Screenshot aus einem Video des Vereins; Wasserlieferung in Donezk am 8. September 2022
Von Dagmar Henn
In Deutschland darf man nicht nur nichts Gutes über Russen sagen; in Deutschland darf man auch nichts Gutes für Russen tun. Oder für solche, die sich für Russen halten oder auch nur nach Meinung des Westens Russen sind.
Humanitäre Hilfe ist eigentlich geschützt. Es ist erlaubt, Menschen, die hungern, die Not leiden, zu helfen, ohne Ansehen der Person. Humanitäre Lieferungen sind kein Gegenstand von Sanktionen. So sollte das zumindest sein. Inzwischen stehen aber zwei Vereine in Deutschland unter Donbass, weil sie dem Donbass humanitäre Hilfe leisten.
Der erste davon war der Verein "Zukunft Donbass", über den der MDR einen längeren Bericht brachte, der so viele Aussagen von sonst eher schweigsamen Stellen wie dem Verfassungsschutz enthält, dass es eher danach aussieht, als sei die "Recherche" dem Sender als fertiges Paket zur gefälligen Verbreitung auf den Tisch gelegt worden. Da ist die Rede von Sanktionsverstößen, und das Thüringer Innenministerium raunt gar, "der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine darf von Thüringern und Thüringerinnen in keiner Weise unterstützt werden". Konkret geht es vor allem um Dinge wie Krankenhausbetten und medizinische Untersuchungsgeräte, die der Verein in den Donbass transportierte. "Männer in Tarnanzügen" hätten beim Entladen der Transporte mitgeholfen, als wäre das ein Beleg für Lieferungen an das Militär.
Gestern nun wurde der zweite Verein ins Visier genommen, Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e. V. In mehreren Medien, selbst der Bild, wurde die Tätigkeit des Vereins angegriffen. Dabei gibt schon die Überschrift die Richtung vor, wie bei t-online: "Unterstützt ein Brandenburger Verein Putins Krieg in der Ukraine?" Der Verein soll "Russen im Ukraine-Krieg mit Lebensmitteln unterstützen".
Das ist politisch ein wenig inkonsequent, denn die Bewohner der Donbass-Republiken gelten ansonsten in Deutschland als Ukrainer, ob sie es wollen oder nicht, auch wenn der regelmäßige Beschuss der Donbass-Städte durch das ukrainische Militär nicht wirklich ein Ausdruck des Wunsches ist, die Opfer als Angehörige des eigenen Staates zu sehen.
Ein "Lastwagen mit 20 Tonnen Wasser, Mehl und Brot" wird dem Verein vorgehalten, der seit 2015 als gemeinnützig anerkannt ist. Von Anbeginn an wurde diese Gemeinnützigkeit besonders penibel kontrolliert; erst im Frühjahr dieses Jahres überprüfte das Finanzamt die Bücher des Vereins mehrere Wochen lang, bis in die kleinsten Belege, konnte aber keine Verstöße gegen die Vorgaben der Gemeinnützigkeit finden und beschied sie dem Verein bis zum Jahr 2025. Aber selbst eine makellose Buchführung, in der jede Ausgabe belegt ist (was gar nicht so leicht ist, wenn die Lieferungen in ein Kriegsgebiet gehen, in dem die Anforderungen der deutschen Buchführung völlig unbekannt sind), nützt nichts, wenn von obersten Stellen entschieden wird, dass die Arbeit des Vereins politisch unerwünscht ist.
Die Brandenburger Polizei soll wegen "Belohnung und Billigung von Straftaten" ermitteln und das Finanzministerium erneut die Gemeinnützigkeit überprüfen. Das ist unverkennbar eine politische Entscheidung, denn die reguläre Überprüfung hat ja gerade erst stattgefunden.
Die Bild schrieb in der für dieses Blatt charakteristischen Manier gleich:
"Mit einem 20 Tonnen-Lkw wurden Wasser, Mehl und Brot von Moskau ins Kriegsgebiet nach Donezk und Mariupol gebracht. Die Lebensmittel kommen aber hauptsächlich den dort lebenden Russen und pro-russischen Ukrainern zugute."
Das ist natürlich Unfug; zum einen würde es jedem Grundsatz humanitärer Hilfe widersprechen, die Empfänger von Wasser, Mehl und Brot erst einmal nach ihren politischen Einstellungen zu befragen. Und zum anderen wäre das aus rein praktischen Gesichtspunkten unmöglich – Ausgabestellen für humanitäre Hilfe sind, zumindest solange sie in Reichweite der ukrainischen Artillerie sind, ein beliebtes Ziel. Daher muss die Ausgabe schnell gehen, um Verteiler und Empfänger nicht zu gefährden.
Der Verein Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e. V. ist bereits seit 2015 im Donbass tätig, aber auch in anderen Kriegsgebieten wie in Syrien und im Jemen. Vor einiger Zeit gab es ein längeres Interview mit der Vorsitzenden, Liane Kilinc, auf den NachDenkSeiten. Darin hat sie den von der Bild erhobenen Vorwurf bereits beantwortet: "Wenn mich jemand aus Kiew anruft und sagt, er hat nichts zu essen, wird er die gleiche Hilfe bekommen wie jemand in Donezk. Wir haben zum Beispiel auch Kinderheime in der Nähe von Kiew unterstützt."
