Thierry Breton, EU-Kommissar und französisch-senegalesischer Geschäftsmann
von Max Roland
„Lieber Herr Musk, ich schreibe Ihnen im Kontext der Ereignisse im Vereinigten Königreich und im Hinblick auf Ihren geplanten Podcast auf Ihrer Plattform X mit einem US-Präsidentschaftskandidaten und Ihnen selbst“, eröffnet EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton seinen Brief an Elon Musk. Der lange Brief kommt eher einer Drohung gleich: Er kündigt Musk unverhohlen Strafmaßnahmen an, weil dieser auf seiner Plattform Informationen verbreitet, die Breton fürchtet. „Meine Dienststellen und ich werden bezüglich aller Hinweise auf Verstöße gegen den DSA äußerst wachsam sein und nicht zögern, unser gesamtes Instrumentarium auszuschöpfen, inklusive der Verhängung einstweiliger Maßnahmen, falls dies gerechtfertigt sein sollte, um EU-Bürger vor ernsthaften Schäden zu bewahren“.
Der DSA: Das ist der sogenannte „Digital Services Act“, zu Deutsch „Gesetz über Digitale Dienste“. Dieses EU-Gesetz ist seit Anfang August in Kraft und hochumstritten. Es soll die großen Social-Media-Plattformen regulieren – Kritiker aller politischen Richtungen sehen in dem Gesetz eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, das die Axt an fundamentale Grundsätze einer freien Gesellschaft anlegt. Nach Artikel 34 des DSA etwa haben die Plattformen nicht nur rechtswidrige Einträge zu löschen – sie sollen Einträge auch auf deren Löschungsbedürftigkeit im Hinblick auf „kritische“ und „nachteilige“ Einträge prüfen.
Nicht nur rechtswidrige, sondern auch „anderweitig schädliche Informationen“ seien zu löschen, heißt es in dem Gesetz. Plattformbetreiber sollen sich auch ausdrücklich auf nicht rechtswidrige Informationen konzentrieren. Sie sollen verhindern, dass „irreführende und täuschende Inhalte, einschließlich Desinformationen“ verbreitet werden. „Desinformation“ ist ein schwammiger Begriff, den das Gesetz überhaupt nicht definiert – gemeinhin bezeichnet er auch Informationen, die zwar faktisch richtig sind, aber „falsche Gesamtbilder“ vermitteln. Ein fast orwellscher Kampfbegriff, der die Meinungsfreiheit erstickt.
Mit diesem DSA bewaffnet geht Thierry Breton wie mit einem Vorschlaghammer vor: Er sieht sich als obersten Zensor. Mit Freiheit, ob Rede- oder Informationsfreiheit, hat er offenkundig wenig am Hut. Stattdessen meint er, 400 Millionen Menschen vor dem schützen zu müssen, was er „Desinformation“ nennt. Das muss, auch im Sinne des DSA, nicht einmal eine tatsächliche Falschinfo sein – es reicht, wenn sie wahr ist, aber „unerwünschte“ Effekte haben könnte.
Viele Social-Media-Plattformen, etwa der Facebook-Konzern Meta, gehorchen Regierungen in aller Welt nur zu gerne, wenn es darum geht, Posts zu zensieren. Musk ist da anders: Seitdem er Twitter kaufte und die Plattform in „X“ umbenannte, propagiert er sein Netzwerk als Bastion der Meinungsfreiheit. Umfangreiche Content-Moderation findet de facto nicht statt.
Derweil ist in Brüssel ein gewisses Unbehagen über Bretons Brief spürbar. Die EU und von der Leyen stehen voll hinter dem umstrittenen DSA – aber dieser Drohbrief war nicht mit der Kommission abgesprochen, auch die Präsidentin Ursula von der Leyen wusste nicht Bescheid. Kommissionssprecher betonen, dass der DSA keinesfalls dazu da sei, Aussagen von Individuen zu unterdrücken. Breton tritt jedoch genau so auf: Er schwingt den DSA wie einen Vorschlaghammer in seinem persönlichen Krieg gegen Musk und Meinung.
