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Südtirol: Ein Modell für die Ost-Ukraine? (Teil 3)

swaine1988
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Autor: Reynke de Vos
Quelle: https://www.compact-online.de/...
2022-02-05, Ansichten 606
Südtirol: Ein Modell für die Ost-Ukraine? (Teil 3)

Im Streit zwischen Russland und der Ukraine spielen nicht nur Nationalitätenfragen, sondern auch ein unterschiedlicher Blick auf die – teils gemeinsame – Geschichte eine Rolle. In der  COMPACT-Edition „Wladimir Putin: Reden an die Deutschen“ lesen Sie Positionen des russischen Präsidenten. Hier mehr erfahren.

Teil 1 dieses Beitrags können Sie hier lesen. Teil 2 finden Sie hier.

Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft und der Auflösung der Sowjetunion 1991/92 kam zum Vorschein, was während der sieben Jahrzehnte zuvor, in denen es zur Partei- und Staatsdoktrin gehörte, den von nationalen Regungen losgelöst-entfremdeten, internationalistisch denkenden und handelnden „Sowjetmenschen“ zu schaffen, das Bewusstsein vom Nationalen überlagert hatte.

Mit der Souveränitätserklärung der aus der Sowjetunion hervorgegangenen Nationalstaaten rückten allmählich auch nationale Minderheiten und Volksgruppen in den Blick. Wobei es nun überall dort, wo während der Phase der Zugehörigkeit zur Sowjetunion aufgrund politscher, ökonomischer und sozialer „Vergemeinschaftung“ unter Moskauer Suprematie vermehrt ethnische Russen hinkamen und meist auch die führende Schicht bildeten, diese sich nach den jeweiligen Souveränitätserklärungen respektive Referenden/Volksabstimmungen als Minderheiten wiederfanden.

So in den baltischen Republiken Estland (Volksabstimmung 3. März 1991; russische Minderheit: 25,5 Prozent), Lettland (Unabhängigkeitserklärung 4. Mai 1990; Russen: 27 Prozent) und Litauen (11. März 1990; Russen: 5,8 Prozent).

Ebenso in den zentralasiatischen Ländern Kasachstan (16. Dezember 1991; Russen: 24 Prozent), Turkmenien (27. Oktober 1991; Russen: 7 Prozent), Kirgisien (31. August 1991; Russen: 12,5 Prozent), Usbekistan (1. September 1991; Russen: 5,1 Prozent), Tadschikistan (9. September 1991; Russen: 0,5 Prozent) und Aserbaidschan (18. Oktober 1991; Russen: 1,3 Prozent).

Sodann Armenien (23. August 1990; Russen: 0,09 Prozent), Georgien (9. April 1991; Russen: 1,5 Prozent), Moldova (27. August 1991; Russen: 4,1 Prozent im Landesteil westlich des Dnjestr sowie 30,3 Prozent im östlichen Landesteil, dem 1992 abgespaltenen Transnistrien), Weißrussland / Belarus (25. August 1991; Russen: 8,3 Prozent) und schließlich die Ukraine (24. August 1991; Russen: 22,1 Prozent).

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Sowjetisches Propagandaplakat (1954) zur Übergabe der Krim an die Ukraine. Foto: Archiv

Der Unterschied zwischen Südtirol und der Ost-Ukraine

Entscheidend für die im Mittelpunkt stehende Auseinandersetzung mit der These des früheren Südtiroler Landeshauptmanns Luis Durnwalder, wonach die Situation im Donbass jener in Südtirol ähnele, sind Fakten und Umstände, die seiner Betrachtung entgegenstehen.

Man mag seinen Standpunkt gelten lassen, wonach in den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk (russisch: Lugansk) „die Zusammensetzung der Volksgruppen mit jener Südtirols vergleichbar“ sei: „Zwei Drittel Russen und ein Drittel Ukrainer“, führt er an und sieht dies als Parallele zu zwei Drittel Deutsch-Südtirolern und einem Drittel Italienern.

