Der Schritt kommt einem herben Rückschlag für den Internationalen Strafgerichtshof gleich: Nach den jüngsten Austritten mehrerer afrikanischer Staaten kehrt nun auch die Russische Föderation dem Strafgericht den Rücken zu.
Das russische Außenministerium teilte mit, dass Präsident Wladimir Putin die Anweisung erteilt habe, den Rückzug des Landes vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu veranlassen. Die Russische Föderation setzte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon entsprechend in Kenntnis. Präzise geht es um das "Römische Statut", das die völkervertragsrechtliche Grundlage für den Strafgerichtshof bildet. Putin zog nun die Unterschrift unter den Grundlagenvertrag zurück, nachdem Russland diesen im Jahr 2000 zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert hatte.
Damit durchlebt der Strafgerichtshof die bisher größte Krise seit seiner Gründung vor 18 Jahren. Das Gericht war bereits in den letzten Wochen von einer Rücktrittswelle vor allem vonseiten afrikanischer Staaten erfasst worden. Nach dem Austritt Gambias, Burundis und Südafrikas erwägen nun auch weitere afrikanische Staaten wie Kenia, dem als einseitig und intransparent empfundenen Strafgericht den Rücken zu kehren. Dennoch sei die Austrittswelle ein "Rückschlag für eine friedliche und gerechte Welt", beklagte derweil ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda.
Ähnlich wie die afrikanischen Staaten wirft auch Russland dem ICC vor, bei der Strafverfolgung einseitig vorzugehen, was sich darin äußere, dass ausschließlich gegen Angehörige nicht-westlicher Staaten und deren Verbündete Ermittlungen eingeleitet würden. So könnten denn auch die jüngsten Aussagen der ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda das russische Fass zum Überlaufen gebracht haben. Am vergangenen Montag hatte Bensouda in ihrem ICC-Jahresbericht die Einschätzung geäußert, dass die russische "Besetzung" der Krim und die anhaltenden Kämpfe in der Ostukraine auf einen "bewaffneten internationalen Konflikt" zwischen Russland und der Ukraine verwiesen.
Dies bedeutet wiederum, dass der Strafgerichtshof den Zustand zwischen den beiden Ländern nun als offenen Krieg bewertet. Dies ist entscheidend, da sich durch diese juristische Einordnung Handlungen in diesem "Krieg" entsprechend als Kriegsverbrechen bewerten und verfolgen lassen. Nach Ansicht des ICC habe der militärische Konflikt zwischen beiden Ländern begonnen, als der Kreml ohne die Zustimmung Kiews russische Streitkräfte auf ukrainisches Staatsgebiet entsandt habe. Die entsprechenden Vorermittlungen gegen Russland laufen bereits seit 2014.
Offiziell jedoch begründete Moskau den Rückzug vom Strafgerichtshof mit dessen Vorermittlungen zum russisch-georgischen Krieg im Jahr 2008. Laut Kreml bestehe "keine Vertrauensbasis" mehr, da die georgische Justiz selbst mit entsprechenden Untersuchungen von Vorfällen unter anderem in Tiflis beauftragt wurde. Darüber hinaus leitete sie strafrechtliche Institution Ermittlungen wegen angeblicher Verbrechen im mit Russland verbündeten Südossetien ein - wiederum einseitig zu Ungunsten der Russischen Föderation.
Zu dem nun bekanntgegebenen Rückzug vom Internationalen Strafgerichtshof äußerte sich das russische Außenministerium folgendermaßen:
Leider hat der Gerichtshof die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt und ist kein echtes, unabhängiges, geachtetes Organ des internationalen Rechts geworden.
Ähnlich wie bei der Russischen Föderation verhält es sich übrigens auch bei den USA und Israel, die zunächst zwar ebenfalls das "Rom-Statut" unterzeichneten, später aber die Unterschrift wieder zurückzogen, aus Sorge über mögliche Anklagen gegen ihre Militärangehörigen. Weitere Beispiele für Staaten, die sich aus dem System des ICC verabschiedet haben oder diesem gar nicht erst rechtskräftig beigetreten waren, sind Indien und China.
Was die Vereinigten Staaten betrifft, wird im "American Servicemembers' Protection Act" der US-amerikanischen Regierung fast jegliche Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgericht untersagt. So darf es etwa keine offizielle Unterstützung von Ermittlungen durch US-amerikanische Institutionen geben. Ebenso wenig dürfen Angeklagte nach Den Haag ausgeliefert werden. Darüber hinaus gibt es weder finanzielle noch militärische Unterstützung für Länder, die das Gericht anerkennen. Das Dokument sieht gar die Möglichkeit eines militärischen Eingreifens vor, falls amerikanische Bürger vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden sollten.
Nun, da sich Russland vom Strafgerichtshof zurückgezogen hat, haben Untersuchungen durch dessen Strafermittler angeblich erstmals beträchtliche Beweise für mögliche Kriegsverbrechen der Vereinigten Staaten in Afghanistan erbracht. Es geht dabei um die mutmaßliche Anwendung von Verhörpraktiken, die als Folter eingeordnet wurden. Die USA sind zwar kein Mitglied des ICC, doch kann deren Bürgern trotz allem Strafverfolgung drohen, wenn sie Verbrechen in einem Land verübt haben, das dem Strafgerichtshof angehört – wie etwa Afghanistan.
Das Land am Hindukusch hat den Grundlagenvertrag, das "Römische Statut", ratifiziert. Die Strafermittler erklärten derweil, sie wollten möglichst rasch darüber entscheiden, ob sie einen Antrag auf eine vollständige Untersuchung der Fälle in Afghanistan stellen. Das US-Außenministerium kritisierte konsequenterweise die Möglichkeit einer Strafverfolgung durch den ICC und hält diese für "unangebracht", da sich die Vereinigten Staaten unter anderem "verpflichtet haben, das Kriegsrecht einzuhalten".
Der russische Politikwissenschaftler Fedor Lukjanow erklärte, dass die Einstellung Russlands gegenüber dem Gericht keine Ausnahme sei:
Die USA haben das Statut ebenso nur unterschrieben und nicht ratifiziert. Sie lassen generell nicht zu, dass irgendein anderes Gericht außerhalb der USA einen amerikanischen Bürger verurteilt.
Des Weiteren äußerte er folgende Ansicht:
Russland gehörte nie zu den aktivsten Vertretern der grenzüberschreitenden Justiz. Es ist dem Trend gefolgt, manchmal, aber nicht besonders gerne. Die ursprüngliche Mitarbeit lässt sich dadurch erklären, dass dies früher alle Staaten getan haben.
Staaten können vom Rom-Statut zurücktreten. Dazu muss das entsprechende Land zunächst seine Rücktrittserklärung beim UN-Generalsekretär vorlegen, der wiederum die Funktion des Sekretärs des Gerichtshofes innehat. Der Rücktritt wird ein Jahr später wirksam, es sei denn, das Land nannte in seiner Erklärung einen späteren Austrittswunsch.
Artikel 5 des Rom-Statuts lautet:
Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren.
Zu solchen Verbrechen gehören Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression.