Kaum eine andere Band hat so heftige Kontroversen ausgelöst wie Laibach – vor allem in Deutschland, wo es die größte Fangemeinde gibt. Dieses Porträt erschien zuerst in COMPACT 11/2017 und ist eine gute Ergänzung zu unserer neuen Ausgabe 10/2020 mit dem provokanten Titelthema «Das Reich wird Pop: Neue deutsche Sehnsucht», die Sie HIER bestellen können.
Zagreb, 23. April 1983: Auf der Bühne eines Jugendclubs stehen vier streng gescheitelte Männer in Uniform. Die Szenerie erinnert an Zeiten, in denen Wehrmachtssoldaten auf ihren olivgrünen Krads durch die Straßen Agrams donnerten. Agram, so nannten die Deutschen die kroatische Stadt Zagreb – und teutonisch sind auch die Worte, die zu militärischen Trommelrhythmen und hartem Industrial-Sounds durch den Raum hallen. Eine neue Avantgarde-Band aus Slowenien, gibt sich die Ehre: Laibach, der deutsche Name von Ljubljana, ist im kommunistischen Jugoslawien tabu – doch an diesem Abend will man es auf die Spitze treiben.
Auf einer Leinwand hinter den Musikern wird ein kommunistischer Propagandafilm – Die Zukunft geht weiter – abgespielt. Doch darüber projiziert man Szenen aus einem amerikanischen Hardcore-Porno. Als auf dem Gesicht des drei Jahre zuvor verstorbenen Staatschefs Josip Broz Tito ein erigierter Penis erscheint, greift die Staatsmacht ein. Die jugoslawische Militärpolizei stürmt die Bühne und bricht das Konzert unter lautstarkem Protest des Publikums ab. Politiker und Staatsmedien verurteilen die «beispiellose Provokation» aufs Schärfste. Der Konzertabend in Zagreb wird zum Urmythos der Band, die bis heute die politisch korrekten Tugendwächter auf den Plan ruft.
Laibach sind der musikalische Arm des Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK), das seinen Ursprung in der dortigen Punkszene der späten 1970er Jahre hat. In seinem Aufsatz «Slowenische Subversion», der in dem Sammelband Populäre Musikkulturen im Film (2016) erschienen ist, schreibt der Kultur- und Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger: «In autonomen Gemeinschaften lebte man damals zusammen, diskutierte neue Strategien des kulturellen Widerstands gegen den herrschenden Totalitarismus unter Tito und bezog sich mitunter auf die Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs, unter der die slowenische Bevölkerung zu leiden hatte.»
«Wir nehmen von allem ein bisschen und schaffen etwas anderes in einer neuen Kombination. Das ist unser Eklektizismus», so Laibach in einem Interview mit dem Musikmagazin Subline. Während dies im Falle von kommunistischer Symbolik (siehe oben) niemanden stört, brachte die Adaption von NS-Elementen der Band Faschismusvorwürfe ein. Foto: Mute Records
Ikonografische Symbole totalitärer Herrschaft, Hammer und Sichel, Haken- und Balkenkreuz, Zahnrad und monumentale Plastiken spielten von Anfang an im Artwork von Laibach eine herausragende Rolle. Auf ihren collagierten Plattencovers, auf Fotos und in Filmen verwendeten sie die Bildsprache der Kommunisten, Nationalsozialisten und Faschisten – nicht ablehnend, sondern geradezu überaffirmativ, so dass man nicht sicher sein konnte, ob sich die Musiker damit gemein machen oder durch die Überspitzung ihre Distanz zum Ausdruck bringen wollen. Der linke Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Zizek, ein bekennender Laibach-Fan, der sich schon in den 1980ern im Umfeld von NSK bewegte, bezeichnete die Kunst der Band als einen «Flirt mit der obszönen Dimension» des Faschismus.
Ein frühes Beispiel für die Visualisierung jener «faschistischen Ästhetik» ist der Videoclip zu «Life is Life» aus dem Jahr 1987. Bei dem Stück handelt es sich um eine Coverversion des gleichnamigen Partyhits der österreichischen Rockband Opus, der bei Laibach zu einer bombastisch-martialischen Hymne im Marschrhythmus mutiert. Am Anfang des Films sieht man eine junge, barbusige Frau, die einen Bogen spannt, danach, in gleicher Pose, einen Mann mit freiem Oberkörper. Ein Pfeil fliegt in Richtung einer hölzernen Tür in Form eines Balkenkreuzes, die sich öffnet und den Blick auf eine schneebedeckte Berglandschaft freigibt.
