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Den Reichsbürgern sei Dank – sonst hätten die Medien nur über Corona-Proteste berichten müssen

swaine1988
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Autor: Andreas Peter
Quelle: https://de.sputniknews.com/kom...
2020-08-31, Ansichten 706
Den Reichsbürgern sei Dank – sonst hätten die Medien nur über Corona-Proteste berichten müssen

Bei den Protesten gegen die Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern am Samstag in Berlin zeigte sich einmal mehr das Kernproblem der Protestierenden. Allerdings zeigte sich auch das Kernproblem der Adressaten der Proteste: Politik und Mainstream-Medien. Und wieder einmal wurde die Polizei als Prellbock missbraucht.

Auch dieses Wochenende erlebte Deutschland wieder das beliebte Spiel: „Wir basteln uns eine Demonstration.“


Spielphase 1 – Teilnehmerzahlen


Wir hatten es bereits nach der Demonstration vom 1. August geschrieben und können es nur wiederholen. Erstens: Die Organisatoren von Demonstrationen sind bemüht, Teilnehmerzahlen so hoch wie möglich anzugeben, die Polizei ist bemüht, sie so niedrig wie möglich anzusetzen. Irgendwo in der Mitte ist meistens auch die Nähe der tatsächlichen Zahlen. Zweitens: Fotos von Demonstrationen, aufgenommen aus der Menge, können wegen der Blickwinkel trügerisch sein, was vermeintliche oder tatsächliche Menschenansammlungen angeht. Fast immer sind Luftaufnahmen hilfreich, weil sie Dimensionen und Vergleiche und damit sehr viel realistischere Schätzungen zulassen. Drittens: Auf der Basis dieser Grundregeln lässt sich anhand eigener Beobachtungen und Sichtung von Luftaufnahmen die Feststellung wagen:

a) Die Teilnehmerzahl an diesem Samstag war deutlich größer als am 1. August,

b) die Teilnehmerzahl war deutlich größer als die offiziellen Schätzungen von Polizei und Medien,

c) die Teilnehmerzahl war deutlich kleiner als die erneut verbreiteten, zum Teil abstrusen Zahlenangaben aus diversen Teilnehmerkreisen.

Der persönliche Augenschein bei den Demonstrationen rund um die Friedrich- und Torstraße, rund um die Siegessäule, die Straße des 17. Juni und den angrenzenden Tiergarten, rund um den Boulevard Unter den Linden und an anderen Orten in Berlins Mitte lassen den Schluss zu, dass eine Teilnehmerzahl von bis zu 50.000 nicht übertrieben ist, jedenfalls deutlich größer als die von der Polizei bekanntgegebenen Schätzungen von 38.000 Teilnehmern. Alle Zahlen weit darüber, insbesondere im hohen sechsstelligen Bereich, können erneut nur als Wunschdenken der Veranstalter qualifiziert werden, was insofern unnötig erscheint, weil bereits die offizielle Schätzung der Polizei deutlich über den selbst prognostizierten Zahlen liegt. 


Spielphase 2 – Teilnehmerherkunft


Wir hatten es bereits nach der Demonstration vom 1. August konstatiert. Die Zusammensetzung der Teilnehmer ist, was ihre politische Ausrichtung angeht – sofern diese überhaupt zuverlässig bestimmt werden kann und nicht einfach nur vermutet wird – extrem heterogen. Nach unserer Beobachtung überwogen an diesem Samstag eindeutig die Teilnehmer, die bewusst oder unbewusst eine parteipolitisch neutrale oder nicht eindeutig zu identifizierende politische Grundhaltung einnahmen. Das wurde mehr als deutlich auf der Kundgebung rund um die Siegessäule am Großen Stern, die sich bis in weite Teile der angrenzenden vierspurigen Ausfallstraßen, wie die Straße des 17. Juni oder die Hofjägerallee und bis weit in die angrenzenden Parkanlagen des Großen Tiergarten erstreckte. Permanent bemühten sich dort die Veranstalter, aber auch die Teilnehmer selbst, die von der Polizei geforderten Mindestabstände einzuhalten oder herzustellen. Mehrfach erhielten Redner tosenden Applaus, die sich unmissverständlich jedwede Annäherung von rechts verbaten.