Es ist inzwischen genau das geworden: Ein persönlicher Krieg des obersten Regulators gegen einen aufmüpfigen Milliardär, der sich seinen Anordnungen partout nicht beugen möchte. Breton tritt auf mit dem Habitus eines Oberlehrers, Musk gibt in diesem Bild den rebellischen Teenager. Dieser Teenager ist es jedoch, der die Meinungsfreiheit gegenüber dem grauen Bürokraten verteidigt. Als Antwort auf Bretons Brief postete Musk ein Meme, das dem Kommissar empfahl, sich „in die eigene Fresse zu ficken“. Vulgär – aber genauso macht der US-Unternehmer sich zum Helden für die Meinungsfreiheit.
Breton war ein erfolgreicher Geschäftsmann: Er hat viele Großkonzerne wie France Telecom oder den französischen IT-Großkonzern Atos geführt und verdiente Millionen. Er war von 2005 bis 2007 französischer Wirtschafts- und Finanzminister und lehrte als Professor an der renommierten Harvard Business School. Staatspräsident Emmanuel Macron machte ihn nach der Europawahl 2019 zum Kommissar in Brüssel – eigentlich als Notnagel, weil seine ursprüngliche Kandidatin im EU-Parlament durchgefallen war. Mittlerweile hat sich Breton zum wichtigsten und mächtigsten Verbündeten Macrons in der EU-Kommission entwickelt.
Dort tritt er mit einem, vorsichtig formuliert, gewaltigen Selbstbewusstsein auf. Nicht nur, weil er schon in der scheidenden Kommission sehr viel Macht auf sich vereinte (neben seinem offiziellen Job als Binnenmarktkommissar ist er in Brüssel auch für Raumfahrt- und Verteidigungspolitik zuständig) – er fuhr seiner nominellen Chefin Ursula von der Leyen auch gerne mal in die Parade. Als sie von der Europäischen Volkspartei (EVP) zur Spitzenkandidatin für die Europawahlen 2024 ausgerufen wurde, machte sich Breton öffentlich über ihr schlechtes Wahlergebnis lustig. Mit einer von ihm angezettelten Intrige wurde auch von der Leyens Wunschkandidat für den EU-Mittelstandsbeauftragten verhindert.
Nicht nur die Kommissionspräsidentin, auch die anderen Kommissare und Funktionäre sollen oft über den Franzosen stöhnen, der vor allem in seinem eigenen Sinne handelt – vielleicht sind die Gedanken mancher Breton-Kollegen gar nicht so weit von Musks Empfehlung an den Kommissar entfernt. „Die EU mischt sich nicht in fremde Wahlkämpfe ein “, zitiert das Magazin Politico einen anonymen EU-Funktionär, der sich gewaltig über Breton ärgert: Die Implementierung des DSA sei viel „zu bedeutend, als dass sie von einem aufmerksamkeitsheischenden Politiker auf der Suche nach dem nächsten Posten“ missbraucht werden dürfe.
In der neuen Kommission soll Breton noch mehr Macht auf sich vereinen – wenn man Medienberichten Glauben schenkt, wird er endgültig zum mächtigsten Kommissar in Brüssel. Macron will seinen Protegé zum Vizepräsidenten der Kommission machen. Auch die Schaffung eines neuen Kommissars für Verteidigung ist im Gespräch – mit Breton in der Favoritenrolle.
Die breite Brust des eigenmächtigen Kommissars dürfte noch breiter werden – sein Privatkrieg mit Musk, der ihm in Sachen breiter Brust in nichts nachsteht, dürfte sich weiter eskalieren. Dazu passt der unabgesprochene Drohbrief: Es ist der Privatkrieg eines Mannes, den die Meinungsfreiheit stört. Der oberlehrerhaft auftritt und sich auch genauso versteht: Als Lehrer, als Aufsichtsperson für 400 Millionen Europäer, denen er diktieren will, was sie sehen dürfen und was nicht. Diesem Ansinnen steht vor allem ein Mann entgegen: Elon Musk, der aufmüpfige Milliardär.