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Die Landesmedienanstalten als Wahrheitsministerien

swaine1988
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Autor: Helge Buttkereit
Quelle: https://www.anonymousnews.org/...
2023-11-28, Ansichten 506
Die Landesmedienanstalten als Wahrheitsministerien

Medienstaatsvertrag: Landesmedienanstalten als Zensurbehörden

Der neue Medienstaatsvertrag ist vor knapp drei Jahren in Kraft getreten. Er macht die Landesmedienanstalten quasi zu Zensurbehörden, die meinen, die „Wahrheit“ vertreten zu dürfen. Im Sommer hat die Medienanstalt Berlin-Brandenburg unter ihrer Direktorin Eva Flecken dem Internet-Portal Apolut die Verbreitung von fünf Beiträgen untersagt. Der Vorwurf: Journalistische Standards seien nicht eingehalten worden. Eine Recherche zum aktuellen Fall und der allgemeinen Praxis der Landesmedienanstalten.

von Helge Buttkereit

„Eine Zensur findet nicht statt.“ So heißt es eindeutig in Artikel 5 des Grundgesetzes. Weiterhin steht dort: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“

In der Realität ist es nicht so eindeutig. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) sieht das mit dem Grundrecht wie folgt: „Das verfassungsrechtliche Zensurverbot umfasst allein die Vorzensur, d.h. das Eingreifen von Maßnahmen vor der Veröffentlichung eines Beitrages. Die nachträgliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit fällt hingegen unter den Schrankvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG.“ Vorzensur dürfe nicht sein, Nachzensur schon, so kann man diese Sätze der Medienanstalt übersetzen. Sie verweist auf allgemeine Gesetze, die die Grundrechte in gewisse Schranken weisen können. Allgemeine Gesetze wohlgemerkt. Gesetze für alle. Das wird im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen.

Die Aussage zur Nachzensur steht in der Begründung der MABB für ihr Vorgehen gegen das Internet-Portal Apolut. Nachdem bereits im August 2022 fünf Beiträge angemahnt wurden, Apolut dies in einer Stellungnahme zurückwies, mussten diese nun im Sommer nach einem Bescheid der Medienanstalt gelöscht werden. Dazu wurden insgesamt 4.000 Euro fällig. Der Bescheid ist mittlerweile öffentlich, Multipolar liegen weitere Dokumente vor.

Der Medienstaatsvertrag und die Medienanstalten

Bevor es um das konkrete Verfahren geht, zunächst zur Frage, warum die Medienanstalt de facto als Zensurbehörde handeln darf. Warum sie gegenüber einem Internetangebot vorgeblich die „Wahrheit“ vertritt. Sie handelt auf Basis des Medienstaatsvertrags, der im dem November 2020 in Kraft trat und seitdem zweimal geändert wurde. Darin haben sich die Bundesländer auf neue Regelungen unter anderem für sogenannte Telemedien geeinigt. Tenor: Wer im Netz Journalismus betreibt, muss sich an die journalistische Sorgfaltspflicht halten. Die wiederum richtet sich insbesondere nach dem Kodex des deutschen Presserats. Ziel der neuen Vorschriften ist es, Fake News und Desinformation zu verhindern oder besser gesagt das, was die Medienanstalten dafür halten. Es geht gegen oppositionelle Medien.

Die insgesamt 14 Landesmedienanstalten – Hamburg und Schleswig-Holstein sowie Berlin und Brandenburg teilen sich jeweils eine, alle anderen sind für je ein Bundesland tätig – sind de jure staatsfern und halten dies auch hoch. Schaut man sich aber die Gremien an, die noch dazu von den Landesparlamenten gewählt werden, dann bleibt nicht mehr viel von der Staatsferne übrig. Zum Beispiel der Medienrat der MABB: Der Vorsitzende Martin Gorholt war vorher Chef der Staatskanzlei in Brandenburg, seine Stellvertreterin Karin Schubert einst Justizsenatorin in Berlin. Auch viele der anderen insgesamt neun Mitglieder fallen eher durch Staatsnähe als -ferne auf, so dass Medienanwalt Markus Kompa in einem Fachartikel zum Thema schreiben kann: „Faktisch handelt es sich daher um staatliche Exekutive.“

Ausweg Presserat

Die Medienanstalten prüfen also nun die verschiedenen Online-Angebote – zuständig ist jeweils die Anstalt, in deren Bundesland das Medium seinen Sitz hat – oder reagieren auf Hinweise von verschiedenen Seiten. Zuständig sind sie allerdings laut Medienstaatsvertrag nur dann, wenn das Medium sich keiner Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen hat. Hierfür kommt derzeit allein der Deutsche Presserat infrage.

Wer beim Presserat – ein Selbstregulierungsverband von Verlegern und Journalistengewerkschaften – eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnet und jährlich eine bestimmte Summe je nach Reichweite des Mediums zahlt, der ist vor den Medienanstalten sicher. Er verpflichtet sich, den Pressekodex einzuhalten und Maßnahmen nach der Beschwerdeordnung des Gremiums zu ergreifen. Mehr als die Arbeit mit der Beschwerde und der Veröffentlichung einer Rüge droht da nicht. So haben sich auch Kritiker des Presserats wie das Medienmagazin Übermedien dem Pressekodex unterworfen, nachdem sie einige Monate vor der Selbstverpflichtung moniert hatten, dass der Presserat mit seiner Zahnlosigkeit um Onlinemedien werbe.

Insgesamt haben laut Presserats-Sprecherin Sonja Volkmann-Schluck seit Ende 2020 etwa 120 Medien diesen Ausweg gewählt. Etwa 20 bis 30 weiteren sei die Anerkennung versagt worden, weil sie entweder nicht unabhängig seien oder kein journalistisch-redaktionelles Angebot darstellten, heißt es auf Multipolar-Anfrage. Nur solch journalistisch-redaktionelle Angebote, die regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen veröffentlichen, müssen sich laut Medienstaatsvertrag an die Sorgfaltspflicht halten. Einer der wenigen bisher abgeschlossenen Fälle lässt allerdings andere Schlüsse zu. Hier wurde ein einzelner Blogger belangt, in der Datenbank der „Kommission für Zulassung und Aufsicht“ (ZAK) steht sein Name abgekürzt und der Zusatz „Privatperson“. Um den Fall wird es später noch gehen.

Das Zensurverfahren

Finden die Medienwächter bei einem Medium wie KenFM oder seinem Nachfolger Apolut etwas beanstandenswert, schicken sie ein Hinweisschreiben. Anfang 2021 machten Informationen über die ersten Briefe dieser Art die Runde, sie gingen damals neben KenFM – Multipolar thematisierte damals die Vorwürfe ausführlich – unter anderem an den AfD-nahen Deutschland Kurier oder die lokale Internetzeitung Report K aus Köln. Während letztgenannte das Hinweisschreiben innerhalb weniger Stunden entkräften konnte, weil die Medienanstalt schlecht recherchiert hatte, blieb KenFM im Fokus der MABB. Erst als das Portal die Arbeit einstellte und mit neuer Stoßrichtung und neuem Namen als Apolut weitermachte, wurde das Verfahren im Oktober 2021 eingestellt. Nicht einmal ein Jahr später bekam dann Apolut ein Hinweisschreiben.

Zuvor hatten die Medienanstalten das Verfahren an einem Blogger durchexerziert. Nach dem Hinweisschreiben folgte, wie Anwalt Kompa aus den Akten erfuhr, die Entscheidung der ZAK per Akklamation. Die ZAK besteht übrigens aus den 14 Direktoren der Landesmedienanstalten. Kompa fasst zusammen: „Zunächst wurde der Fall von einer Prüfkommission aus sieben Landesmedienanstalten einstimmig vorgeschlagen, dann erhielten sämtliche Direktoren im Umlauf jeweils eine Beschlussvorlage und stimmten ohne Beratung oder eigene Begründung per E-Mail ab. Lediglich eine Anstalt widersprach und begründete dies mit der fehlenden Erkennbarkeit als journalistisch-redaktionelles Medium und der Einordnung des Beitrags als Werturteil.“ In der Folge untersagte die zuständige Medienanstalt die Veröffentlichung eines Absatzes, da dort ein falscher Eindruck erweckt und damit gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen worden sei.

Wem diese Maßnahmen nebst Medienstaatsvertrag und seinen neuen Regelungen komisch vorkommen – schließlich dürfen Zeitungen schreiben was sie wollen –, der liegt richtig. Denn zur Wahrheit, die die Landesmedienanstalt zu vertreten glaubt, sind Journalisten ansonsten durch die Landespressegesetze zwar verpflichtet. Das aber seien Sonntagsreden, sagt Markus Kompa. Sanktioniert wird die Presse nicht. Der Presserat wiederum ist ein zahnloser Tiger, der Falschmeldungen oft genug nicht verfolgt, so diese dem herrschenden Narrativ entsprechen. Ausgerechnet der Blogger, der als erstes in die Datenbank der Aufsichtsfälle der ZAK geriet, hat vor einigen Jahren ausführlich eine Falschberichterstattung des Sterns moniert. Der Presserat wies die Beschwerde ab, stattdessen wurde der Blogger vom Stern verklagt.

800 Euro pro Artikel

Das Portal Apolut ist im Oktober 2021 in die Fußstapfen von KenFM getreten. Ende August 2022 auch als Adressat eines Hinweisschreibens der Landesmedienanstalten. Nach rechtlicher Anhörung und der Zurückweisung der Argumente durch die Landesmedienanstalt kam dann Mitte dieses Jahres der Bescheid: Insgesamt fünf Artikel seien zu ändern oder zu löschen und pro Artikel 800 Euro Bearbeitungsgebühr zu zahlen. Man habe schließlich immer wieder prüfen und recherchieren müssen, heißt es im Schreiben der MABB. Gegen das dann auch nicht einfach Widerspruch eingelegt werden konnte, sondern Apolut hätte klagen müssen. Das gelang nicht, weil der Anwalt nach Multipolar-Informationen die Frist verstreichen ließ. So wurde der Zensurakt rechtskräftig.

Was nun störte die Landesmedienanstalt in den fünf Artikeln? Drei Mal ging es um Corona und zwei Mal um die Ukraine. In einem Fall gar nur um eine Jahreszahl. Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer hatten in einem Artikel zum ukrainischen Präsidenten behauptet, dessen Beliebtheit sei von Anfang 2021 an stark gesunken. Richtig wäre 2020 gewesen. Die MABB verwies auf die Sorgfaltspflicht und die besondere Bedeutung von Umfragen, ignorierte aber, dass der Artikel an vielen anderen Orten im Internet weiterhin mit genau dem Wortlaut steht, der Apolut verboten wurde. Im zweiten Ukraine-Artikel behauptet der Autor, Selenskyi habe jegliche Opposition verbieten lassen. Die MABB findet dafür einige gegenteilige Quellen – unter anderem bei Wikipedia. Mit seiner Aussage ist der Apolut-Autor allerdings nicht allein. Ein Stern-Reporter schrieb drei Monate zuvor: „Der ukrainische Präsident hat alle Oppositionsparteien verboten und alle TV-Sender zusammen legen lassen.“ Bis heute steht dies auf stern.de. Davon einmal ganz abgesehen ist auch dieser Artikel, den die Medienanstalt bei Apolut anmahnte, auf anderen deutschen Websites weiterhin zu lesen, und ob es wirklich noch Opposition in der Ukraine gibt, ist ein anderes Thema.

