Oskar Lafontaines jüngst erschienene Streitschrift: „Ami, it‘s time to Go! Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas“ versucht die Kriegsursachen in der Ukraine zu klären. Hier folgt nun der dritte Teil der ausführlichen Buchanalyse von Karsten Frey. Hier mehr über dieses Buch erfahren, das Augen öffnet!
_ von Karsten Frey
Dafür schrecke die US-Politik nicht vor Terrorakten zurück. Im Hinblick auf die Sprengung der Ostsee-Pipeline sieht Lafontaine das Wort Noam Chomskys von den USA als „Terror-Staat Nummer 1“ bestätigt. Aber wir seien so sehr in einem Orwellschen Käfig gefangen, dass wir den größten Schurkenstart nicht wahrnehmen könnten. Lafontaines verweist dabei auch auf US-Präsident Jimmy Carter, der die USA als „korrupte Oligarchie“ titulierte, und auf die Rolle der US-Waffenindustrie, welche angeblich Senat und Kongress kontrolliere. Nicht nur die weltpolitische Rolle, sondern auch das innenpolitische System der USA müssten wir einer kritischen Prüfung unterziehen.
Gleiches gilt für die Bundesrepublik, sie kommt in Lafontaines Analyse kaum besser weg. Der dritte Teil seiner „Kriegs-Erklärung“ nimmt die Verhältnisse der Berliner Republik unter die Lupe. Die „missratenen Urenkel Willy Brandts“ haben nach Lafontaine die Erfolge der Brandtschen Friedens-Politik verspielt. Bundeskanzler Brandt habe sich Anfang der 70er Jahre – auch gegen den Willen der USA – durchgesetzt, weshalb ihm Kissinger den Krebs an den Hals gewünscht habe.
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges: Willy Brandt als Regierender Bürgermeister Berlins vor dem noch offenen Brandenburger Tor im Jahre 1958. Als Bundeskanzler verfolgte Brandt einen von den USA möglichst unabhängigen Kurs. Foto: Fotoarchiv Jupp Darchinger im AdsD, Bonn
Brandts historisches Verdienst war es, die Deutschen aus der atomaren Geiselhaft der Großmächte zu befreien. 40 Jahre lang wären sie bei einem Krieg zwischen Ost und West als erste erschossen worden. Über Mitteleuropa schwebte das Damoklesschwert der atomaren Vernichtung.
Mit der Wiedervereinigung wurden die Deutschen angeblich souverän, wieder Herr im eigenen Land. Doch nicht ganz. Bedingung von US-Seite war nämlich die Mitgliedschaft in der NATO. Das NATO-Statut schrieb die Rechte der USA aus der Besatzungszeit fort. Symbol der fortbestehenden Besetzung ist das US-Hauptquartier in Ramstein.
Alle Resolutionen des Bundestages, die Amerikaner sollten ihre Atomwaffen abziehen, wurden von Washington ignoriert. Damit steht unser Land weiter ganz oben in Zielkatalog feindlicher Raketen. Die erzwungene Beteiligung der Deutschen nennt sich nukleare Teilhabe, – im Ernstfall wohl auf der Opfer-Seite. Das gehört zum Orwell-Sprech wie auch die neue Formel : Die Deutschen sollen jetzt „Führungsstärke beweisen“, gemeint ist: sie sollen der US-Politik widerspruchslos folgen. Lafontaine wirft „den Befehlsempfängern in Berlin“ komplettes Versagen vor, Annalena Baerbock repräsentiere das in unübertrefflicher Weise.
Nach Baerbocks Auftritten hätte es einen Aufschrei des Entsetzens geben müssen, etwa wenn sie sagt:
„Mehr Waffen für die Ukraine retten Leben“.
