von Scott Ritter
Am 5. Januar 2020 kündigte Teheran an, dass es seine Verpflichtungen aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran, das offiziell als Joint Comprehensive Program of Action (JCPOA) bezeichnet wird, nicht mehr erfüllen wird. Das iranische Vorgehen ist eine Reaktion auf den Rückzug der USA aus dem JCPOA und die Wiedereinführung der Wirtschaftssanktionen durch die USA, die mit Inkrafttreten des Abkommens aufgehoben wurden.
As 5th & final REMEDIAL step under paragraph 36 of JCPOA, there will no longer be any restriction on number of centrifuges
— Javad Zarif (@JZarif) January 5, 2020
This step is within JCPOA & all 5 steps are reversible upon EFFECTIVE implementation of reciprocal obligations
Iran's full cooperation w/IAEA will continue
Als Antwort auf das iranische Vorgehen beriefen sich die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und des Vereinigten Königreichs – alle drei Staaten und die Europäische Union (EU) sind Partner des Abkommens – auf Bestimmungen des JCPOA, den sogenannten Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Resolution Mechanism, DRM), um den Iran wieder zur Einhaltung der Vereinbarungen zu bewegen.
Die Auslösung des DRM durch diese europäischen Länder ist jedoch ein unaufrichtiger Schritt, um das eigene und das Versagen der EU bei der Umsetzung des JCPOA diplomatisch zu decken.
Darüber hinaus haben die Europäer angesichts des wahrscheinlichen Ergebnisses dieses Prozesses, einer Einberufung des UN-Sicherheitsrates, bei der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran automatisch wieder eingeführt werden, den Untergang des JCPOA nahezu garantiert. Ihre sogenannte Diplomatie wirkt dabei mehr als Förderung einer größeren Krise zwischen dem Iran und den USA, die angesichts der erhöhten Spannungen zwischen diesen beiden Nationen nach der Ermordung von Qassem Soleimani die Aussichten auf einen Krieg schlagartig erhöht.
Großmächte hatten immer einen einfachen Ausweg
Als der JCPOA im Juli 2015 abgeschlossen wurde, gab es weltweit Anlass zur Hoffnung, dass die Krise um die nukleare Anreicherungskapazität des Iran, die zu einem Krieg hochzukochen drohte, gelöst wurde und sich die Diplomatie gegenüber einem Waffengang durchgesetzt hatte.
Das JCPOA kodifizierte eine Reihe von Beschränkungen der Fähigkeiten Irans zur Urananreicherung, einschließlich der Anzahl und Arten von Zentrifugen, die verwendet werden könnten, wo die Anreicherung stattfinden und welches Anreicherungsniveau erreicht werden könnte und wie groß der Vorrat an angereichertem Kernmaterial sein soll, den der Iran behalten durfte. Darüber hinaus etablierte es ein umfassendes und aufdringliches Inspektionsregime, mit dem die Einhaltung der Vorschriften durch den Iran vor Ort überprüft werden sollte.
Diese Beschränkungen sollten im Laufe der Zeit durch eine Reihe von so genannten "Sunset-Klauseln" gelockert werden, bis nur noch ein erweitertes Inspektionsverfahren übrig bleiben würde. Kurz gesagt, der JCPOA legitimierte das Recht des Iran, Uran für friedliche Zwecke anzureichern, während er gleichzeitig die Bedenken einiger Staaten innerhalb der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des Potenzials des Iran berücksichtigte, diese Anreicherungsfähigkeit für militärische Zwecke zu missbrauchen.
Das JCPOA war in der Tat ein umfassender vertrauensbildender Mechanismus, der darauf abzielte, im Laufe der Zeit Vertrauen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft aufzubauen. Im Einklang mit der Präambel des Abkommens, in der es heißt, dass "der Iran bekräftigt, dass er unter keinen Umständen jemals Atomwaffen suchen, entwickeln oder erwerben wird".
Vor der Umsetzung des JCPOA war der Iran harten Wirtschaftssanktionen unterworfen, die unter der Aufsicht des UN-Sicherheitsrates verhängt worden waren. Im Gegenzug zum Abschluss des Abkommens wurden diese Sanktionen aufgehoben.
In der Vereinbarung wurde jedoch eingeräumt, dass es zu Streitigkeiten über die Umsetzung des Abkommens kommen könnte. Daher wurde ein Mechanismus zur Streitbeilegung eingeführt. Dieser würde für den Fall, dass keine zufriedenstellende Lösung für ein festgestelltes Problem gefunden wird, automatisch zur Wiedereinführung der Sanktionen führen.
Ein wesentlicher Aspekt dieses Mechanismus bestand zudem darin, dass die Wirtschaftssanktionen automatisch wieder in Kraft treten würden, wenn eine Partei des Abkommens ihr Veto im UN-Sicherheitsrat nutzt, um eine Abstimmung über die Nichterfüllung des Abkommens zu blockieren.
