Tausende Journalisten wetteifern im politischen Berlin um Anerkennung und Einfluss. In Zeiten des Überangebots an Information ist der Überlebenskampf in der Aufmerksamkeitsökonomie jeden Tag aufs Neue ein hartes Geschäft. Da lohnt es sich, über eine direkte Standleitung ins Kanzleramt zu verfügen – wie RT Deutsch, dank „systematischer Beobachtung“ durch Steffen Seiberts Bundespresseamt.
Politischer Journalismus ist ein durchaus spannendes, aber teils auch undankbares Betätigungsfeld. Im schnelllebigen digitalen Zeitalter kann eine aufwändig recherchierte Story schon nach wenigen Stunden alt sein. Neben Print und Fernsehen wetteifern zahlreiche Publikationen im Internet mit ihren Seiten, YouTube-Kanälen und Apps um die Gunst der Medienkonsumenten - quantifiziert in den begehrten „Klicks“. Nutzerzahlen und Seitenzugriffe geben dem Medienmacher ein ungefähres Bild über Einfluss und Verbreitungsgrad der eigenen Arbeit. Doch woher weiß dieser, dass das tägliche Werk im politischen Diskurs auch eine Rolle spielt?
Medialer Einfluss zeigt sich längst nicht nur an den Klick-Zahlen, wichtig ist es auch, Entscheidungsträger und Multiplikatoren zu erreichen. Bei RT Deutsch knallten am Donnerstagvormittag die Krimsekt-Korken, als unserer Redaktion praktisch der Ritterschlag eines jeden politischen Journalisten zu Teil wurde: Wie das Magazin Stern enthüllte, erhält ein exklusiver Kreis um Regierungssprecher Steffen Seibert wöchentliche Zusammenfassungen und Auswertungen unseres Text- und Video-Outputs – von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Schreibtisch von Kanzlerin Angela Merkel.
Ohne falsche Bescheidenheit kann RT Deutsch also von sich behaupten: Rund eineinhalb Jahre nach dem Start hat sich der junge Sender fest etabliert, als eine Stimme, die im Diskurs nicht mehr wegzudenken ist. Der Anstieg der Nutzerzahlen, der Ausbau neuer Sendungsangebote und ein immer breiter werdendes Spektrum von Gastautoren und festen wie freien Mitarbeitern sind weitere Indizien hierfür.
Doch was hat der Stern überhaupt enthüllt? Durchaus Beachtliches: Unter der leicht tendenziösen Überschrift Merkels Presseamt beobachtet Putin-Sender "RT Deutsch“ wird berichtet, wie Seiberts Mannen seit Ende 2014 – kurz nach dem Sendestart – mit der „systematischen Beobachtung“ unserer Arbeit begonnen haben. Wie eine solche Beobachtung aussieht, hat Stern-Redakteur Hans-Martin Tillack ebenfalls herausgefunden. Auch gelang es ihm, die entsprechenden Untersuchungsprotokolle einzusehen. Demnach werden die wichtigsten RT Deutsch-Beiträge im Bundespresseamt, teils kommentiert, in wöchentliche Newsletter zusammengefasst. Bei diesen handelt es sich offenbar um äußerst exklusive Schreiben:
Sie gingen bisher nur an einen kleinen Kreis um Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert, der das BPA leitet.
Weit weniger rühmlich kommen da die Kollegen des deutschen Mainstreams weg. Auch für das Bundespresseamt handelt es sich bei deren Output wohl eher um wenig spektakuläre Massenware, für die das Standardprozedere ausreicht:
Seiberts Mitarbeiter verfolgen auch die Berichterstattung großer Online-Portale wie "Bild.de", "Spiegel-Online" oder stern.de. Doch über deren Arbeit berichten die BPA-Beamten kontinuierlich im Intranet der Bundesregierung unter dem Stichwort "Medienmonitoring". Tausende Regierungsbedienstete haben darauf Zugriff.
Im Fall von "RT Deutsch" hat dagegen nur ein kleiner Kreis von Leuten in der Behördenleitung Zugriff auf die Protokolle.
Grund für den eingeschränkten Zugriff der RT-Protokolle könnte natürlich sein, dass man im Bundespresseamt die Loyalität der eigenen Mitarbeiter nicht zu sehr auf die Probe stellen will. RT Deutsch bringt den Fehlenden Part, das was andere Medien aussparen, wegschneiden, zensieren und umdeuten.