Das hat sie wohl im Young Leaders Programm gelernt. „Guns Safe Lives“ ist das Motto der US-Waffenlobby. Eklatantes Beispiel für die Hörigkeit der deutschen Politik gegenüber der Besatzungsmacht ist für Lafontaine die Reaktion des Bundeskanzlers auf die Zerstörung von Nordstream 2. Dazu bemerkt Lafontaine:
„Ein mutiger Bundeskanzler hätte die Sprengung von Nordstream 2 eine Kriegserklärung an Deutschland genannt.“
Mit diesem Akt des Terrors wurde Deutschland auf internationalen Bühne als Hanswurst vorgeführt. Einen kriegerischen Akt gegen das eigene Land nicht benennen zu können, zeugt von einem Mangel an Freiheit, Wahrhaftigkeit und Souveränität.
Hierin liegt das Dilemma der deutschen Politik: Deutschland ist ein in vieler Hinsicht fremdbestimmter Staat, wehrlos gegen fremde Eingriffe und Einflussnahme. Keine Kolonie, kein „fake state“, aber auf dem besten Weg zum „failed state“ zu werden. Welche Politikfelder der Fremdbestimmung unterliegen, lässt sich nicht offen diskutieren. Wie es sich dadurch schon verändert hat, wird durch Sprachregelungen verschleiert. Die freiheitlich-demokratische Willensbildung bleibt Fassade. Verantwortlich dafür ist eine politische Klasse, die in Jahrzehnten geübt hat, den falschen Freund als Befreier und Heilsbringer zu feiern, die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem aufzugeben und sich in die Rolle des „underdog“ zu fügen.
Außenministerin Annalena Baerbock am 18.1.2022 in Moskau. Annalena Baerbock spielt genau die Rolle, die man sich in Washington für sie wünscht. Foto: IMAGO / SNA
Ein getretener Hund, der kuschen gelernt hat. Ein politisches Personal, das bereit ist, Schuld und Schulden immer wieder zu übernehmen und sogar für fremde Interessen in den Krieg zu ziehen. Statt die Fesseln der gefährlichen „Westbindung“ zu lockern, beeilt sich die deutsche Politik, ihre Vasallen-Treue immer neu unter Beweis zu stellen. Das ist für Lafontaine nicht nur erbärmlich, das ist in höchstem Maße verantwortungslos. Frieden und Wohlstand stehen auf dem Spiel. Entweder unterliegen die deutschen Politiker selbst einer Täuschung über den Charakter der USA. Oder sie täuschen die deutsche Öffentlichkeit über ihre eigene Rolle als Vertreter einer fremden Macht. Egal ob dumm oder gewissenlos, sie sind eine Fehlbesetzung. Soweit Lafontaines Meinung.
„Ami, it‘s time to Go!“ Ist ein Plädoyer für eine vollständige Neuorientierung der deutschen Politik. Das wäre eine gewaltige Aufgabe. Ein Ende der Fremdbestimmung in Politik und Medien käme einer Auflösung der alten Bundesrepublik gleich. Jeden Versuch in dieser Richtung werden „unsere“ Medien, der große Bruder und seine Satrapen sicherlich als Kriegserklärung auffassen und entschieden bekämpfen.
Lafontaines „Kriegs-Erklärung“ dagegen versucht zu klären, wie die Rollen von Kriegstreibern und Friedensstiftern vertauscht sind. Sein unbestreitbares Anliegen heißt: Frieden. Und der ist nur möglich, wenn die verworrenen Verhältnisse von Krieg und Frieden aufgeklärt werden. Wenn Lafontaines Analyse stimmt, dann braucht Europa ein zweites „1989“, auch die Amerikaner müssten Europa verlassen. Ihr Abzug ist aus vielen Gründen nicht in Sicht. Eine Voraussetzung dafür wäre eine kopernikanische Wende im Denken, ein Ausbruch aus dem Orwellschen Käfig, ein Abschied vom Mythos Amerika. Dazu setzt Lafontaines Streitschrift ein kämpferisches Signal.
Die ersten beiden Teile dieser Buchanalyse können Sie hier lesen: 1 I 2
Frech wie Oskar: In seinem neuen Buch „Ami, it’s time to go!“ rechnet Polit-Urgestein Lafontaine schonungslos mit US-Imperialismus und bundesdeutschem Vasallentum ab. Hier bestellen.