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/Washington sabotiert das Atomabkommen
In den ersten mehr als zwei Jahren des Bestehens dieses Abkommens – von Juli 2015 bis Mai 2018 – wurde festgestellt, dass der Iran seine Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt hat.
Im Mai 2018 zogen sich die USA jedoch abrupt aus dem Abkommen zurück, und zwar mit der Begründung, dass das Auslaufen der "Sunset-Klauseln" dem Iran den Weg zur Herstellung einer Atomwaffe geebnet habe und der JCPOA somit kaum mehr als ein Förderprogramm bösartiger nuklearer Absichten des Iran sei.
Als EU-Unternehmen aus Furcht vor sekundären US-Sanktionen ihre Bereitschaft zu Geschäften mit dem Iran auf Eis zu legen begannen, stellte der Iran außerdem zu Recht fest, dass auch die EU gegen das JCPOA verstößt.
Iran gab den verbleibenden Vertragsparteien des JCPOA sechs Monate nach dem Rückzug der USA Zeit, die notwendigen Mechanismen zu entwickeln, um den Auswirkungen der US-Wirtschaftssanktionen zu begegnen.
Bis November 2018 waren jedoch keine derartigen Mechanismen eingeführt worden. Als die USA schließlich den wirtschaftlichen Lebensnerv Irans durch die Sanktionierung von Ölverkäufen ins Visier nahmen, reagierte der Iran mit der Berufung auf seine Rechte nach Artikel 26 und Artikel 36 des JCPOA. Diese erlauben dem Iran, "die Erfüllung seiner Verpflichtungen im Rahmen des JCPOA ganz oder teilweise einzustellen", entweder infolge der Wiedereinführung neuer nuklearbezogener Sanktionen oder der "erheblichen Nichterfüllung" von Verpflichtungen im Rahmen des JCPOA oder – in diesem aktuellen Fall – für beides.
Seitdem hat sich der Iran (vertragsgemäß) schrittweise von den ihm durch den JCPOA auferlegten Beschränkungen abgewandt. Wobei er jedes Mal erklärt hatte, dass seine Maßnahmen sofort rückgängig gemacht werden können, wenn die zugrunde liegenden Probleme in einer Weise gelöst werden, die dem Buchstaben und der Absicht des JCPOA entspricht.
Europas Feigheit
Kurzum, der Iran verlangte, dass die EU ihren Verpflichtungen nachkommt, den Wirtschaftssanktionen der USA standzuhalten. Dies hat die EU konsequent versäumt. Als Reaktion darauf hat sich der Iran schrittweise von seinen Verpflichtungen zurückgezogen. Das hat zur gegenwärtigen Situation geführt, in der alle durch das JCPOA auferlegten Beschränkungen – mit Ausnahme der internationalen Inspektionen, die unvermindert weiterlaufen – nicht mehr in Kraft sind.
Wenn es um die Frage der Schuld an dem aktuellen Stand der Dinge geht, stehen wir hier keinesfalls vor einer "Henne oder Ei"-Debatte. Die Schuld liegt sowohl bei den USA, die sich von dem Abkommen zurückgezogen haben, als auch bei der EU, die ihren Verpflichtungen aus dem JCPOA bezüglich des wirtschaftlichen Engagements mit dem Iran nicht nachgekommen ist.
Der Iran hat die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens seit Langem vor der Aktivierung des DRM gewarnt. Teheran verweist darauf, dass der JCPOA einen solchen Schritt nicht zulässt, wenn der Iran – wie es gegenwärtig der Fall ist – sein vertragsgemäßes Recht als Reaktion auf die illegalen und einseitigen Aktionen der USA ausübt.
Es gibt keine realistische Erwartung, dass der Iran seine Position in dieser Hinsicht ändern wird. Russland und China haben bereits angedeutet, dass der Iran im Rahmen des JCPOA voll und ganz das Recht hat, seine Verpflichtungen in Bezug auf die Beschränkungen seines Nuklearprogramms unter Berufung auf die Nichterfüllung durch die USA und die EU zurückzunehmen.
Mit der Berufung auf den DRM haben die Europäer wissentlich und bewusst einen Prozess eingeleitet, der nur ein Ergebnis haben kann, nämlich die Beendigung des JCPOA. Damit hat die EU unbegründete Anschuldigungen der USA über iranische Atomwaffenabsichten nunmehr tatsächlich mit Leben erfüllt und so den Weg für einen unausweichlichen Zusammenstoß zwischen Washington und Teheran bereitet, der die ganze Welt mit in den Abgrund reißen könnte.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Nachrichtenoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspekteur für die Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Zweiten Golfkriegs (von 1988 bis 1991) und in den Jahren 1991 bis 1998 als UN-Waffeninspekteur.
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