Der österreichische Journalist und Video-Reporter Manuel C. Mittas recherchiert schon seit Jahren im kriminellen Rotlicht-Milieu, versucht Missbrauchsfälle aufzudecken – darunter auch ritueller Natur – sowie weitere solcher Verbrechen sexueller Gewalt aufzuklären. Dazu hatte er sich vor einiger Zeit sogar „undercover“ in die Sex- bzw. Porno-Industrie eingeschleust, um dortige Gesetzesübertretungen festzustellen. Der Wiener arbeitet schon lange unter anderem mit Buchautor und Dokumentarfilmer Guido Grandt zusammen, der einst die bis heute einschlägige TV-Doku „Höllenleben“ (ARD, 2001) produzierte, die viele Opfer sexueller Gewalt zu Wort kommen ließ und auf das Problem aufmerksam machte.
Die TV-Sender in Österreich „ORF“, „Servus TV“ oder „ATV“ sowie „ProSieben/Sat.1 Österreich“ als auch „Puls4“ sind nur einige der bisherigen journalistischen Stationen von Mittas. Heutzutage betreibt er mehrere Blogs sowie YouTube-Kanäle. Darin beleuchtet er soziale, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Vorgänge in der Gesellschaft kritisch, darunter eben Missbrauchsfälle, aber auch die Corona-Maßnahmen in Deutschland und Österreich. Auf einem seiner Kanäle fand ein Interview mit dem Sohn eines polnischen Menschenhändlers statt.
Ein „Coup“, wie man in der Nachrichtenbranche zu sagen pflegt. Durch Kontakte erhielt er vor wenigen Wochen die Möglichkeit, mit Thomas* zu sprechen. Der polnische Staatsbürger – der seit 1988 in Deutschland lebt und die deutsche Sprache sehr gut beherrscht – ist nach eigener Aussage „Sohn eines Menschenhändlers“. Nun gewährte Mittas Sputnik ein Exklusiv-Gespräch zu dieser erschütternden Geschichte.
Im Sputnik-Interview schildert der Österreicher seinen aktuellen Wissensstand zum Fall:
„Im Zuge meiner Recherchen zu Missbrauchsfällen und Pädo-Kriminalität, eines meiner größeren Steckenpferde, konnte ich über die Zeit Kontakte knüpfen“, erklärte Mittas. „Über einen Kontaktmann wurde mir der ‚Thomas‘ empfohlen. Ein aus Polen stammender Mann, um die 40 herum. So viel kann und darf ich sagen.“
„Thomas“ sagt in dem Online-Interview, das Mittas mit ihm führte und dabei dessen Gesicht technisch „verpixelte“: Sein Vater habe über viele Jahre hinweg für mafiöse bzw. organisierte kriminelle Strukturen gearbeitet und dabei unter anderem junge Frauen aus Osteuropa in westeuropäische Länder wie Deutschland oder Österreich gebracht und dort zur Prostitution gezwungen. Durch intensive Recherchen konnte Mittas diese Anschuldigungen erhärten.
„Als mir das erste Mal ein Licht aufgegangen war, das werde ich nie vergessen“, blickt „Thomas“ im Interview mit Mittas zurück, „da wohnten wir schon in Deutschland. Ich war damals 14 Jahre alt. Mein Vater hatte mich quasi bei einem Kumpel abgegeben, der mit einer sehr jungen Frau verheiratet war.“ Wenige Zeit später dann ein spontaner Halt auf einer Autobahn-Raststätte. Der Vater hielt laut ihm kurz vor der polnisch-deutschen Grenze das Auto an, die darin sitzende Familie wusste von nichts. „Auf einmal sind Leute bei uns eingestiegen: Mein Vater, meine Mutter, mein Bruder, ein fremder Mann, neben ihm eine sehr junge (wohl minderjährige, Anm. d. Red.) Prostituierte. (…) Und kurz vor der Grenze sollte sie in den Kofferraum. Meine Mutter hat angefangen, zu weinen.“ Daraufhin habe der Vater angefangen, mit dem Fremden „meine Mutter zu verprügeln. Dabei das Mädchen im Kofferraum“, schildert Thomas unter Tränen. Der Vater drohte darüber hinaus, die gesamte Familie „umzubringen, sollte meine Mutter nicht ruhig sein. Mit einer Waffe in der Hand.“
Der Vater von „Thomas“ hat laut eigener Aussage also mutmaßlich Menschenhandel betrieben. Sein eigentlicher Beruf war Fernkraftfahrer, vor diesem Hintergrund betrachtet natürlich eine recht plausible Tarnung für seine kriminellen Machenschaften. „Der Beschuldigte war auch an Autohehlerei, Zigarettenschmuggel beteiligt“, ergänzte Investigativ-Journalist Mittas aus Wien. „Also, alles was so geht. Und natürlich auch Menschen.“
Der beschuldigte Vater „war jedoch nicht der Ober-Capo, wenn ich das richtig festgestellt habe und einschätze. Sondern eher ein Laufbursche und in der unteren Kette (der Hierarchie, Anm. d. Red.) angesiedelt. Also jemand, der für die Transporte und Logistik eingesetzt war – um es neutral zu sagen. Sein Vater hat nicht nur jüngere Frauen im Alter von 20 bis 25 Jahre transportiert.“ „Thomas“ könne nicht ausschließen, dass auch jüngere dabei gewesen sind, berichtet Mittas.
„'Thomas' und seine Familie mussten unter dem Vater sehr leiden“, berichtete Mittas, bezugnehmend auf sein Interview mit dem jungen Mann. „Er wurde bedroht: Mit Schlägen. Mit Waffen.“ Unter anderem auch durch „dubiose Geschäftspartner bzw. Kunden“ des Vaters. „Er hatte mich auch ‚gern‘ mit drei verschiedenen Gürteln geschlagen“, berichtete „Thomas“ aus seiner Kindheit.
Die Routen seines Vaters „waren immer gleich. Entweder über Russland, Litauen, Polen. Dort hat er halt über Mittelsmänner, Zuhälter, wahrscheinlich seine Auftraggeber, die jungen Mädels einkassiert. Einige Male war auch die Familie (von Thomas, Anm. d. Red.) dabei. Weil ein solch vollbesetztes Fahrzeug beim Grenzübertritt doch seriöser und unauffälliger wirkt. Insbesondere damals, Ende der 1980er Jahre, als das Ganze begann, waren die Grenzen noch nicht so offen wie heute.“ Danach sei Thomas‘ Vater „auf einen Rastplatz gefahren. Die Mädchen mussten hinten in den Kofferraum rein.“
Durch solche Maßnahmen habe der Vater auch seine Familie insgesamt missbraucht. Die Mutter von „Thomas“ wusste teilweise auf den ersten Routen selbst nicht, was vor sich ging. „Man darf ihr keine Vorwürfe machen, dass sie sich nicht gewehrt hat. Weil nach Aussagen von Thomas auch die Mutter vom Vater durch Gewalt bedroht worden ist,“ erzählt Mittas im Sputnik-Gespräch.
Nach dem Grenzübertritt sind die Frauen dann meist in Wohnungs-Bordellen oder illegalen Hinterhof-Etablissements verschwunden. „Sie wurden zur illegalen Prostitution gezwungen. Vielen wird natürlich im Vorfeld etwas Anderes versprochen: Jobs als Kellnerin oder Model. Oder welche Träume da auch immer suggeriert werden.“ Doch im Westen dann das große Erwachen: „Papiere weg und dann bist Du zum Arbeiten gezwungen sowie Gewalt und Repressalien ausgesetzt,“ so Mittas.
