sein.
Besonders betroffen sind Selbständige. Dass diese Gruppe dann gleichzeitig die Maßnahmen, die zu ihren Schwierigkeiten geführt haben, befürwortet, kann bezweifelt werden. So ist lediglich eins klar: Auch diese Krise wird die Spaltung Deutschlands vertiefen. Viele wurden vom Lockdown und seinen Folgen nicht oder kaum getroffen. Während ein Teil seine Bezüge in voller Höhe während des Lockdowns weiter erhalten hat, wurde aber ein größerer Teil der Bevölkerung in Kurzarbeit geschickt, wurde arbeitslos oder hat als Selbständige und Freiberufler die Existenzgrundlage verloren.
Die Politik hat wie schon in den Krisen zuvor nur unzureichend gegengesteuert. Im Gegenteil. Die Berichterstattung zu Corona nimmt dieses Problem kaum in den Blick. Die Arbeitslosenzahlen werden unkritisch veröffentlicht. So meldet die Tagesschau für August zwar einen leichten Anstieg auf 2.95 Millionen Arbeitssuchende, beeilt sich aber anzufügen, dass dieser Anstieg mit Corona nichts zu tun habe. Ein kleiner Faktenfinder bemüht sich um vermeintliche Aufklärung. Was er allerdings verschweigt und gar nicht in den Blick nimmt, ist die Zahl von 4,6 Millionen Kurzarbeitern. Wer von diesen tatsächlich wieder auf seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird und wer davon in die Arbeitslosigkeit abgleitet, lässt sich aktuell nicht sagen. Dessen ungeachtet ist die Zahl der Kurzarbeiter und der dadurch verdeckten Arbeitslosigkeit natürlich wichtig für eine realistische Einschätzung der Situation in Deutschland.
Zudem gibt es noch über 4 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld 2, besser bekannt unter dem Namen Hartz IV. Man kann die Zahlen natürlich nicht einfach addieren, denn es gibt Überschneidungen. Aber fügt man das zusammen, was diese Zahlen andeuten, lässt sich sehen, welch geringe Aussagekraft die von der Arbeitsagentur übermittelte Zahl der Arbeitslosen aktuell hat. Man muss der Tagesschau und anderen Medien in diesem Zusammenhang auch Vorhaltungen machen, ihren Auftrag nicht zu erfüllen und einfach regierungskonform zu berichten.
Der Aufschwung kommt? Medien verzerren gesellschaftliche Realität
Die gesellschaftliche Realität ist eine ganz andere als das medial vermittelte Bild. Und diese gesellschaftliche Realität ist sichtbar. Leerstand in den Innenstädten und Obdachlosigkeit sind diese Realität, die sich in den nächsten Monaten noch einmal deutlicher aufdrängen wird. Deflation ist ein deutliches Zeichen für Angst und Unsicherheit. Die Preise fallen, weil ein Teil kein Geld zum Ausgeben hat, der andere Teil es aber zusammenhält, weil die Unsicherheit groß ist. Die Unternehmen investieren nicht, weil in diesem Umfeld mit sinkender Nachfrage zweifelhaft ist, ob sich Investitionen lohnen.
Die tatsächliche Zahl der Menschen, die keine oder nur unzureichend Arbeit hat, lässt sich aktuell nur schwer ermitteln. Klar ist aber, dass sie wesentlich höher ist, als die von den meisten Medien unkritisch übernommenen Zahlen aus Nürnberg. Man kann natürlich unterlassen, die Fakten zu kommunizieren, aber die Lebensrealität bilden diese Fakten dennoch und die gesellschaftlichen Auswirkungen lassen sich nicht verdecken.
So auch der massive wirtschaftliche Einbruch von über 11 Prozent im zweiten Quartal zum Vorjahr. Zwar deuten die aktuellen Zahlen auf Erholung, wer allerdings glaubt, die deutsche Wirtschaft werde bald wieder auf Vorkrisenniveau zurück klettern, wird sich getäuscht sehen. Dafür fehlen alle Voraussetzungen, denn woher soll die Nachfrage kommen, die ein solches Wachstum ermöglichen könnte?
Vielmehr deutet sich eine lange Rezession an, denn zahlreiche Maßnahmen zur Abfederung der ökonomischen Krise haben ihr Ziel verfehlt oder entpuppen sich als Mogelpackungen. So wurden vom angekündigten 25 Milliarden Euro schweren Rettungspaket für kleinere und mittlere Unternehmen bisher erst 700 Millionen Euro abgerufen. Das Rettungspaket basiert auf Darlehen. Wer aber einer unsicheren Zukunft entgegensieht, nimmt keine Kredite auf. Das von der EU geschnürte Rettungspaket ist viel zu klein und zudem an strenge Auflagen gebunden. Es wird den Ländern nicht helfen, sondern die EU eher noch weiter auseinandertreiben.
Solidarität ist in der EU eine Floskel, der es an gelebtem Inhalt fehlt. Was mit diesem Mangel an Solidarität allerdings auch ausbleiben wird, ist die Auslandsnachfrage, die Deutschland dringend braucht. Ökonomien, die in der Krise verharren, fragen auch keine Waren im exportorientierten Deutschland nach.
In dieser ohnehin schon schwierigen Situation signalisiert die Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem Fall Nawalny und der Diskussion um Nord Stream 2 noch deutlich, dass sie kein verlässlicher Handelspartner ist und beschädigt das Verhältnis zu Russland und damit das Russlandgeschäft absehbar nachhaltig. Auf die Idee, in einer Zeit, in der das BIP sinkt, daher Nachfrage auf breiter Ebene wegbricht, eine Diskussion anzustoßen, die höhere Ausgaben für Energie in Aussicht stellt, was die Inlandsnachfrage noch weiter dämpfen wird, auf solch eine dumme Idee muss man erstmal kommen. Die Deutschen kamen drauf.
So zeigt sich deutlich, die Corona-Pandemie wird den Abstieg Deutschlands weiter vorantreiben, breiten Teilen der Gesellschaft Armut und Abstieg bringen, während es wenige Krisengewinner gibt. Die zunehmende Skepsis, die sich in den Anti-Corona-Demos und auch in zunehmend Verzweiflung ausdrückenden Aktionen gegen Politiker und einzelne Figuren des Mainstreams zeigt, ist Ausdruck der Furcht und Sorge einer breiter werdenden Schicht, die sieht, wie wenig abwägend Politik vorgeht, wie stark der Mainstream diese Politik stützt und sich beide jedem Dialog verweigern. Von den Eindämmungsmaßnahmen geht längst die wesentlich größere Gefahr für Deutschland aus als vom Coronavirus selbst. Diese Gefahr betrifft alle Bereiche, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das Vertrauen in Demokratie, den gesellschaftlichen Wohlstand. Diesen Zusammenhang nicht zu sehen und nicht aufzunehmen, ist grob fahrlässig.
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