Die gesamte Arbeit des Vereins ist auf dessen Homepage einsehbar. Da wurde nicht nur Brot, Mehl und Wasser geliefert. Schulen erhielten Staffeleien für den Kunstunterricht, Sportvereine neue Trikots, Kindergärten Spielzeug. Einer Schule in Gorlowka wurde mehrmals das Dach neu gedeckt, weil es durch ukrainischen Beschuss zerstört wurde. Alles ist dokumentiert, mit Fotos und Videos. Die Artikel in der deutschen Presse erwecken aber den Eindruck, als wäre die Tätigkeit geheimnisvoll und unkontrollierbar.
Einer der Vorwürfe, die erhoben werden, besteht in der Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden. Das ist allerdings eine Notwendigkeit bei jeder humanitären Arbeit. Gegen diese ist sie schlicht nicht möglich. Schon gar nicht in einem Kriegsgebiet, in dem man unter anderem auf Informationen darüber angewiesen ist, an welchen Stellen humanitäre Hilfe sicher verteilt werden kann und an welchen nicht. Jeder Mitarbeiter entsprechender Abteilungen des Roten Kreuzes oder anderer Hilfsorganisationen, die in Kriegsgebieten tätig sind, wird das bestätigen. Auch hier wird wieder einmal die Tatsache genutzt, dass die meisten Leser keine Kenntnisse von dieser Art der Hilfsleistungen haben.
Übrigens wurden in den vergangenen Monaten Lager mit humanitären Spenden des Vereins im Donbass zweimal zum Ziel ukrainischer Artillerie. Beide Male wurden zum Glück nur die Hilfsgüter zerstört, aber es war zu diesem Zeitpunkt niemand anwesend. Das hätte ebenso gut einige Helfer das Leben kosten können.
Auch ohne die behördlichen Angriffe ist eine solche humanitäre Arbeit in Deutschland nicht mehr ohne Risiko. Kilinc hatte in den letzten Wochen mehrmals Besuch von einem Fahrzeug mit ukrainischem Kennzeichen, das immer wieder stundenlang vor ihrer Grundstückseinfahrt stand.
In Wirklichkeit dürften es wohl kaum gelieferte Windeln oder Sportgeräte sein, die den Zorn der deutschen Behörden erregen. Diese Vereine sind Zeugen des Krieges, der seit acht Jahren im Donbass geführt wird; Zeugen, die von ihren Erfahrungen berichten und die, gerade weil ihr Motiv ein humanitäres ist, eine besonders hohe Glaubwürdigkeit haben. Es ist nun einmal etwas anderes, ob jemand aus zweiter Hand berichtet oder sagen kann: "Ich habe selbst in Gorlowka im Keller gesessen." Zeugen für die Tatsache, dass die Ukraine im Donbass gezielt die Zivilbevölkerung angreift, kann die augenblickliche deutsche Politik nicht gebrauchen; sie gefährden die Erzählung, die demokratische Ukraine sei grundlos vom bösen Russland angegriffen worden.
Denn natürlich stimmt es nachdenklich, wenn der Verein berichtet, er habe Wasser in Donezk verteilt. Von dieser Information allein kommt man schon schnell auf den Schluss, irgend jemand müsse dann die Wasserversorgung sabotiert haben. Und von dort bis zur Feststellung, dass das nur die ukrainischen Truppen gewesen sein können, ist es nicht mehr weit. Das Ende dieser Gedankenlinie ist dann die Erkenntnis, dass die Ukraine im Donbass Kriegsverbrechen begeht. Und das wäre ja dann das, was Wladimir Putin im vergangenen Dezember zu Olaf Scholz sagte, ein Genozid.
Um zu verhindern, dass Menschen zu dieser Erkenntnis gelangen, muss also auch jede derartige Information unterdrückt werden, und das geht nur, indem man die Vereine ausschaltet, die solche Lieferungen organisieren und ganz nebenbei eine verleugnete Wirklichkeit sichtbar machen.
Der Gedanke humanitärer Arbeit begann einmal mit dem Roten Kreuz, das gegründet wurde, um sich in einem Krieg gleichermaßen um die Verwundeten beider Seiten zu kümmern. Diese Vorstellung, alle als Menschen zu behandeln und nicht als Freunde oder Feinde, ist bis heute das Grundprinzip humanitärer Aktivität, und das ist eine bedeutsame zivilisatorische Errungenschaft. Seit 2014 haben sich die großen humanitären Organisationen der Bundesrepublik fast ausschließlich um die Westukraine gekümmert, nicht um den Donbass. Wenn jetzt offizielle deutsche Stellen die Arbeit von Vereinen angreifen, die dort humanitäre Hilfe leisten, dann verhalten sie sich nicht nur, als wäre Deutschland unmittelbarer Beteiligter dieses Krieges. Sie zeigen gleichzeitig, dass diese zivilisatorische Errungenschaft für sie keinen Wert mehr besitzt und dass sie selbst Kinder und Alte als Feinde sehen, sofern man sie als Russen klassifizieren kann. Das ist menschlich erbärmlich und politisch ein weiterer Wiedergänger aus dem dunklen Jahrdutzend.