Hat ein Hamburger Anwalt ein legales Schlupfloch für kostenlose Corona-Zertifikate entdeckt?
Laut Angaben des Bundesgesundheitsministerium gibt es prinzipiell drei Arten der Testung: PCR-Tests, Antigen-Schnelltests und die einfachen Selbsttests. PCR-Tests wären hier der „Goldstandard“, heißt es weiter. Welche Voraussetzungen ein Testnachweis erfüllen muss, regelt laut Ministerium die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung einheitlich für das gesamte Bundesgebiet. Zu den Kosten, die seit letzten Montag entstehen, wenn Bürger sich kostenpflichtig testen lassen müssen, um beispielsweise Flugzeuge benutzen zu dürfen, aber auch für eine Reihe ganz gewöhnlicher Verrichtungen, schreibt der Bayerische Rundfunk:
„Die Kosten für einen PCR-Test am Flughafen München (…) belaufen sich auf 128 Euro. Für einen Antigen-Schnelltest mit einem Ergebnis nach 60 Minuten zahlt man dort 45 Euro.“
Der Sender verweist noch auf preiswertere Angebote. Einem Rechtsanwalt aus Hamburg mit Sitz Nähe Außenalster ist allerdings jeder einzelne Euro einer zu viel. Der Advokat Dr. Can Ansay hat sich in die Materie eingearbeitet und laut Wirtschaftswoche, die darüber hinter der Bezahlschranke ausführlich und durchaus positiv respektvoll berichtete, ein „Schlupfloch“ entdeckt. Der Anwalt ist kein Unbekannter, beispielsweise das Magazin Business Insider titelte 2019 zu einem weiteren Produkt aus dem Hause Dr. Ansay wenig vorteilhaft: „Das fragwürdige Start-up, das Krankschreibungen per Whatsapp verschickt“.
Seit Montag sind Schnelltests kostenpflichtig und sie müssen unter Aufsicht gemacht werden, um an das begehrte Zertifikat zu kommen. Dr. Ansay ist Gründer des Start-up „DrAnsay.com“ und die bieten jetzt als besonderen Service kostenlose Zertifikate auf Selbsttests. Gegenüber der Hamburger Morgenpost verwies Dr. Can Ansay darauf, dass es keine Beschränkungen für Telemedizin gebe. Gemäß der Hamburger Corona-Verordnung gelte der Test als gültiger Nachweis, wenn ihn eine Arztpraxis überwache. Das sei durch die Online-Ärzte gewährleistet.
Nutzer müssen dafür lediglich zwei Fotos des Tests einschicken, den sie zu Hause gemacht haben und dann erstellt Dr. Ansays EDV eine PDF des Zertifikats. „Ein Arzt braucht nur drei Sekunden pro Patient, deshalb ist das gut skalierbar“, sagt Dr. Ansay gegenüber dem Magazin. Fünf Ärzte würden schon für ihn an dieser Zertifizierung arbeiten, weitere ständen auf Abruf bereit.
Das Wirtschaftsmagazin gerät fast ins Schwärmen über soviel Chuzpe: „Doch ‚DrAnsay.com‘ bietet digital kostenlose Testzertifikate auf Selbsttests an – und unterläuft die Bürokratie dabei meisterhaft.“ Aber warum macht Dr. Ansay das? Der findige Anwalt bietet auch kostenpflichtige Produkte an, so darf man annehmen, dass seine Arbeitsaufwand samt Personal für die kostenfreie Bearbeitung der Tests auch eine Marketing-Maßnahme für sein neues Unternehmen ist. Warum auch nicht?
„Das ist ein Geschenk an meine Mitbürger. Ich finde es nicht richtig, die 30 Millionen Ungeimpften in Deutschland über kostenpflichtige Tests zur Impfung zu zwingen. Die Kosten von mehreren hundert Euro pro Monat sind für niemanden zumutbar.“, so der 44-jährige Hanseat in einer Mischung aus Charity und Eigenwerbung.