Die Frage, ob es bereits Gerichtsverfahren, Verurteilungen sowie kriminalistische oder polizeiliche Ermittlungen gegen den Menschenhändler gegeben habe, beantwortete Mittas so:
„Was ich herausgefunden habe, ist, dass der Vater von Thomas – dessen bürgerlichen Namen ich natürlich kenne – in Untersuchungs-Haft (U-Haft) gesessen ist. Allerdings nur wegen Hehlerei. Aber da bin ich aktuell auch weiter dran, ob da (den Justiz-Behörden, Anm. d. Red.) etwas wegen Menschenhandel im Hintergrund bekannt ist.“
Heutige Länder, „aus denen sehr viele junge Frauen zur Zwangsprostitution in den Westen geschleust werden, sind Bulgarien, Rumänien. Das läuft ja alles leider bis heute.“ Angesprochen auf dortige Verhaftungen, wie sie beispielsweise auch Ex-Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus schildert (Sputnik Deutsch berichtete), sagte Mittas: „Da passiert etwas. Auch in Österreich ist kürzlich ein kleines Netzwerk in diesem Milieu hochgegangen. Ich bin da immer etwas skeptisch, ob man da wirklich stets an die richtigen Hintermänner herankommt.“
Ex-Kommissar Paulus nennt in einem seiner Bücher einen „spektakulären Erfolg“ der Kriminalpolizei in der Ukraine, die „in der Vergangenheit mehrfach verschleppte ukrainische Frauen und Mädchen in westlichen Puffs aufspüren und diese – in Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Diensten in Deutschland, Österreich, der Schweiz (...) – aus den Klauen ihrer Ausbeuter befreien konnte. Den Tätern, Menschenhändlern und Zuhältern drohen in der Ukraine (...) drastische Strafen.“
Mittas habe „Thomas“ zum Interview „lange überreden müssen. Das ist die Erfahrung, die ich mit aktiven oder passiven Opfern in diesem Milieu machen musste: In der Regel – man kann das natürlich nicht so pauschalisieren – haben diese bipolare Störungen, multiple Persönlichkeiten. Du hast an einem Tag eine Zusage, am nächsten Tag sieht dann alles schon wieder anders aus. Es war eine ziemliche Herausforderung, es zu diesem Interview kommen zu lassen. Auch nur unter der Auflage, dass ich ihn weitestgehend schütze. Indem ich sein Gesicht verfremdet habe. Weil er Angst vor Repressalien hat.“
„Thomas“ sei darüber hinaus schwer traumatisiert und habe das Stockholm-Syndrom zu seinem Vater, also ein Abhängigkeitsverhältnis zu seinem eigenen Peiniger entwickelt. Laut Psychologen und Trauma-Therapeuten ein bekanntes Muster bei Missbrauchsfällen in der eigenen Familie. „Er musste irgendwann damit abschließen, sonst wäre er nur noch verbittert“, meinte Mittas dazu. Geholfen dabei, die eigenen traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, habe „Thomas“ laut eigener Aussage das Studium auch metaphysischer Literatur, darunter die Kabbala, eine der heiligen Schriften der jüdischen Weltreligion.
„Was Thomas gerne machen würde: Das ist eine Trauma- und Hypnose-Therapie.“ Der Pole sehe darin „die einzigen Möglichkeiten, um wirklich noch mehr Erinnerungen auszugraben. Das kostet natürlich Geld. Falls jemand spenden und so Thomas unterstützen möchte, kann er mich gern kontaktieren.“ Mittas wird diese Spenden und Unterstützungen dann an ihn weiterleiten.
„Ich selbst habe Thomas während unseres gesamten Interviews nicht verpixelt gesehen – und er hat mir fast die ganze Zeit in die Augen geschaut.“ Dies sei neben seiner juristischen wie Hintergrund-Recherchen ein bedeutender Hinweis darauf, dass Thomas glaubwürdig sei. „Deswegen wirkt er schon sehr authentisch“, so der österreichische Investigativ-Journalist.
Der Wiener Journalist plant immer noch mit seinem Team – wie er bereits in einem früheren Sputnik-Interview zu den Missbrauchsfällen Natascha Kampusch und Marc Dutroux mitgeteilt hatte – eine aufwendige Recherche-Reise in die Slowakei, um dortige „furchtbare wie absurde“ Kinderhandels-Strukturen „undercover“ aufzudecken. Diese seien ihm bereits durch frühere Reisen in slowakisches Grenzgebiet bekannt, als er dort als Musiker auftrat.
„Diese Reise steht weiterhin auf der Agenda. Dann kam die Pandemie dazwischen. Ich habe schon diesbezügliche Vorarbeit geleistet und mit slowakischen Behörden, der dortigen Polizei sowie weiteren Hilfsorganisationen vor Ort gesprochen. Man muss dazu ein sehr gutes Gespür entwickeln, was wirklich gute Kinder-Hilfsorganisationen sind und wo man lieber vorsichtig sein sollte.“ Er nannte Fälle in österreichischen Hilfsorganisationen für Minderjährige, in denen es systematische Gewaltanwendung, Missbrauchsfälle und Vergewaltigungen gab.
Mit Menschenhändler-Sohn Thomas stehe Mittas immer noch in regem Kontakt. Ihm gehe es momentan „soweit gut.“ Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr.
Wer Thomas* mit einer Spende oder ähnlicher Hilfe bzw. die Arbeit von Manuel C. Mittas unterstützen möchte, der kontaktiert bitte die Redaktion bzw. den Autor. Sputnik leitet diese Information weiter.
*Name von der Redaktion geändert
Das Radio-Interview mit Manuel C. Mittas zum Nachhören: