Am 22. Dezember gab Nadeschda Sawtschenko eine Pressekonferenz vor ein paar Journalisten und den Resten ihrer Fangemeinde. Das Mauermuseum in Berlin wollte mit ihr wie gewohnt eine prominent besetzte Anti-Russland-Show veranstalten. Stattdessen wurde diese zum Abgesang des einstigen Lieblings des Westens und ein Vermittlungsgespräch.
Noch im Frühjahr beschäftigte Nadija Sawtschenko die höchsten Ämter der westlichen Politprominenz. Ein orchestriertes Echo ging durch alle Mainstreammedien und soziale Netzwerke: „Free Nadja Sawtschenko“, die nach den Worten ihrer damaligen Parteichefin Julia Timoschenko „Symbol für Ehre, Gewissen und Kraft unseres Staates“ darstellte. Die Propagandaprofis machten kurzerhand aus der unbeherrschten militanten Nationalistin und einer „Pilotin“, die niemals flog, eine Ikone.
Keiner der Medienmacher, die an der Schaffung des Hypes um Sawtschenko arbeiteten, interessierte sich für die Einzelheiten des Gerichtsverfahrens, das Russland gegen sie einleitete. Sie war wegen Beihilfe zum Mord an zwei russischen Journalisten im Kampfgebiet bei Lugansk in der Ostukraine verurteilt. Sie sollte den Beschuss des Checkpoints, bei dem die Journalisten zu dem Moment drehten, als Richtschütze koordinieren.
Seit jeher galt pauschal für alle „Opfer russischer Justiz“ die Unschuldsvermutung: Wer in Russland hinter Gittern landet, dem wird - ungeachtet der Anschuldigungen und Beweislage - allein schon deshalb Unrecht getan. Und wenn dieser jemand noch aus der Ukraine stammt, genießt er schon nach diesem Abstammungsprinzip den Heldenstatus.
Nach dem von der Verteidigung unangefochtenen Schuldspruch machte die russische Führung einen unerwarteten Coup: auf Gesuch der Angehörigen der getöteten Journalisten begnadigte am 25. Mai der russische Präsident, Wladimir Putin, Nadeschda Sawtschenko und tauschte sie gegen zwei in der Ukraine gefangengenommene russische Staatsbürger, denen auch ein hartes Urteil drohte.
Nicht alle verstanden damals die List dieser Entscheidung. Der Westen und die Ukraine überschäumten sich vor Euphorie: Kreml gab dem Druck der empörten „Weltöffentlichkeit“ nach. Sawtschenko sollte nun in die für sie vorgesehene Rolle der ukrainischen Jeanne d’Arc schlupfen. Dafür wurde sie fernab gesetzlicher Konventionen aus der Untersuchungshaft heraus in die Rada und die ukrainische Vertretung in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt. Auf der Internationalen Bühne sollte sie denjenigen, die daran noch zweifelten, von russischen „Aggressionen“ in der Ukraine erzählen.
Das Problem war aber, dass der neue politische Star seine Karriere in der Untersuchungshaft und auf den Fernsehbildschirmen westlicher Medien machte und nicht im Haifischbecken des ukrainischen Politikbetriebes. Vermeintliche Hungerstreiks, volkstümliche Strickhemden und „ich hasse euch alle“-Miene reichen in diesem Geschäft nicht. Die Entgleisungen von „Nadija“ begannen schon am Tag der Ankunft.
Kaum mit der Präsidentenmaschine gelandet, brach Nadeschda Sawtschenko direkt am Flughafen in Wut aus. Dutzende auf sie gerichtete Kameras hielten die Szene fest: es sah so aus, als ob die im Käfig aus Kameratechnik gefangene Soldatin die ganze journalistische Menschenmenge beschimpft. Ihren Zorn richtete sie aber gegen die „Verräter in Kiew“, was auch immer man darunter verstand. Es wurde direkt ungemütlich mit Sawtschenko.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die unberechenbare Politikerin von einer „Heldin“ zu einer „Kremlagentin“ wurde. Ihre mit der Parteiführung der „Vaterlandspartei“ nicht abgestimmten Besuche bei „Separatisten“ und gar mal wieder in Moskau – der Hauptstadt des im neu-ukrainischen Sprech „Aggressor-Staates“ – kostete die einst gar als Präsidentschaftskandidatin gehandelte Politikerin die meisten Unterstützer von der nationalistisch-patriotischen Flanke.
Besonders kontrovers war ihre plötzlich geäußerte Behauptung, dass es sich bei den Chefs der nicht anerkannten Republiken Donezk und Lugansk nicht um „Terroristen“ handelt, sondern um Gegner, die durchaus zu respektieren ist. Mit jeder neuen Verhandlung von Nadeschda (was auf Russisch für Hoffnung steht) mit „Separatisten“ geriet sie immer mehr in das Abseits der ukrainischen Politik.
Es gibt einen Zeitpunkt, ab dem die deutschsprachigen Mainstreammedien Nadeschda Sawtschenko fallen ließen: Mitte Juli. Nadija Sawtschenko auf dem absteigenden Ast der ukrainischen Politik stellte kein Interesse mehr dar. Auch als Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarates machte sie keine gute Figur. Sie trat eher unsicher auf, ihre floskelhaften russlandkritischen Reden wirkten hohl.
Die Entscheidung, die unbequeme Gefangene direkt nach der Urteilsverkündung in ihre Heimat zurückzuschicken, stellte sich aus russischer Sicht als klug heraus. Es dauerte nur wenige Monate, bis die „Kampfpilotin“ aus der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko rausgeschmissen wurde und gestern auch aus der ukrainischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Der Entzug des Abgeordnetenstatus der neuerlichen „Kremlagentin“ wird auch schon angestrebt.