Vier Männer in grün-grauer Montur, teils Trachten-, teils Jagd-, teils Militärkleidung, stehen mit stolzgeschwellter Brust in der urgewaltigen Naturlandschaft der Julischen Alpen. Ihre Haltung wirkt triumphal, ihre Hände haben sie entweder in die Hüfte gestemmt oder am Revers, akkurat frisiert, mit strenger Miene und erhobenen Hauptes singen sie inbrünstig den Chorus, später betreten sie im Gleichschritt eine kleine Kapelle am Fuße des Triglav-Berges. Hirsche mit prächtigen Geweihen, Edelweiß und rauschende Bäche unterstreichen das Heimatmotiv des Musikvideos, dessen beeindruckende Bilder im Gedächtnis haften bleiben.
Für die Medienwissenschaftlerin Jelena Jazo ist das bewusst gekünstelte «Heimattümelei». In ihrer Studie Postnazismus und Populärkultur schreibt sie: «Mittels hysterischer Überzeichnung totalitärer Ästhetik, und hierin liegt die ultimativ subversive Haltung Laibachs begründet, betreiben sie in hohem Maße Ikonoklasmus. Laibach operieren gewissermaßen aus einem als antifaschistisch zu bewertenden Grundverständnis heraus, ohne dass sie auf ästhetischer Ebene dezidiert antifaschistische Statements liefern. Im Gegenteil: Die Selbstinszenierung Laibachs entspricht einer Mimese [Nachahmung] faschistoider respektive totalitärer Strukturen und Ästhetik.» Mit einer neuen Kontextualisierung von NS-Symbolik gelinge es ihnen, diese «gerade dadurch subkutan zu demontieren». In der «übertriebenen Bejahung» manifestiere sich ihr Widerstand, so die Popkultur-Forscherin.
Man ist erstaunt: Nachdem das Feuilleton ihnen jahrelang faschistische Tendenzen unterstellt hat, erkennt Jazo in Laibachs Performance eine besonders pfiffige Form des Antifaschismus. Doch das eine ist vermutlich so falsch wie das andere. In einem seiner raren Interviews hat Sänger Milan Fras zu den Nazi-Vorwürfen einmal gesagt: «Wir sind Faschisten, wie Hitler ein Maler war» – eine Aussage, die viel Raum für Interpretationen lässt. Genau das entspricht der Linie von Laibach: Man ironisiert, ist bestenfalls zweideutig.
Das aktuelle Album: Soundtrack für eine Theateradaption des gleichnamigen Nietzsche-Werks von Matjaz Berger (slowenischer Dramaturg). Fotos: Mute Records
In einem Porträt für die linke Tageszeitung Junge Welt bezeichnete der Musikjournalist Rados Riedel Laibach als «diabolische Dialektiker» und schrieb: «Ein Foto aus den 80ern zeigt Laibach vor der Karl-Marx-Büste auf dem Londoner Highgate-Friedhof; dies zu einer Zeit, als die ideologische Verortung der Band vielen Rezipienten nicht klar war und eventuell nicht sein konnte. Die nachvollziehbare Weigerung, sich zu erklären, tat ihr übriges: Laibachs militante Uniformierung, ihre totalitäre Choreographie und die auf schiere Überwältigung setzende Brachialität brachten der Band den Ruf ein, Teil der rechten Bewegung zu sein.» Dieses Kapitel sei aber «glücklicherweise abgehakt».
Der britische Kulturtheoretiker Alexei Monroe beschreibt das slowenische Gesamtkunstwerk in seinem 2014 erschienenen Porträt-Band Laibach und NSK als bilderstürmerisch, als Osteuropas Beitrag zur Avantgarde. Im Rahmen einer Performance 1992 in Moskau proklamierte das Künstlerkollektiv NSK: «Die Geschichte, Erfahrung und Zeit sowie der Raum der östlichen Länder des 20. Jahrhunderts können nicht vergessen, versteckt, verworfen oder unterdrückt werden. (…) Diese konkrete Geschichte, diese Erfahrung, diese Zeit und dieser Raum haben die Struktur für eine charakteristische Subjektivität geschaffen, die wir fortentwickeln, formen und reformieren wollen; eine Subjektivität, die Vergangenheit und Zukunft reflektiert.» Ähnlichkeiten mit Ljubomir Micics 1921 in Zagreb veröffentlichtem Manifest des Zentrismus, der serbischen Variante des Futurismus, sind nicht zufällig.
Die gezielte Verunsicherung der Öffentlichkeit hat – bis heute – Methode, ob es nun um das ambivalente Spiel mit Symbolen, von Laibach als «Retroavantgarde» bezeichnet, oder auch nur die Verwendung eines betont hart und prononciert ausgesprochenen Deutsch in ihren Texten geht. «Wir lieben die deutsche Sprache. Sie ist stark und militant, sexy und romantisch», ließ die Band verlautbaren. Und sie erklärten: «Laibach sind Rammstein für Erwachsene.» Tatsächlich wirkt die dunkle, kehlige Stimme von Milan Fras weitaus bedrohlicher als das Organ Till Lindemanns, er rollt das «R» noch eindrucksvoller, und während sich die Texte von Rammstein um Sadomaso-Sex, Nekrophilie und irre Mörder drehen, befassen sich Laibach – ohne eine explizit politische Band zu sein – auch mit politischen Themen wie Krieg, den Konfliktpotenzialen in Europa oder den Auswüchsen des westlichen Kapitalismus. Laut NSK haben Faschismus, Kommunismus, Kapital und Konsum eine Gemeinsamkeit: Sie seien allesamt Totalitarismen.
