Die Pandemie als Vorwand: Vermehrt werden elementare Menschenrechte eingeschränkt
„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, so Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes in Österreich. Doch für Studenten an der Medizinischen Universität Innsbruck gilt ab dem Wintersemester die 1G-Regel, Erstsemestrige dürfen am klinischen Lehrbetrieb nur vollständig geimpft teilnehmen. Für die Hauptuni gilt die 3G-Regel. „Wir glauben, dass das für angehende Mediziner zumutbar ist“, begründet Rektor Wolfgang Fleischhacker gegenüber dem ORF die Entscheidung. Auch der Rektor der Uni Salzburg, Hendrik Lehnert, plädiert für die 1G-Regelung. Diese sei einfacher zu kontrollieren. In der Johannes Kepler Universität Linz wird derweil an der Einführung von farbigen Kontrollbändern gearbeitet, so eine Mitteilung der Universität vom 3. September:
„Dadurch kann der 3G-Check bei Lehrveranstaltungen und Prüfungen schnell erfolgen. Um den Aufwand zu reduzieren, können Personen, welche über einen langfristigen Nachweis einer lediglich geringen epidemiologischen Gefahr (insbesondere Impfung) verfügen, ein länger geltendes Armband bekommen.“
In Deutschland ist die Situation ähnlich. Von Seiten der Hochschulrektorenkonferenz heißt es:
„Die Hochschulen richten sich auf unterschiedliche Szenarien ein, die sich weitgehend an der 3G-Regel orientieren (vollständig geimpft, genesen oder getestet), wie sie Bund und Länder am 10. August 2021 auch ihren ‘Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie’ zugrunde gelegt haben. (…) Bei einer Verschärfung der pandemischen Situation ist eine flächendeckende Rückkehr zu rein digitalen Formaten notwendig.“
Viele deutsche Universitäten schicken derzeit Informationen zum Wintersemester 2021/22 an die Studenten, denn es soll wieder Präsenzunterricht geben. Aber der Grundton lautet: entweder ihr lasst euch impfen, oder ihr müsst jeden Tag einen teuren Test aus eigener Tasche zahlen. So schreibt zum Beispiel die Hochschule Darmstadt per Email:
„Sie haben es in der Hand! Lassen Sie sich impfen, dann sind Sie weitestgehend vor COVID-19 geschützt, müssen sich nicht mehr testen lassen, haben ungehinderten Zutritt zur Hochschule und sparen am Ende Geld, denn wenn die Regelungen z.B. für die Gastronomie so bleiben wie zurzeit, brauchen Sie auch für jeden Kneipenbesuch einen Schnelltest, für den Sie ab Oktober Geld bezahlen müssen.“
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt spricht es deutlich aus: “Die wichtigste Voraussetzung für den Präsenzbetrieb ist eine möglichst hohe Impfquote bei den Studierenden.” Und Jonathan Dreusch, Vorstandsmitglied des „Freien Zusammenschluss von Student*innenschaften“ (FZS), einem Dachverband von rund 90 Studierendenvertretungen aus ganz Deutschland, sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Unsere aktuelle Position ist es, dass Präsenzveranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene und Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, angeboten werden sollten“. Wer sich nicht impfen lassen wolle, gefährde seine Kommilitoninnen und Kommilitonen, so Dreusch. Ist das die neue Solidarität? René Blaszevic, 29, Student an der Technischen Universität in Berlin, kennt keinen Kommilitonen, der nicht geimpft ist. Aus Angst vor Covid-19? Nein, das Hauptargument der Meisten sei: keine Tests und Reisebeschränkungen mehr:
„Eine Studentin meinte, sie sei zwar sehr skeptisch, aber letztlich habe sie ja auch andere Impfungen mitgemacht, also was soll’s. Ich selbst werde mich nicht impfen lassen. Ich lasse mich seit circa zwanzig Jahren gegen gar nichts mehr impfen, und mir geht es gut damit. Selbst wenn ich mich normalerweise regelmäßig impfen lassen würde, wäre ich spätestens nach den aggressiven Kampagnen sämtlicher Regierungen stutzig geworden.“
Was passiert momentan mit unserer so hoch gepriesenen Bildung, unserem deutschen Bildungssystem, mit der Generation und den Nachfolgenden, die studieren, sich bilden wollen? Das Grundgesetz garantiert in Artikel 5: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Wo aber ist die Verfassung, wo sind die Verfassungsrechtler, wenn es um die 3G-Regel geht? Sie ducken sich weg, sind plötzlich nicht mehr zuständig.
Für ungeimpfte Studenten bedeutet 3G, ab 11. Oktober 2021 jeden Tag einen Test aus eigener Tasche zu zahlen. Ein Antigen-Test wird voraussichtlich zwischen achtzehn und vierzig Euro kosten, wie der MDR berichtet. Wenn man die Kosten dafür beispielsweise in Spanien, wo es nie kostenlose Bürgertests gab, betrachtet, scheint das realistisch. Ein Antigentest kostet dort aktuell mindestens 35,- Euro. Eine Woche Studium wird folglich ab Oktober 2021 für Ungeimpfte rund zweihundert Euro kosten. Wer kann das bezahlen? Und inwiefern steht diese „3G-Entscheidung“ für Hochschulen im Einklang mit dem Grundgesetz? Gar nicht.
Für Egzon Balaban, der in Osnabrück Wirtschaftspsychologie studiert, geht es aber nicht nur um die finanzielle Seite, und die Tatsache, dass in Zukunft voraussichtlich nur Studenten mit finanziellem Rückhalt die Uni besuchen können:
„Wer einer bestimmten Gruppe von Menschen das Recht auf Bildung verwehrt, beziehungsweise es ihr erheblich erschwert, davon Gebrauch zu machen, der handelt diskriminierend. Für mich ist nicht die entscheidende Frage, ob man sich impfen lassen möchte oder nicht, sondern, ob man für oder gegen die Diskriminierung von Ungeimpften, und somit Mitläufer oder kein Mitläufer ist. Ich kann mich glücklich schätzen, sowohl bei mir in der Heimat, als auch in Osnabrück einen Kreis zu haben, der die Impfentscheidung von mir und anderen respektiert.“
Für ihn steht fest, dass er ab Oktober 2021 kein Geld für den dann kostenpflichtigen Schnelltest ausgeben wird. „Kein normaler Student kann sich den Test mehrmals pro Woche leisten, und ich empfinde es zudem höchst unsolidarisch. Das bedeutet, ich werde nur mit den Skripten von zu Hause aus lernen, ohne Präsenzlehre.“René Blaszevic aus Berlin meint:
„Sollten die Universitäten tatsächlich auf Präsenzbetrieb umstellen und diesen nur noch unter 3G-Bedingungen zulassen, werde ich das Studium vorerst pausieren. Ich weigere mich, dieses System mitzutragen.“
Was ist mit unseren Werten passiert? Sind sie plötzlich nicht mehr gültig? “Menschen den Zugang zu Bildung zu verwehren, heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht vorzuenthalten” – so steht es auf der Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Rund 12 Milliarden Euro stehen dem BMZ für das Haushaltsjahr 2021 für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung. Und die Förderung der Bildung ist in der Entwicklungszusammenarbeit fundamental.
„Die Bundesregierung orientiert sich bei ihrer Bildungsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit an den international vereinbarten Zielen. Sie verfolgt dabei das Leitbild des lebenslangen Lernens: Jedem Menschen muss es von der Kindheit bis ins hohe Alter möglich sein, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben. Die im Juli 2015 vom BMZ vorgelegte Bildungsstrategie ‘Gerechte Chancen auf hochwertige Bildung schaffen’ zeigt die Prioritäten und Ansätze in der Bildungsförderung auf.“
Die Bundesregierung unterstützt also den freien Zugang zu Bildung im Ausland massiv, während in Deutschland zukünftig immer mehr von der Bildung ausgeschlossen werden? Die Reaktion vieler Politiker, welche das Volk vertreten sollten, Universitäten, die für die Ausbildung sorgen müssen, und vieler Mitbürger und Mitbürgerinnen ist: Akzeptanz, zum Wohle der Gemeinschaft und ihrer Gesundheit. Dass sich Geimpfte nach wie vor anstecken können, das Virus übertragen und an Covid-19 versterben können, wird in diesem Zusammenhang kaum erwähnt. Es wird auch nicht erwähnt, dass sich die hiesigen Covid-19-Impstoffe immer noch in Testphase III befinden und viele Skeptiker unter anderem deshalb kritisch bezüglich der neuen Vakzine sind.