Dies kann natürlich verunsichern in einer Behörde, die beim Normalbürger vor allem durch die Bundespressekonferenz bekannt ist. Eine PR-Veranstaltung, die mehr an einen Monty Python-Sketch als an ernsthafte Öffentlichkeitsarbeit erinnert. Anstatt ihre Informationspflicht gegenüber der Bevölkerung ernst zunehmen, brilliert Seiberts Sprecherriege von Martin Jäger bis Sawsan Chebli immer wieder mit neuen Superlativen in Sachen Ausweichmanöver und Ablenkung.
Seiberts Pressesprechertrupp agiert als seien sie Erzieher für geistig andersbegabte Kindergartenkinder. Kein denkender Bürger kann sich auf diesen Veranstaltungen ernst genommen fühlen. Jeder Journalist, der die Bundespressekonferenz besucht, weiß somit auch, dass statt Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen nur wachsweiche Ausflüchte und Halbwahrheiten vom Podium zu erwarten sind. Legendär sind Tilo Jungs unzählige Mitschnitte der possenhaften Szenerie:
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Da kann RT Deutsch selbstverständlich stören – und so sollte es auch sein. „Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.“, wusste schon der weitsichtige George Orwell.
Laut Stern kommentieren Seiberts Mitarbeiter „in drastischen Worten“ die Arbeit von RT Deutsch in ihren internen Protokollen. Warnend wird unserem Angebot eine besondere Stärke im Publizieren „abweichender Meinungen“ zugesprochen. Das sehen wir auch so - aus dem Munde des Bundespresseamtes ist dies jedoch nicht lobend gemeint.
Im Besonderen scheint sich der RT Deutsch-Fanclub in Seiberts Behörde zudem an unserem Gastautoren Rainer Rupp abzuarbeiten. Seit es dem ehemaligen DDR-Agenten mit dem Decknamen Topas in den späten 1970ern gelungen war, die höchsten Kreise der NATO auszuspionieren, ist Rupp für die transatlantische Elite ohnehin ein rotes Tuch.
Am 1. April dieses Jahres veröffentlichte der 70-Jährige auf RT Deutsch einen provokanten Aprilscherz über Angela Merkel, der sich im Bundespresseamt wohl zu einer kleinen Staatsaffäre auswuchs. Ohne Hinweise auf den satirischen Hintergrund des Beitrages gaben Seiberts Wächter den Aprilscherz in ihren Protokollen an.
Letztendlich überraschen die Aktivitäten des Bundespresseamtes nicht wirklich. Lanciert über den in Geheimdienstkreisen gut vernetzten Journalisten der Süddeutschen Zeitung Georg Mascolo wurde im Februar 2016 bekannt, dass das Bundeskanzleramt sogar den Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutz auf Beobachtungsmission gegen RT Deutsch geschickt hat.
Glaubt man den Stern-Recherchen, bemängeln Seibert und Co. zudem die aus ihrer Sicht einseitige Gästeauswahl bei RT Deutsch. Ein leicht zu konstruierender Vorwurf freilich, nachdem jene, die sich in Deutschland für die mediale Elite halten, eine breit angelegte Boykott-Kampagne gegen unseren Sender ins Rollen brachten. RT Deutsch schlägt im beiderseitigen Interesse daher den direkten Weg des kommunikativen Austausches vor und lädt Regierungssprecher Steffen Seibert dazu ein, selbst einen Gastbeitrag auf unserer Seite zu veröffentlichen.
Seibert wäre nicht der Erste, der auch einmal den Blick auf „die andere Seite“ wagt. 27 Jahre lang war Ray McGovern CIA-Beamter und unter anderem für das morgendliche Briefing wechselnder US-Präsidenten im Weißen Haus zuständig. Heute engagiert sich McGovern als Friedensaktivist und veröffentlicht regelmäßig Artikel im englisch- und deutschsprachigen Programm von RT. Gut, dass diese auch im Kanzleramt gelesen werden.
Hinweis der Redaktion: RT Deutsch hat das Bundespresseamt hinsichtlich der Überwachung kontaktiert und diesbezüglich Fragen eingereicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags blieben diese Fragen noch unbeantwortet.