Aleksej Uljukaew gehört zur Gruppe der „jungen Reformer“ um Jegor Gaidar, Anatoli Tschubais und Aleksej Kudrin, welche Russland Anfang der 1990er Jahre in die Marktwirtschaft führten. Nun ist er ein weiterer Fall in der seit drei Jahren laufenden Anti-Korruptions-Kampagne gegen hohe Staatsbeamte.
von Ulrich Heyden, Moskau
Im Kampf gegen die Korruption gibt es in Russland einen neuen, prominenten Fall. Wie das russische Ermittlungskomitee heute mitteilte, wurde gestern Abend der russische Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Aleksej Uljukajew, von Mitarbeitern des russischen Inlandsgeheimdienst FSB verhaftet. Die Geheimdienstler ertappten den Minister nach eigener Darstellung auf frischer Tat. Uljukajew soll zwei Millionen Dollar Bestechungsgeld in bar in Empfang genommen haben. Die Ermittler waren über die Geldübergabe informiert, da sie den Minister seit einem Jahr beschatteten. Nach einem Bericht der Zeitung Kommersant hatte der FSB vom halbstaatliche Öl-Unternehmen Rosneft einen Tipp erhalten. Danach soll Uljukajew ein Schmiergeld dafür verlangt haben, dass er den Kauf von 50 Prozent der Aktien des staatlichen Ölkonzerns Baschneft durch den halbstaatlichen Ölkonzern Rosneft gutheißt.
Seine erste Nacht in Unfreiheit verbrachte der Minister im Moskauer Untersuchungsgefängnis Lefortowo.
Anatoli Tschubais: „Ein absoluter Schock“
Die Aktienkurse von Rosneft und Baschneft stiegen nach der Verhaftung des Ministers leicht an. Auch der Rubel konnte an Wert zulegen. Der Rosneft-Pressesprecher Michail Leontjew kommentierte die Verhaftung des Ministers, allerdings als Privatperson:
Ich verstehe nicht, was läuft. Uljukajew nimmt Geld für nichts. Das ist die Frechheit.
Die Verhaftung stärke des Ansehen der Ermittlungsorgane im Kampf gegen die Korruption, so Leontjew. Mehrere Kollegen mit denen Uljukajew seit Ende der 1980er Jahre am Umbau Russlands von der Plan- zur Marktwirtschaft gearbeitet hatte, zeigten sich über die Verhaftung verwundert. Der Chef des russischen Unternehmerverbandes, Aleksandr Schochin, erklärte, die Anschuldigung gegen den Minister wirke „merkwürdig“. Man müsse „verrückt sein“, um einen Monat nach dem Verkauf der Baschneft-Aktien zwei Millionen Dollar Bestechungsgeld zu fordern. Anatoli Tschubais, Chef des Staats-Unternehmens Rosnano erklärte, die Vorfälle seien für ihn ein „absoluter Schock“.
Der Präsident Russlands, Wladimir Putin, hat Uljukajew noch nicht aus seinem Amt entlassen. Die Amtsgeschäfte führt während der Ermittlungen der Stellvertreter von Uljukow im Wirtschaftsministerium, Alseksej Wedew.
Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte, man könne die Verhaftung von Uljukajew nicht zu den Fällen des Anti-Korruptions-Kampfes zählen, denn noch gäbe es kein Gerichtsurteil über eine Schuld des Ministers. Der Vorsitzende der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, erklärte, „wir leben in einem Rechtsstaat, vor dem Gesetz sind alle gleich. Um zu sagen ob er schuldig oder unschuldig ist, muss man die Gerichtsentscheidung abwarten.“
Uljukajew drohen 15 Jahre Haft. Russische Medien wiesen aber darauf hin, dass eine Strafe gegen den Minister vermindert werden könne, da er eine sehr gute Reputation habe und Träger mehrerer russischer Verdienstorden sei.
In den letzten Jahren wurde bereits gegen zwei russische Minister wegen Korruption ermittelt. 2012 wurde der stellvertretende Finanzminister Sergej Stortschak wegen Verdacht auf Korruption verhaftet. Doch das Verfahren gegen ihn wurde 2011 eingestellt. Stortschak konnte seinen Posten behalten. Auch ein 2013 eingeleitetes Verfahren gegen die ehemaligen Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, in dessen Ministerium es zu massiver Korruption beim Verkauf von Armee-Immobilien gekommen war, wurde eingestellt.
Noch unschuldig – aber unter schwerem Verdacht
Doch für zahlreiche Politiker scheint festzustehen, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB nicht grundlos gegen Wirtschaftsminister Uljukajew ermittelt hat. Der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei Einiges Russland, Wladimir Wasiljew, erklärte, es gäbe „keine Unantastbaren“. Gegenüber dem Fernsehkanal Rossija 24, erklärte Wasiljew, es laufe ein „planmäßiger Kampf gegen die Korruption“. Und dafür gäbe es „die gesetzlichen Grundlagen“.