Robert K. (Name geändert), Hochschuldozent für Medienpsychologie, ist davon überzeugt, dass es nicht bei der 3G-Regel bleiben wird, sondern bald 1G an den Hochschulen gelten wird. „Dann können nur noch Geimpfte studieren. Dasselbe gilt übrigens auch für Dozenten“. Momentan unterrichtet er an einer österreichischen Universität und kommt jeden Tag an der Inschrift „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ vorbei. „Das ist Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes in Österreich“, so Robert K., „ein Hohn gegenüber allen, die sich nicht impfen lassen können oder wollen.“ Die 2G-Regel, die aktuell in Deutschland bereits diskutiert wird, hat er vor Kurzem erlebt, als er zu einer Fachtagung Psychologie eingeladen war. Nur Geimpfte und Genesene durften daran teilnehmen. Für Robert K. war die Fachtagung nur online zugänglich. Er ist überzeugt:
„Für eine friedliche und demokratische Gesellschaft ist freie Bildung die wichtigste Waffe im Kampf für die Demokratie. Für den Einzelnen ist sie oft wichtigster Faktor zum Erhalt der psychischen Gesundheit und bester Schutz vor Demagogie. Die Freiheit der Wissenschaft wird bewusst durch Gesetze und Abkommen geschützt. Eine Abkehr führt zu sozialer Regression.“
Das deutsche Bildungsministerium erklärt, dass Hochschulen als Stätten hochwertiger Ausbildung und Forschung zentrale Impulsgeber für das Innovationsgeschehen seien: „Sie tragen entschieden zur Sicherung von Fortschritt und Wohlstand bei. Deutschland verfügt über insgesamt 426 Hochschulen.“
Aber wer wird dort in Zukunft studieren und wie wird studiert? Werden Ungeimpfte nur noch online unterrichtet, falls diese Option überhaupt für alle Studiengänge zur Verfügung steht? Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt meint: „Für Studierende, denen es nicht möglich ist, an Präsenzveranstaltungen teilzunehmen, können die Hochschulen keine zusätzliche digitale Lehre anbieten.“ Wenn ja, wird es nicht dieselbe Ausbildung sein, wie zuvor. Denn Online-Bildung kann nie den Präsenzunterricht ersetzen.
Jule M. (Name geändert), Studentin in Würzburg, will gegen den Ausschluss von Ungeimpften klagen und sich auf die UN-Charta für Menschenrechte – Artikel 26: „Jeder hat das Recht auf Bildung“ – berufen. René Blaszevic ist der Ansicht:
„Widerstand war in der Geschichte noch nie einfach und erfordert leider Opfer. Es war im Frühjahr 2020 schon schwierig, plötzlich mit keinem meiner Freunde mehr Kontakt zu haben, wütende Nachrichten zu bekommen, wie verantwortungslos ich sei oder sogar von einem Freund, den ich sechzehn Jahren kenne, als antisemitisch bezeichnet zu werden. Mittlerweile habe ich mich gut damit arrangiert. Ich habe eingesehen, dass es nicht passt und neue Menschen kennengelernt, die meine Werte – nicht nur in Bezug auf Corona – teilen.“
Auch Egzon Balaban aus Osnabrück hat Hoffnung auf Widerstand:
„Und selbst, wenn es mit dem Studium nicht klappen sollte, da die Bedingungen immer mehr erschwert werden, bin ich trotzdem gut vorbereitet. Ich habe früh gelernt, dass man sich nicht auf Schule und Studium verlassen sollte und mir privat viel Wissen angeeignet, weshalb ich zuversichtlich bin, mir auch ohne Studium eine Existenz aufzubauen.“
Dass Bekannte von ihm in Panik verfallen und Existenzängste haben, kann er gut nachvollziehen. Es sei schlimm, den Job oder das Studium zu verlieren.
„Allerdings müssen wir, also diejenigen, die sich gegen diese Diskriminierung stellen, den Weg des Friedens, des Mutes und der Furchtlosigkeit wählen. Harte Zeiten formen starke Charaktere.“
Wohin steuern unter anderem Deutschland und Österreich, wenn sich 3G, 2G oder 1G für den Besuch der Universitäten durchsetzen und bestehen bleiben?