Ungeliebte Mitspieler


Die an diesem Samstag demonstrierenden Vertreter des eindeutig rechtsextremen Spektrums, insbesondere der Reichsbürgerbewegung, grenzten sich interessanterweise mehr oder weniger selbst ab, beziehungsweise wurden von der Mehrzahl der „normalen“ Demonstrationsteilnehmer offenbar bewusst oder unbewusst separiert. Das wurde mehr als deutlich bei den beiden eindeutig rechtsextrem ausgerichteten Kundgebungen vor dem Reichstag und Unter den Linden, in Höhe der Russischen Botschaft. Die dortigen Teilnehmerzahlen waren geradezu verschwindend gering gegenüber den Zahlen der Kundgebung rund um die Siegessäule.

Aber gerade diese beiden eindeutig rechtsextremen, eindeutig kleineren Aufmärsche erhielten von den Medien überproportional große Aufmerksamkeit. Einerseits wurde der Zwischenfall auf den Stufen der Großen Freitreppe des Reichstages als Sturm auf das deutsche Parlament durch rechtsextreme Kräfte beschrieben, von denen sich die Teilnehmer der anderen Demonstration auf der Straße des 17 Juni, keine 100 Meter entfernt, diesmal aber erkennbar konsequenter abgegrenzt hatten. Dennoch wurden diese Fanatiker mit ihren albernen Reichsflaggen und anderen Symbolen angeblicher echter deutscher Ehre und Würde erneut mit allen Demonstrationsteilnehmern des Tages in Zusammenhang gebracht.

Andererseits ist es unverständlich, dass nun schon zum wiederholten Mal rechtsextreme Aufmärsche unmittelbar vor der Russischen Botschaft geduldet wurden und folgerichtig in der Berichterstattung vieler deutscher Medien ein Eindruck entstand, als sei diese unmittelbare Nähe kein Zufall. Das betrifft auch das Sowjetische Ehrenmal in der Straße des 17. Juni, das mehr oder weniger zu einer Art Campingplatz umfunktioniert wurde und an dessen Umzäunung Plakate befestigt wurden, die teilweise übelste antisemitische Hetze propagierten, was wiederum den Eindruck erzeugte, als sei dies quasi eine russische Position. Das ist vor allem deshalb interessant, weil die Polizei am Sonntag bei nachfolgenden Kundgebungen am Brandenburger Tor sehr besorgt darum war, dass die Demonstranten nicht in die Nähe der unmittelbar angrenzenden Botschaft der USA gerieten und entsprechende Aufforderungen an die Veranstalter kundtat. 


Die Spielregeln


Womit wir bei den Spielregeln und den offenkundigen Doppelstandards sind, die auch dieses Wochenende wieder beobachtet werden konnten. Bei Demonstrationen in Corona-Zeiten hat sich inzwischen als Minimalanforderung herauskristallisiert, dass wenigstens die Mindestabstände eingehalten werden sollten. Was nicht bedeutet, dass die Maskenpflicht außer Kraft gesetzt ist, aber im Fall der Demonstrationen und Kundgebungen dieses Wochenendes in Berlin hatten sowohl das Verwaltungs- als auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Tatsache mehr oder weniger hingenommen, dass gerade die Teilnehmer der Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen bewusst die behördliche Auflage der Maskenpflicht ignorierten, weshalb die Gerichte vor allem auf die Einhaltung der Mindestabstände als nicht zu verhandelnde Mindestanforderung an die Veranstalter bestanden und deren Hygienekonzept als akzeptabel einstuften.