Nur bleibt dabei etwas Fundamentales außen vor: Im Gegensatz zu den mittels des Friedensdiktats von 1919 zu Staatsbürgern Italiens gezwungenen Deutsch-Südtirolern, denen auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Selbstbestimmung verweigert wurde, haben die Ukrainer jedweder ethnischen Identität bzw. Volks- respektive Minderheitenzugehörigkeit sich am 1. Dezember 1991 bei einer Wahlbeteiligung von 84 Prozent zu 92,3 Prozent für die Unabhängigkeit in einem völkerrechtlich unanfechtbaren Referendum für die Souveränität der Ukraine und damit für die ukrainische Staatsbürgerschaft entschieden.

Die Bevölkerungsstruktur in der Ukraine: Ukrainer (Anteil: 72,7 Prozent), Weißrussen (0,9 Prozent), Rumänen/Moldawier (0,9 Prozent), (Krim-) Tataren (0,7 Prozent), Bulgaren (0,5 Prozent); Ungarn und Polen (jeweils 0,4 Prozent), Armenier und Griechen (jeweils 0,2 Prozent), Roma, Juden, Aseris/Aserbaidschaner, Gagausen und Deutsche (jeweils 0,1 Prozent).

Ausdrücklich sei vermerkt, dass sich auch 55 Prozent aller ethnischen Russen (mit einem Bevölkerungsanteil von 22,1 Prozent größte Minderheit des Landes), somit mehrheitlich für die Eigenstaatlichkeit der Ukraine entschieden und damit – nicht nur nebenbei bemerkt – den Wunsch des Präsidenten Boris Jelzin unerfüllt bleiben ließ: nämlich dass die Ukraine Bestandteil Russlands, fortan in Form einer Föderation, bleiben sollte. Dies wusste seinerzeit der selbstbewusste damalige ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk zu unterlaufen.

Russisches und ukrainisches Geschichtsbild

Die Ukraine – oder besser: jene geschichtlich relevanten Vorläufer-Formationen, die für das heutige ukrainische wie für das russische Territorium konstitutiv gewesen sind –, war beim Eintritt Russlands in die Geschichte mit der Kiewer Rus Teil jenes im 9. Jahrhundert sich herausbildenden und im 11. Jahrhundert wieder zerfallenen mittelalterlichen altostslawischen Großreichs, das als Vorläufer der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Belarus/Weißrussland gilt.

Von der Bezeichnung „Rus“ (Volk) leiten sich übrigens die Ethnonyme der Russen und Weißrussen ab, ebenso die Namen Rusynen, Ruthenen und Kleinrussen, mit denen die Ukrainer über mehrere Jahrhunderte vor allem während ihrer Zugehörigkeit zu Polen-Litauen und zu Österreich-Ungarn bezeichnet wurden.

Wir dürfen in diesem Zusammenhang Wladimir Putins unlängst vermittels eines von ihm veröffentlichten Aufsatzes mit dem Titel „Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“ offenbartes Geschichtsbild nicht, wie es in der westlichen Publizistik durchweg geschieht, kurzerhand als stalinistisch unterfütterte Marotte des einstigen KGB-Oberstleutnants sehen. Und auch nicht einfach als die vom „unberechenbaren Zaren“ (Wiktor Jerofejew, russischer Schriftsteller) verordnete Geschichtspolitik abtun.

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Wladimir Putin: Seine Geschichtspolitik folgt einer alten russischen Tradition. Foto: Photographer RM | Shutterstock.com

Vielmehr sollten wir darin sehen und akzeptieren, dass es sich dabei um Putins Rückgriff auf die Kontinuität traditioneller russischer Geschichtsphilosophie und Historiographie handelt, wie sie Osteuropa-Historiker seit dem 18. Jahrhundert kennen – und wie sie sich in Namen berühmter russischer Historiker wie beispielsweise Nikolaj Karamsin (1766–1826), Sergej Solowjow (1820–1879), Wassilij Kljutschewski (1841–1911) und Sergej Platonow (1860–1933) für die sogenannte Petersburger Schule sowie Pawel Miljukow (1859-1943) für die Moskauer Schule manifestiert.

Demgegenüber postuliert die ukrainische Geschichtsschreibung eine Kontinuität, die von der Kiewer Rus über das Fürstentum Galizien-Wolhynien, die polnisch-litauische Epoche, das Hetmanat der Saporoschjer Kosaken im 17. und frühen 18. Jahrhundert sowie die Ukrainische Volksrepublik der Jahre 1917 bis 1920 bis hin zum heutigen ukrainischen Staat reicht.

Lesen Sie morgen den vierten Teil dieses Beitrags.


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