Absoluter Höhepunkt ihrer kulturellen Subversion waren die Auftritte in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang im August 2015: Laibach absolvierten ein gut 45-minütiges Set, vornehmlich mit Coverversionen von Stücken aus dem kitschigen US-Musical Sound of Music im Synthwave- und Industrial-Stil. Erstmals durfte eine europäische Band in dem abgeschotteten Land in Fernost auftreten – eine bessere Kulisse für ihre Kunst kann es kaum geben.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Laibach-Bandbiograf Alexei Monroe zum Auftritt in Pjöngjang: «Laibach beschäftigt sich seit 1980 pausenlos mit Fragen der Ideologie und Macht, und die Band hat seitdem eine extreme Sprache entwickelt, in der sie totalitäre Aussagen von Stalin, Hitler, Mussolini und Tito aufgreift. Ideologie ist absolut zentral für Laibach. (…) Ich verstehe schon, dass einige Leute jetzt verunsichert auf Laibachs Konzerte in Nordkorea reagieren, aber es ist völlig klar, dass Laibach nicht Laibach wären, wenn sie sich diese Chance entgehen ließen.»
Auf ihrem 2017er Album Also sprach Zarathustra präsentieren die Slowenen zwölf Stücke, die sie für eine Theateradaption des gleichnamigen Werks von Friedrich Nietzsche geschrieben haben. Anders als der Vorgänger Spectre (2014) mit seinen eingängigen Elektropop-Stücken ist die wagnereske Zarathustra-Scheibe musikalisch schwerer verdaulich. Laibach gehen back to the roots, lassen Anklänge an ihr Frühwerk vernehmen, bieten düsteren Industrial, während Fras lakonisch und scheinbar emotionslos Nietzsche-Zitate in deutscher Sprache ausspuckt. Sicherlich wird die slowenische Kultband bald wieder auf unseren Bühnen zu sehen sein. Höchste Zeit, das Schwarzhemd zu bügeln und die Stiefel zu putzen.
„Das Reich wird Pop“ ist das Titelthema der Oktober-Ausgabe von COMPACT. Diese neue deutsche Leichtigkeit zeigt sich auch in dem unbekümmerten Umgang mit schwarz-weiß-rote Fahnen – den Flaggen des Kaiserreiches – auf den Querdenker-Demos. Dies ist nicht Ausdruck einer Sehnsucht nach der Vergangenheit, sondern Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Deutschen freier, souveräner, demokratischer und selbstbewusster als heute leben können.
*Das Reich wird Pop: Die Querdenker-Bewegung stellt verstärkt die Frage nach der Souveränität Deutschlands und fordert einen Friedensvertrag – Themen, die bisher vor allem bei Randgruppen und rechtsaußen versauerten. Doch nun tanzen die Regenbogenkinder mit den Schwarz-Weiß-Roten gemeinsam um den Freiheitsbaum – und die Party hat erst angefangen. Jürgen Elsässers Leitartikel zur neuen deutschen Sehnsucht.
*Kein Sturm auf den Reichstag: Am 29. August erklomm ein versprengtes Häuflein die Treppen des Parlaments. Was zu einem demokratiegefährdenden Orkan aufgebauscht wurde, war in Wirklichkeit ein laues Lüftchen. Manfred Kleine-Hartlage zum Putsch der Medien.
*Reich. Pop. Flaggen: Die neue Reichspop-Bewegung ist ebenso vielfältig wie ihre Fahnen. Wir erläutern deren historische Hintergründe. Eine kleine Fahnenkunde.
*Gute Fahne unter falscher Flagge: V-Leute und Schauspieler in Berlin: Während zehntausende Querdenker friedlich demonstrieren, stürzen sich die Medien dankbar auf die Ereignisse am Reichstag. War eine Eskalation staatlich gewollt? Ein Enthüllungs-Report von Marcel Dettmer.
*Ein Traum, der niemals endet: Die Reichsidee blieb auch nach 1945 in Deutschland virulent. Künstler, Politiker und Historiker wollten mit ihr erstarrte Fronten aufbrechen und Alternativen zur Teilung Europas entwickeln. Ein politisch-kultureller Essay von Sven Reuth.
*Arbeitermacht mit Kaiserfahnen: Die Gründer der DDR hatten sich entschieden: Die Flagge der Republik wird Schwarz-Weiß-Rot. Erst wenige Monate vor der Staatsgründung schwenkten sie um. Eine historische Rückschau von Martin Müller-Mertens.