Vor diesem Hintergrund ist ein Fakt bemerkenswert. Denn bekanntlich unterlag die Berliner Genehmigungsbehörde sowohl vor dem Verwaltungs- als auch dem Oberverwaltungsgericht. Als an diesem Samstag der eine der beiden Hauptdemonstrationszüge von der Friedrichstraße in die Torstraße einbiegen wollte, wurde der Zug von der Polizei gestoppt. Der darauffolgende zwangsläufige Stau und die damit verbundenen immer kleineren Abstände zwischen den Demonstrierenden konnten anfangs nicht dadurch entschärft werden, indem die Seitenstraßen als Ausweichflächen geöffnet wurde, weil die Polizei-Einsatzleitung auch dies zunächst untersagte. Stattdessen machte die Polizei in dieser Situation, entgegen den Eilbeschlüssen des Oberverwaltungsgerichtes Berlin, das Tragen von Mund- und Nasenschutz zu einer weiteren zwingenden Auflage, obwohl sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht in ihren Eilentscheidungen ausdrücklich nur von „erforderlichenfalls“ sprachen. Die aus der Interpretation der Polizei folgende zwangsläufige Nichteinhaltung der Mindestabstände plus den fehlenden Mund-Nase-Schutz nahm die Polizei daraufhin zum Anlass, um diesen Demonstrationszug aufzulösen.

Der daraus resultierende Frust in den Reihen der Demonstrierenden, die glaubten, die Einsatzleitung der Polizei sabotiere den Beschluss des OVG Berlin, um die von Innensenator Geisel ungeliebte Demo doch noch verbieten zu können, führte unter anderem zu Flaschenwürfen in Richtung der Polizisten. Das Bild einer zerbrochenen Flasche verbreitete sich wie ein Fanal angeblich enthemmter Brutalität aller Demonstrierenden durch beinahe alle elektronischen Medien. Die permanenten Aufrufe zum Abstandhalten rund um die Siegessäule und zum respektvollen Umgang mit der Polizei wurden selbstredend – wenn überhaupt – nur vereinzelt erwähnt. Ebenso, dass die überwältigende Zahl der Demonstrierenden friedlich ihr Grundrecht wahrnahm. 


Die Spielbeobachter


In der Berichterstattung der meisten Medien gab es zwar erkennbar Bemühungen, dieses Mal nicht offenkundig unrealistisch niedrige Teilnehmerzahlen zu verbreiten und ebenso nicht alle Demonstrierenden in einen Topf zu werfen. Dennoch war erneut häufig zu sehen, zu lesen oder zu hören, dass „Corona-Leugner“ demonstriert hätten. Das ist schlichtweg diffamierend, denn beispielsweise bei der Großkundgebung rund um die Siegessäule an diesem Samstag wurde sehr deutlich, dass die Mehrheit der Teilnehmer die Existenz von Corona und einer pandemischen Ausbreitung dieses Virus nicht leugnet, sondern die dagegen gerichteten Maßnahmen der Bundesregierung kritisiert, sie für unverhältnismäßig hält oder gar rundweg ablehnt. Das allerdings entschieden und auch mit Aufforderungen zu Rücktritten von Bundespolitikern wie der Bundeskanzlerin. Die Kritik an den Demonstrationen dieses Samstags aus Politik und Medien wirkt daher mitunter wie der verzweifelte bis hysterische Versuch, die Deutungshoheit zu verteidigen und mehr oder weniger widerspruchslose Gefolgschaft für die offizielle Regierungsmeinung einzufordern.

Zumal die zeitgleich stattfindenden, ebenfalls nicht genehmigten Proteste in Belarus von den gleichen Medien komplett anders dargestellt und die Maßstäbe, die an die Demonstranten und die Reaktionen des Staates in Berlin angelegt werden, bei der Bewertung der Proteste in Belarus de facto keine Rolle mehr spielen. Aber dieses Phänomen von Doppelstandards war bereits bei den Protesten in Hongkong zu beobachten. Der Tonfall vieler Politiker und Medien erinnert mittlerweile leider mehr an die DDR des Jahres 1989, als eine vollkommen weltentrückte und selbstverliebte Staatsführung versuchte, jede Kritik, jeden Zweifel sofort zu diskreditieren und zu diffamieren. 


