So schreibt die britische Zeitung „The Guardian“ am Donnerstag, Merkel zeichne sich in ihrem wissenschaftlichen Ansatz zum Ausgang aus dem Lockdown aus. Auf der Pressekonferenz am Mittwoch habe sie eine Modellbetrachtung als Erklärung geliefert, warum bei den Lockerungen der geltenden Corona-Maßnahmen Vorsicht geboten sei. Sollte der aktuelle Reproduktionsfaktor von eins, also wenn eine Person durchschnittlich eine andere Person ansteckt, z.B. auf 1,3 steigen, würde die Belastungsgrenze des Gesundheitssystems schon im Juni kommen, argumentierte Merkel.
Mitten in der Corona-Krise hätten sogar ihre Kritiker eine Politikerin zu schätzen gelernt, meint „The Guardian“ dazu, die die Bedeutung von Dezimalen sicher erkläre, statt große Zukunftsvisionen zu projizieren.
„Ohne jegliche Angeberei schien ihre Ankündigung Deutschland <...> zu einem De-facto-Führungsland auf dem Kontinent und einem Vorbild für westliche Nationen zu machen, die den schwierigen Weg des Neustarts der Wirtschaftstätigkeit und der Bekämpfung des Virus beschreiten wollen“, legte die englischsprachige indische „The Economic Times“ nach. „Auf die Wirtschaft fokussiert“ habe Merkel ihren vorsichtigen Schritt-für-Schritt-Plan präsentiert. Die US-amerikanische CNN ging noch weiter und empfahl Präsident Donald Trump, sich ein Beispiel an Merkel zu nehmen. Merkel habe Deutsche hinter den Regierungsmaßnahmen vereinigt. Übrigens: Ihre Reaktion auf die Krise sei „stark“ und „effizient“ gewesen, sie sei - so ein zitierter Vertreter des transatlantischen German Marshall Funds, „eine diplomatische Führerin“, „das nationale Gesicht der Krisenreaktion“. „Die Anführerin der Freien Welt hält eine Rede und bringt es auf den Punkt“, kommentierte ebenfalls ein Autor der US-Zeitung „The Intelligencer“ Mitte März, völlig begeistert vom „ehrlichen“ und „einfühlsamen“ Ton der Rednerin.
Der Hashtag #AngelaMerkel geht seit kurzem auch in den sozialen Netzwerken viral, wo mehrere Tausende in der 65-Jährigen eine Verkörperung der Hoffnungen für das eigene Land gefunden zu haben scheinen. So sorgte der „großartige“ Teil des Merkel-Videos vom Mittwoch, vom spanischen DW-Journalisten mit englischen Untertiteln gepostet, sofort für Furor.
This is how Angela Merkel explained the effect of a higher #covid19 infection rate on the country's health system.
— Benjamin Alvarez (@BenjAlvarez1) April 15, 2020
This part of today's press conf was great, so I just added English subtitels for all non-German speakers. #flattenthecurve pic.twitter.com/VzBLdh16kR
„Auf Merkel vertrauen wir. Sie ist genau die Anführerin, die Sie in diesen schwierigen Zeiten wollen. Ich denke, es hilft auch, dass sie eine Wissenschaftlerin ist, die genau weiß, wovon sie spricht. Keine kirchliche Rede von einem Land im Krieg. Beruhigend“, schrieb etwa der holländische Anwalt Mark Postma dazu. „Keine Theaterstücke, keine Ermahnungen, eine hervorragende, intelligente, beruhigende und sachliche Rede. Ein Modell für weltweite Führung #AngelaMerkel“, so die indische Influencerin Sagarika Ghose. Eine in Mumbai lebende Münchnerin hat Merkel wohl zum ersten Mal richtig für sich entdeckt. Während deren erster Amtszeit habe sie die deutsche Regierungschefin als Kanzlerin noch gehasst, nach 20 Jahren aber könnesie ihre „Bewunderung für ihre Kompetenz, Besonnenheit und ihr Rückgrat nicht in Worte fassen.“
So sehr Deutschland als „führende Wirtschaftsnation“ Europas bzw. sein Handeln in der Corona-Krise im Fokus der Weltgemeinschaft steht, so gut schneidet Merkel mit ihrer konsequenten Linie in der Corona-Krise vor allem im Vergleich zu Trump ab, der mit seinem spezifischen Krisenmanagement und in erster Linie wegen der hohen Sterblichkeit durch das Coronavirus in den USA nicht nur im eigenen Land im heftigen Kreuzfeuer der Kritik steht. Insbesondere Merkels angemessene Ansprachen an die Nation hätten in scharfem Kontrast zu Trumps lauten täglichen Briefings gestanden, die die Aktienmärkte durcheinander gebracht und Gesundheitsexperten alarmiert hätte, schrieb weiter die CNN.
Verglichen werden in den Medien dabei vor allem das öffentliche Auftreten, der vermittelte Eindruck der Sicherheit wie „Wir schaffen das“ - und die unbestreitbaren Fakten, etwa wie eine geringere Sterblichkeit durch Covid-2019 in Deutschland (2,9 Prozent gegen 5,1 Prozent in den USA). Die inländischen Diskussionen wie etwa über die fehlende Datenlage für die politischen Entscheidungen bleiben beiseite gelassen, die Folgen für den Arbeitsmarkt, solange diese schwer zu bewerten sind, bzw. für die Wirtschaft zählen ebenso weniger als die Gesundheitslage.
Laut der Umfrage von Reuters/Ipsos Ende war die Zustimmung zu Trumps Umgang mit Covid-19 letzte Woche auf 42 Prozent gesunken. Auch der französische Staatschef Emmanuel Macron genießt laut einer Umfrage der internationalen Marktforschungszentrums Harris Interactive das Vertrauen einer knappen Mehrheit von 51 Prozent der Franzosen. Zwar kann wegen der gängigen Kritik an der Corona-Verordnung oder etwa an der Einschränkung der Versammlungsfreiheit der Eindruck entstehen, dass auch die Bundeskanzlerin mit ihrem Erscheinen in der Corona-Krise bei den Deutschen etwa nicht viel zu viel Zuspruch findet.
Ob in der Klima-Diskussion oder bei den außenpolitischen Fragen: noch im Herbst letzten Jahres war sie von der Opposition als „lahme Ente“ persönlich angegriffen worden: In der Corona-Krise dürften Merkels Kompetenzen von den Deutschen irgendwie wiederentdeckt worden sein. Das besagen zumindest die Meinungsumfragen. Man habe im ARD-Deutschlandtrend eine Zustimmung von 95 Prozent zu den Maßnahmen, die die Kontakte in der Öffentlichkeit einschränken würden, bestätigte der Chef der Gesellschaft für Trend- und Wahlforschung Infratest dimap, Nico Siegel, Anfang April gegenüber der „Zeit“. Auch der Forsa-Chef Manfred Güllner kommentierte Mitte März gegenüber Gabor Steingart die zu bemessende Stimmung rund um das Kanzleramt: Merkel sei „zum richtigen Punkt“ wieder da, sei für die Bürger „der lebende Rettungsschirm“. Wird der Weg für ihre fünfte Amtszeit damit frei gemacht?