Aber wie sieht dieses Schlupfloch jetzt konkret aus? Rechtsanwalt Dr. Ansay will herausgefunden haben, dass nichts Konkretes festgeschrieben steht, dass die Tests auf alle Fälle vor Ort und in Echtzeit überwacht werden müssen. Also dachte sich Dr. Ansay: Dann biete ich die Zertifikate online gegen Einsendung von Fotobeweisen vom Wohnzimmertisch.
Wieder die Wirtschaftswoche fragte beim Gesundheitsministerium nach, was die denn davon halten würden, was der Hamburger da anbiete. Jens Spahns Mitarbeiter fanden das weniger lustig und schrieben zurück: „Die Erstellung eines Testnachweises im Sinne der ‚SchAusnahmV‘ scheidet bei einer videoüberwachten Selbsttestung aus“, es müsse gewährleistet sein, dass dem zertifizierten Testergebnis eine „hinreichende Aussagekraft über die Infektiosität der getesteten Person“ zukommt.
Dr. Ansays Schlupfloch stört auch die Verbraucherschützer, die es offensichtlich lieber sähen, wenn der Bürger viel Geld bezahlen muss, anstatt ihm einfach zu vertrauen: Bei einem nur per Foto bewiesenen Selbsttests wäre viel Raum zum Schummeln. Der Bürger unter Generalverdacht also aus Sicht der Verbraucherschützer, das kann man sich kaum ausdenken. Der von den Grünen im Bundestag als „Gesundheitsexperte“ vorgestellte MdB Janosch Dahmen ist auch sehr beunruhigt: „Wir haben zunehmend ein Problem damit, dass wir Betrugsmöglichkeiten bei den Tests und den Zertifikaten vernachlässigt haben.“
Dahmen bemängelt, dass so viele verschiedene Stellen (Schulen und Arbeitgeber) Zertifikate ausstellen dürften, und er empfiehlt stattdessen: „Würden wir nur noch an die Corona-Warn-App übermittelte Schnelltests als zertifizierte 3G-Nachweise gelten lassen, könnten wir sehr einfach seriöse von unseriösen Anbietern trennen.“ Eine Unterstellung jagt hier die nächste vom Verbraucherschutz bis hin ins Parlament zu den Grünen. Der Anwalt aus Hamburg führt noch ein weiteres Argument ins Feld für die Richtigkeit seines Angebots: „Wenn die Tests zu Hause stattfinden, sind die Erkrankten nicht unnötig im Alltagsleben unterwegs, wo sie Menschen anstecken könnten.“
Aber um was für Fotos handelt es sich, die vorgewiesen werden müssen, um das Gratis-Zertifikat zu erhalten? Der Nutzer ritzt seine Initiale und das Datum in die Testschale, bevor der Test gemacht wurde und fotografiert. Nach dem Testergebnis wird ein weiteres Foto der Testschale gemacht, fertig. Das Zertifikat sagt zudem aus, dass der Getestete den Test auf Wunsch vorzeigen muss.
Das WISO-Magazin befragte dazu eine auf Gesundheitsrecht spezialisierte Rechtsanwältin, die das Modell eines digital ausgestellten Testzertifikates von Dr. Ansay für legal hält. Allerdings, so kann man es interpretieren, hält sie eine Videoaufzeichnung des Testvorgangs für rechtlich sicherer als den Fotobeweis.
Dr. Can Ansay ist übrigens auch deshalb optimistisch, weil er vor der Festlegung einer neuen Regierung in Berlin ein gewisses Vakuum festgestellt haben will. Aber wie auch immer man diese Aktion beurteilen will – ein fettes Schmunzeln scheint hier auf jeden Fall mitzuspielen, ebenso wie eine nette Marketing-Idee für ein neues Start-up – das Angebot steht. Jeder kann es zur Zeit noch nutzen. Das Portal wirbt damit, „Marktführer für online Arzt-Atteste“ zu sein.
Und bedenkt man, dass im kürzlich veröffentlichten Ampel-Sondierungspapier die Digitalisierung und Verschlankung der Bürokratie an vorderster Stelle genannt wurde, dann müsste eigentlich das, was der Hamburger Anwalt da anbietet, bei den Ampelparteien für große Begeisterung sorgen.
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