Die Spielführer


Das Problem der Demonstranten rund um die Siegessäule an diesem Samstag war erneut, dass einige Redner zum Teil abstruse Thesen verbreiteten und damit zuvor vorgetragene ernsthafte Argumente entwerteten. Besonders tragisch wirkte das beim umjubelten Auftritt des Neffen von US-Präsident John F. Kennedy, Robert, der u.a. massive Grundrechtseinschränkungen, eine beinahe ausschließlich profitorientierte Gesundheitspolitik und Pandemiebekämpfung und Selbstermächtigungen einer kleinen Elite nicht nur in seiner US-amerikanischen Heimat anprangerte. 

Auch sein Plädoyer, sich nicht verunsichern zu lassen durch die ständigen multimedialen Diffamierungen als angebliche Nazis, erntete verständlicherweise großen Applaus. All das wurde dann aber mehr oder weniger wieder eingerissen, als Robert Kennedy Jr. allen Ernstes davon redete, dass der 5G-Mobilfunkstandard während der Quarantäne eingeführt wurde, um uns alle zu versklaven.

Interessant war die Rede des Kommunalpolitikers David Claudio Sieber, der in Flensburg für die Grünen stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Bildung und Sport und im Ausschuss für Bürgerservice, Schutz und Ordnung ist. Siebers Rede könnte seinen Rauswurf aus der Partei beschleunigen, denn er griff die Grünen, nicht nur in Flensburg, unter anderem frontal wegen Realitätsverweigerung an, natürlich sehr zur Überraschung und schließlich Freude der Zuhörer, die ihn noch auspfiffen, als er seine Parteizugehörigkeit verkündete. 


Die Gegenspieler


Apropos Pfeifen. Von Gegendemonstranten war an diesem Samstag so wenig zu sehen und zu hören, dass nicht einmal die Polizei sie explizit erwähnte. Dennoch gab es sie natürlich, vor allem als Gegenreaktion zum Demonstrationszug, der vom Brandenburger Tor kam und in der Friedrichstraße wie bereits beschrieben feststeckte. Auch über die Anzahl der Gegendemonstranten gibt es die gleichen Streitigkeiten und die gleiche Zahlenakrobatik mit Veranstaltern, Polizei und Medien.


Die Schieds- und Linienrichter


Bleibt abschließend erneut die Feststellung, dass die Polizisten, die an diesem Wochenende ihren Dienst versahen, in eine unfaire und undankbare Aufgabe geschickt wurden, die ihre physische wie psychische Gesundheit gefährdete. Sie sollten ausbaden, was Politiker, die offenbar mehr an Rechthaberei als an Recht interessiert sind, mit Dickköpfigkeit durchzusetzen versuchen. Sie sollten ausbaden, was sich auf Seiten der Demonstranten an Frust, aber auch an simpler Unhöflichkeit, schlechtem Benehmen und Unbeherrschtheit Bahn brach. Sie sollten vor allem auch ausbaden, dass rechte Netzwerke und diverse andere politische Randgruppen mit aggressivem Auftreten den Protest Tausender Menschen gegen eine von ihnen als ungerecht und unverhältnismäßig empfundene Politik zu unterwandern versuchen, um ihre eigene Bedeutung aufzublasen. Eine solche Aufgabe können Polizisten nicht leisten. Erst recht nicht in Ausnahmesituationen wie einer Pandemie. Sie permanent als Prellbock und Prügelknabe zu missbrauchen, ist kein angemessener Umgang mit denjenigen, die Grundrechte durchsetzen bzw. sichern sollen.


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