Ausführlich hat sich der Autor zweier weiterer angemahnter Texte, der Biologe Markus Fiedler, mit dem Vorgehen der MABB beschäftigt. Fiedler wirft deren Direktorin Eva Flecken Ahnungslosigkeit in Sachfragen vor, wenn sie ihn beispielsweise darauf hinweist, bei den mRNA-Impfungen handele es sich nicht um Gentherapie. „Ich muss nicht erst recherchieren, was Genmanipulationen sind, so wie von der MABB gefordert, das habe ich vor Jahrzehnten im Biostudium gelernt. Und dass ich mich explizit als Biologe äußere, ist in den Artikeln auch entsprechend erwähnt“, schreibt Fiedler. Die Medienanstalt wolle ihm und den Kollegen „den Weg der Wahrheitsfindung und den Inhalt von Artikeln vorschreiben“. Fiedler schreibt, dass die MABB die freien Meinungsäußerung unterdrücke. „Die angeblich staatsferne MABB, die sich hier wie ein orwellsches Wahrheitsministerium geriert, handelt eindeutig verfassungswidrig. Ziel dieses Handelns ist die Zensur regierungskritischer Publikationen.“

Verfassungswidrig?

Was sagen die Experten? Der Medienrechtler Wolfgang Lent zweifelt daran, dass der betreffende Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags verfassungsgemäß ist. Die Regelungen des Medienstaatsvertrags träfen ausschließlich Online-Medien, was Indiz für eine Sonderrechtsregelung sein kann. Zudem sei gar nicht genau definiert, wer unter das Gesetz falle. Außerdem würde die Kontrollfunktion gegenüber dem Staat ausgehebelt, wenn die Journalisten bei ihrer Recherche Rücksicht auf Staatsbelange nehmen müssten. Lent: „Eine Behördenaufsicht über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten führt gerade in diesen Fällen zu inakzeptablen Rahmenbedingungen der online-journalistischen Arbeit.“ Außerdem gebe es einen faktischen Beitrittsdruck zum Presserat, was ebenfalls verfassungsrechtlich problematisch sei. Insgesamt sei der Medienstaatsvertrag nicht mit der Pressefreiheit vereinbar. (5) Auch Markus Kompa hält Staatsvertrag und Vorgehen der Landesmedienanstalten für höchst bedenklich und wünscht sich einen Fall, in dem er klagen kann.

Die Medienanstalten geben derzeit kaum Anlass dafür. Der Fall KenFM, dann das Nachfolgeportal Apolut – ansonsten finden sich nur zwei Einzelblogger in der Datenbank der ZAK. Alles nicht so dramatisch? Oder warten die neuen Zensurbehörden ab? Genaue Angaben, wie viele Hinweisschreiben verschickt wurden, gab die Gemeinsame Geschäftsstelle der Landesmedienanstalten in Berlin erst nach mehrfachem Nachfragen von Multipolar heraus. Es waren seit November 2020 bis Mitte September 2023 insgesamt 45. Mehr als die Hälfte davon verschickte die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen. Drei Landesmedienanstalten (Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bremen) verschickten gar keine Hinweisschreiben. Namen der adressierten Onlinemedien würden aus Datenschutzgründen nicht genannt. Derzeit werde der betreffende § 19 des Medienstaatsvertrag evaluiert. „Im Bereich Desinformation gilt es beispielsweise zu klären, wo mit Blick auf die Meinungsfreiheit die Grenzen liegen. Aus unserer Sicht weist ein abgestufter Ansatz, der ein inhaltsneutrales Vorgehen gegen Desinformation ermöglicht, in die richtige Richtung, denn er setzt beim Ersteller von Inhalten und manipulativen Verbreitungstechniken an“, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage. Eine nebulöse Behördenantwort.

Der Presserat sieht die Entwicklung positiv. Er rühmt den Medienstaatsvertrag auf Multipolar-Nachfrage als „Meilenstein in der Regulierung von Telemedien“. Der Presserat hat eine neue Einnahmequelle und scheinbar nicht viel Arbeit. Eine eigene Statistik der reinen Online-Fälle führe man nicht, heißt es vom Presserat. Eine Durchsicht der Beschwerdefälle ergab, dass in den vergangenen Jahren zumindest keine Oppositionsmedien gerügt wurden.


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