Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier präsentierte die Prognose der Bundesregierung zur wirschaftlichen Entwicklung für das Jahr 2020 am 1.9. in Berlin.
Alle Zahlen weisen darauf hin: Deutschland befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal um 9,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Gegenüber dem Vorjahresquartal lässt sich sogar ein Rückgang um 11,3 Prozent verzeichnen. In der Finanzmarktkrise vor gut zehn Jahren waren die Einbrüche zu keinem Zeitpunkt so dramatisch.
Auf das Jahr gerechnet prognostiziert die Bundesregierung nunmehr einen Rückgang des BIP um 5,8 Prozent, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) am Dienstag bei einer Pressekonferenz bekanntgab. Allerdings gehe man von einer schnellen Erholung aus. Der Tiefpunkt der Rezession sei demnach bereits im Mai durchschritten worden. Schon für das dritte Quartal des laufenden Jahres werde ein "deutliches" Wachstum erwartet. Für das kommende Jahr rechne man gar mit einem Plus von 4,4 Prozent. Das Vorkrisenniveau werde dann zu Beginn des Jahres 2022 wieder erreicht.
Das Eintreten dieser Prognose dürfte jedoch sehr stark davon abhängen, auf welche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sich die Bundesregierung in den folgenden Wochen und Monaten festlegt. Insbesondere ein zweiter "Lockdown" würde die Lage wohl noch einmal immens verschärfen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte bereits Anfang August vor den dann eintretenden wirtschaftlichen Folgen. So dürfe die wirtschaftliche Erholung jetzt "nicht abgewürgt" werden. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben teilte damals gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland mit:
Die Unternehmen haben noch immer mit den wirtschaftlichen Folgen eines flächendeckenden Lockdowns zu kämpfen. Neben wirtschaftlichen Schwierigkeiten gehören dazu flexible Arbeitszeitmodelle, um die Anwesenheit im Betrieb zu steuern.
Auch Christian Sewig, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, äußerte sich kürzlich auf der Onlineplattform businessinsider.de zum durch die Regierungsmaßnahmen bedingten Wirtschaftseinbruch. Demnach sei es angesichts der aktuellen Situation nunmehr für viele Unternehmen Aufgabe, auf lange Sicht mit schmaleren Umsätzen profitabel zu bleiben. Erschwerend komme hinzu, dass die Wirtschaft auf absehbare Zeit nicht mit voller Kapazitätsauslastung laufen werde. Sewing weiter:
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Wirtschaft in einigen Bereichen nur mit 90, 80 oder gar 70 Prozent ihrer Kapazität läuft. Das hat gravierende Folgen.
Eine vom Spiegel in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage brachte hervor, dass etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten bei einer deutlichen Verschärfung der Corona-Maßnahmen "sehr negative" Folgen für die Wirtschaft erwarten würde. Weitere 36 Prozent sprachen von "eher negativen" Folgen. Daneben gaben 30 Prozent der Befragten an, dass sie konkret mit persönlichen finanziellen Einbußen rechneten, sollten die Maßnahmen noch einmal verschärft werden.
Dabei dürften diese Ergebnisse jedoch sehr stark nach Branchen variieren. Das Statistische Bundesamt hat nunmehr auch für das zweite Quartal Zahlen zur Entwicklung der durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste veröffentlicht.
Demnach lassen sich für die Bereiche Herstellung von Kfz und Kfz-Teilen, Luftfahrt, Beherbergung sowie Gastronomie besonders starke Einbrüche verzeichnen – bei den zwei letzteren noch dazu ausgehend von einem bereits niedrigen Einkommensniveau. Deutlich weniger stark von Gehaltseinbußen betroffen sind etwa die Bereiche Produzierendes Gewerbe und Dienstleistungen sowie der Einzelhandel.
Dass die Rezession bislang nur in geringerem Maße die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen lässt, liegt am Kurzarbeitergeld. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) gab es im April rund 5,98 Mio. Menschen in Kurzarbeit – so viele wie nie zuvor. Aktuelle Daten stehen bis einschließlich Juni zur Verfügung. Damals waren es "nur noch" rund 5,36 Mio. Kurzarbeiter. Kurzarbeiter werden in der Statistik nicht als Erwerbslose geführt.
Die Zahl der Erwerbslosen lag im August nach BA-Angaben bei 2.955.000 – dies entspricht gegenüber dem Vorjahr einem Anstieg um rund 636.000. Damit lag die Erwerbslosenquote im August bei 6,4 Prozent. Im Vergleich mit dem August des Vorjahres bedeutet dies einen Zuwachs von 1,3 Prozentpunkten. Auf das Jahr hochgerechnet geht die BA von einer Arbeitslosenquote in Höhe von rund 2,7 Prozent aus. 2019 lag sie bei rund 2,3 Prozent.
Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung beschlossenen Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis maximal zum 31. Dezember 2021 warnt Bundesbankpräsident Jens Weidmann vor einem Erhalt von Firmen "ohne Zukunft". Gegenüber der dpa sagte er:
Es (...) wäre wichtig, im Gegenzug andere Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld auf den Prüfstand zu stellen, etwa die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge. Letztlich sollte der Staat das Risiko mindern, dass Unternehmen das Kurzarbeitergeld nutzen, um Geschäftsmodelle ohne Zukunft zu erhalten.
Die sozialpolitische Abfederung der Rezession ist jedenfalls teuer erkauft. Zusätzlich zum Kurzarbeitergeld legte die Bundesregierung für die Jahre 2020 und 2021 ein Konjunkturpaket in Höhe von rund 130 Milliarden Euro auf. Nach dpa-Informationen flossen daraus allein bis einschließlich Juli rund 13,4 Milliarden Euro als Direktabfederung an kleine Unternehmen und Einzelselbstständige. Der größte Anteil, rund 3,8 Milliarden Euro, ging demnach an Empfänger in Nordrhein-Westfalen.
Finanzpolitisch wurden die Hilfen nur durch Neuverschuldung möglich. Die sogenannte Schuldenbremse, die dies in normalen Zeiten eigentlich verhindern soll, enthält für Krisensituationen eine Sonderregelung. Die Unionsfraktion im Bundestag wolle jedoch ab 2022 wieder mit einem ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung auskommen, wie die dpa zu berichten weiß. "Ab 2022 müssen wir den Bundeshaushalt wieder im Rahmen der normalen Schuldenbremse aufstellen", heißt es dazu in einem Fraktionspapier.