Damit entledigte sich Russland der unbequemen Gefangenen und warf sie in die Mühlen der ukrainischen Politik. Trotz ihrer antirussischen Rhetorik stellte sie mit ihrem Einsatz im Vermittlungsprozess zwischen Kiew und Aufständischen eine wichtige innenpolitische Debatte in den Raum: Soll Kiew jetzt Donezk und Lugansk doch als Verhandlungspartner anerkennen?
Am 16. Dezember gab sie nach ihrem letzten Besuch im abtrünnigen Gebiet ein bemerkenswertes Interview mit folgenden Worten:
Diese Menschen sind für mich keine Terroristen. Ich erkläre es euch Journalisten nochmal: Öffnet jedes beliebige Statut über die Regeln der Kriegsführung und lest, was Terrorismus bedeutet. Nein, sie sind definitiv keine Terroristen, Separatisten schon.“
Damit war aber nicht genug. Sie bestritt auch die geläufige ukrainische Unterstellung, die Chefs der nicht anerkannten Republiken seien Kreml-Marionetten, indem sie sie mit sich selber verglich.
Na, Sie wissen doch, dass ich unabhängig von jemandes Wille agieren kann. Ich kann nur vom Wille des Volkes handeln, weil ich auch Volk bin und ich weiß, was ich für richtig halte. So geht es jedem Menschen – und sie, entschuldigen Sie, das müssen wir doch anerkennen, sind auch Menschen.“
Solche Äußerungen riss die letzten Nähte, die Nadeshda Sawtschenko mit ihrem politischen Stammeslager verbanden. Es blieb nur festzustellen, dass Unberechenbarkeit und Unabhängigkeit in Kiew keine Rezepte für politische Karriere sind.
Sawtschenko verlor die Unterstützung derer, die ihre Freilassung und Rückkehr anstrebten. Dagegen bekam sie auch kein Vertrauen vom dem sogenannten prorussischen Elektorat“, stellte der Politiloge Konstantin Bondarenko fest.
Von dieser Deplatzierung wollte das Mauermuseum in Berlin nichts wissen. Seiner Agenda folgend, „putinsches“ Russland wo es nur geht an den Pranger zu stellen, lud es Nadeschda Sawtschenko für den 22. Dezember zur Pressekonferenz nach Berlin ein. Sie sollte unter anderem auch als Syrien-Expertin über „die Regierung Wladimir Putins als Destabilisator des Friedens in Europa und in der Welt“ sprechen.
Dem Mauermuseum zufolge sind Teile der Ukraine von Russland „besetzt“. Von der mittlerweile differenzierteren Meinung von Sawtschenko selbst zu diesem Konflikt schienen die Veranstalter nicht viel mitbekommen zu haben.
Trotz der mit der Bezeichnung „Museum“ verbundenen Vorstellung über so etwas wie „historische Objektivität“, verfolgt dieses Institut des historischen Gedächtnisses seit der Zeit seiner Gründung im Jahr 1963 in West-Berlin am Checkpoint Charlie strikt die westliche Sicht auf den Kalten Krieg.
Aus dieser Befangenheit emanzipierte es sich auch nach der freiwilligen Beendigung des Kalten Krieges seitens der Sowjetunion nicht. Für die Direktion des Museums ist Russland ein furchtbarer Fremder geblieben, bei dem nur das gut war, was für den „Westen“ verständlich und genehm war.
Nun aber, in den neuen Krisenzeiten, wirkt dieses Gremium mit seinem Engagement in „Russland-Fragen“ als ewiggestriges Relikt dessen, wofür sein Name auch steht: Kalter Krieg und Mauerbau.
Mit ihrem primitiven schwarz-weißen Weltbild tappten die Veranstalter der gestrigen Konferenz deutlich daneben. Mit Sawtschenko gab es keine Wiederholung der kruden Propaganda-Veranstaltung „Putin, lassen Sie meine Tochter, Nadija Sawtschenko, frei!“ vom März 2015, als sich ebenda Sawtschenkos Mutter, Schwester und Anwalt über Russland auf die folgende Art und Weise beschwerten:
Deutschland, also der östliche Teil des Landes, hat nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Russen sehr leiden müssen, also weiß man noch, was es heißt, unter Russland zu leben“,
und weiter:
Momentan ist es schwer zu verstehen, was in Russland vor sich geht, und die einzige Hoffnung auf Veränderung liege wohl darin, dass im Kerninneren endlich eine Explosion alles davonträgt, was jetzt an der Macht ist.“
Die lebendige und gesund aussehende ehemalige Gefangene lieferte auf der Pressekonferenz nicht das, was die exaltierten „Menschenrechtler“ vom Mauermuseum von ihr erwarteten. Sie kam nicht als Überlebende der „stalinistischer Willkür“ daher, was das Wording „Schauprozess“ in der Einladung suggerieren sollte. Vielmehr fungierte sie als Vermittlerin zwischen den abtrünnigen Regionen der Ukraine, gegen die sie selbst als Mitglied eines nationalistischen Freiwilligen-Bataillons kämpfte, und der durch einen Staatsstreich an die Macht geputschte Regierung, die sich anmaßt, für die gesamte Ukraine zu sprechen.
Nach der Pressekonferenz im Mauermuseum am Checkpoint Charlie ist es nun noch weniger wahrscheinlich, dass Nadeschda Sawtschenko auch weiterhin als gefragter Akteur der antirussischen Shows durch den Westen touren wird.
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