Im News-Kanal Rossija 24 kamen die Uljukajew-Kritiker heute ausführlich zu Wort. Statt eines Wirtschaftswachstums gäbe es faktisch eine Depression, erklärte ein Experte gegenüber dem Fernsehkanal. Jelena Panina, Wirtschaftsexpertin der Regierungs-Partei Einiges Russland erklärte, Uljukajew habe die russische Wirtschaft nicht gefördert. Die Abgeordnete meinte auch, zur Gesundung der russischen Wirtschaft müsse man protektionistische Maßnahmen in Betracht ziehen. KP-Chef Gennadi Sjuganow hofft, dass die Verhaftung von Uljukajew Anlass ist, die gesamte Regierung zu entlassen. Es müsse eine „starke Mannschaft“ gebildet werden, erklärte Sjuganow.
Ausführlich zählte der staatliche Fernsehkanal die Reichtümer auf, welche der verhaftete Minister sein eigen nennt, so unter anderem Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 150 Quadratkilometern. Ein Sohn von Uljukajew soll bis 2009 Eigner einer Offshore-Firma gewesen sein.
Vertreter eines „starken Staates“ gegen Liberale
Ultra-Patriot und Chef der Liberaldemokratischen Partei Wladimir Schirinowski erklärte, es laufe eine Kampagne „zur Säuberung der obersten Machtetage“. Schirinowski – der bekannt ist für seine maßlosen Übertreibungen – warnte, „man kann nicht alle wegjagen“. Dann gäbe es Niemanden mehr, der Russland verwalten könne. Mit dieser Bemerkung spielte der LDPR-Chef auf die Entlassungen der Gouverneure der Gebiete Sachalin, Komi und Kirow an.
Sie hatten in den letzten zwei Jahren wegen Korruption ihr Amt verloren. Der LDPR-Chef meinte, Uljukow wisse, dass er ab 2018 - das Jahr der russischen Präsidentschaftswahlen - keinem Regierungskabinett mehr angehören werde, weshalb er sich „jetzt auf seinen Abgang vorbereite“.
Damit spielte der LDPR-Chef an auf den schon lange dauernden Machtkampf zwischen Liberalen und „Gosudarstwenniki“ – Vertreter eines starken Staates – im Kreml. Zu den „Gosudarstwenniki“ gehört Putins Wirtschaftsberater Sergej Glasew. Zu den Liberalen gehört Ministerpräsident Dmitri Medwedjew.
Nowaja Gaseta zweifelt Ermittlungen an
Einige liberale russische Medien ziehen die Darstellung der staatlichen russischen Medien zum Fall Uljukajew in Zweifel. So schrieb die Nowaja Gaseta, man habe die Information, dass Uljukajew das Geld nicht persönlich in Empfang genommen habe. Das Geld habe in einem Safe gelegen. Das russische Ermittlungskomitee bezeichnete den Bericht als „Vermutung und Fantasie“.
Ein Journalist der Zeitung Kommersant schrieb in einem Kommentar, kein Ausländer würde glauben, dass man bei einem derart starken Anfangsverdacht monatelang ermittelt, um erst dann eine Verhaftung vorzunehmen. Die Ermittlungen seien Teil „eines trüben Spiels“ der Ermittlungsorgane. Welches Ziel dabei angeblich verfolgt wird, schrieb der Journalist nicht.
Der 1956 geborene Wirtschaftsminister Aleksej Uljukajew beendete 1979 ein Wirtschaftsstudium an der Moskauer Universität MGU. 1988 arbeitete er für das Magazin „Kommunist“ und anschließend für die Zeitung Moskowskije Nowosti. Von 1991 bis 1994 – als unter oft undurchsichtigen Bedingungen der Verkauf der Staatsunternehmen begann – leitete Uljukajew eine Gruppe von Experten, welche den damaligen Vize-Ministerpräsidenten Jegor Gajdar berieten. Von 1994 bis 2000 leitete Uljukow mit kurzer Unterbrechung das von Gajdar gegründete Institut zu Wirtschaftsproblemen der Übergangsperiode. 1999 kandidierte Uljukajew bei den Duma-Wahlen erfolglos für die liberale Partei „Rechte Sache“. Im Jahr 2000 wurde er Stellvertreter des Finanzminsiters Aleksej Kudrin. 2004 bis 2013 war Uljukajew stellvertretender Vorsitzender der Zentralbank. Seit 2013 leitete Uljukajew das Wirtschaftsministerium.
Aleksej Kudrin, von 2000 bis 2011 russischer Finanzminister, der wegen Kritik an zunehmenden Rüstungsausgaben zurückgetreten war, erklärte, er habe zu der Verhaftung von Uljukajew „viele Fragen“.