Anne Spiegel, Bundesfamilienministerin und ehemalige rheinland-pfälzische Landesministerin
In Rheinland-Pfalz starben 134 Menschen bei der Flutkatastrophe. Mit in der Regierungsverantwortung war damals die heutige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel. SMS-Protokolle belegen, wie kaltschnäuzig die Grüne und ihre Getreuen über das humanitäre Drama hinweggingen.
Von Mario Thurnes
„Heute nicht“, so zitiert der Focus den Staatssekretär für Umwelt in Rheinland-Pfalz, Erwin Manz (Grüne). Es war der 14. Juli 2021 gegen 18 Uhr. Kurz zuvor hatte sein Haus eine Pressemitteilung rausgegeben mit dem Tenor: Die Flut an der Ahr werde nicht so schlimm. Nun machte er seine Pressestelle darauf aufmerksam, das Landesamt für Umwelt sende andere Zahlen. Alarmierende Zahlen. Der Stand sei jetzt schon höher als bei der sogenannten Jahrhundertflut im Jahr 2016. Ob man jetzt was machen müsse, fragte die Pressestelle nach. Seine eigene Mitteilung korrigieren zum Beispiel. „Heute nicht“, antwortete Manz.
Der Morgen nach dem „Heute nicht“ war ein Morgen danach: Das Hochwasser an der Ahr und ihren Nebenflüssen hatte 134 Menschen in den Tod gerissen, Häuser waren zerstört, Straßen und Brücken. Jetzt begann das Ministerbüro, sich um das Thema zu sorgen. Doch nicht die Toten standen im Mittelpunkt. Auch nicht die Schäden oder die Hilfen. Das Image der grünen Ministerin war es, um das sich die Runde sorgte. Und auch darum, dass Innenminister Roger Lewentz (SPD) ihnen das Thema künftig klauen könnte.
Der Focus ist nun an ein SMS-Protokoll gekommen. Daraus lässt sich ableiten, dass eben nicht alles getan wurde, um Menschenleben an der Ahr zu retten. Und auch, dass dieses Versäumnis nicht die erste Sorge war in dem Ministerium, das Spiegel erst im Januar 2021 übernommen hatte. Nachdem herausgekommen war, dass ihre Vorgängerin Ulrike Höfken (Grüne) die Ministerialbeamten nicht nach Kompetenz, sondern nach Parteibuch befördert hatte.
Am Morgen danach. Als das Ausmaß der Katastrophe offensichtlich war, hieß es nun: „Die Starkregen-Katastrophe wird das beherrschende Thema dieser und nächster Woche sein. Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“, wie Dietmar Brück die Situation laut Focus analysierte. Er ist stellvertretender Regierungssprecher und ein Mann, auf den Spiegel für ihre Karriere baut.
Die Runde machte sich nun Gedanken über die Rollenverteilung: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) solle die „Anteilnahme machen“. Spiegels Rolle sollte sich aufs Fachliche konzentrieren: vor allem über die Hochwasserlage informieren. So könne man die Erzählung vorbereiten, diese Daten seien auch in der entscheidenden Nacht auf den 15. Juli geflossen. Und man sorge dafür, dass SPD-Mann Lewentz ihnen das Thema nicht wegnehme: Dem traute die grüne Runde zu, zum Beispiel einen Plan zur künftigen Prävention vorzulegen. Dabei läge in dem Thema Potenzial für schöne Bilder: Die junge Ministerin schaue bei Aufräumarbeiten zu, die grüne Umweltfrau stelle Hochwasserprojekte vor. Das alles waren die ersten Perspektiven der rheinland-pfälzischen Grünen, als an der Ahr Tausende Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz standen.
Wobei der Vorwurf im Raum steht, dass die Landesregierung – namentlich Spiegel und Manz – eine Schuld am Ausmaß dieser Katastrophe trage: Das Umweltamt habe zu niedrige Pegelstände weitergegeben, sodass Krisenstab und Feuerwehren die Lage falsch einschätzten, schreibt der Focus. Das Ministerium halte dagegen. Das „Heute nicht“ habe sich nur auf die Pressearbeit bezogen – die Krisenkräfte seien korrekt informiert worden. Immerhin das Wording vom Morgen danach hält noch.
Eine Realität, die das Umweltministerium auch mit Wordings nicht aus der Welt kriegt: Die Öffentlichkeit wurde nicht so über das drohende Ausmaß der Katastrophe informiert, wie es möglich gewesen wäre. Der SWR korrigierte seine Berichterstattung nicht und warnte die Zuhörer nicht entsprechend. Dafür musste der Sender sich später die Kritik gefallen lassen, einem zentralen öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht nachzukommen, wenn es darauf ankomme.
Um das Verhalten des SWR zu verstehen, muss man die Presselandschaft in Rheinland-Pfalz kennen: Eine Pressemitteilung der Landesregierung ist für den Sender tabu. Diese in Frage zu stellen, käme einer Gotteslästerung gleich. Doch nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen haben zwischen Ahr und Rhein Beißhemmungen: Gerade mal vier Zeitungen gibt es. Darunter die Rhein-Zeitung und der Trierische Volksfreund, die in ihrer Berichterstattung kooperieren. Der Innenminister ist der Schwager des Herausgebers der Rhein-Zeitung. Es ist bezeichnend, dass es überregionale Medien waren, die nun das Verhalten Spiegels in der Todesnacht aufdeckten.
Die politisch Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz haben sich viel vom Regierungsstil der Alt-Kanzlerin abgeschaut: Heiße Eisen möglichst nicht anfassen, die Leute mit schönen Bildern bei Laune halten und dabei Kompetenz vortäuschen. Ein Spiel, das Anne Spiegel nicht beherrschte, als sie 2016 zuerst Frauenministerin in Rheinland-Pfalz wurde. Eine schwierige Aufgabe. Ihre Vorgängerin Irene Alt war in der grünen Partei hoch beliebt, aber mit der Amtsführung massiv überfordert. Spiegel schien Alts Erbe nicht in den Griff zu bekommen und stand anfangs ebenso massiv unter Druck.
Dann holte sie Dietmar Brück in ihr Haus. Der war lange Jahre Korrespondent der Rhein-Zeitung. Er galt in dieser Rolle als die Ikone der Landespolitik. Wenn es exklusive Geschichten gab, waren die oft von ihm – auch weil ihn die Landespolitiker mit entsprechendem Material versorgten. Für Brück wurde Spiegels Ministerium umgebaut, um dem Neuzugang entsprechend Gewicht zu verleihen. Er stellte die Öffentlichkeitsarbeit um auf die Methode Merkel. Mit Erfolg. Spiegel wurde im Landtags-Wahlkampf Frontfrau der Grünen, nach der Wahl stellvertretende Ministerpräsidentin und im Herbst dann schließlich Bundesministerin für Familien. Dass der Pressemann Brück am Morgen danach die Politik des Hauses bestimmte, ist alles andere als ein Zufall.
Die Frage nach den Folgen bleibt: Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt. Außerdem hat der Landtag einen Untersuchungsausschuss einberufen. In dem greift die SPD auf einen alten und immer wieder gerne von den rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten praktizierten Trick zurück: Unangenehme Themen werden auf den späten Freitag gelegt – die Samstagsausgaben der Zeitungen sind dann schon geschrieben; die Montagsausgaben noch weit weg, und der SWR hält sich ohnehin an die Sprachregelungen aus der Landesregierung. Presselagen, die für Dreyer und ihre „Partner:innen“ gefährlich werden können, kommen so nicht auf. Spiegel spricht an diesem Freitag vor dem Ausschuss. Um 19.30 Uhr. Dreyer am 8. April. Um 22 Uhr.
Spiegel hat sich in ihren neuen Job in Berlin eingefunden. Menschenleben hängen keine mehr von ihr ab. Sie fällt mit symbolpolitischen Forderungen auf, wie der, dass Männer zu Hause die Hälfte des Putzens übernehmen sollten. Ihr altes Umweltministerium in Rheinland-Pfalz setzt die Taktik um, die Brück schon am Morgen danach vorgeben hat: Kompetenz ausstrahlen, durch Meldungen zum Wiederaufbau. Der „muss nachhaltig sein“ hat das Ministerium jüngst gemeldet. „Damit Menschen eine Perspektive haben.“