Jedes Protein in der Zelle wird nach einem festen Plan gebildet. Dieser Plan nennt sich Boten-RNA oder mRNA und ist eine Abschrift von Genen (DNA) im Zellkern. Das SARS-Coronavirus-2 bedient sich desselben Mechanismus: Es schleust mRNA in die Zelle, die Bauinformationen für alle Bestandteile des Virus enthält. Die mRNA wird in der Zelle vermehrt, in neue Viruspartikel eingeschlossen und schließlich verlässt eine große Menge Viren die Zelle, um neue Zellen zu befallen.
Auf der Kenntnis dieses Mechanismus basieren mRNA-Impfstoffe. Im Fall des mRNA-Impfstoffs von CureVac etwa enthält die künstlich hergestellte mRNA die Bauinformation für ein bestimmtes Oberflächenprotein des SARS-Coronavirus-2, das Spike-Protein. Nach der Impfung wird dieses Protein von betroffenen Körperzellen produziert. Das Immunsystem erkennt das fremde Antigen, leitet eine Immunantwort ein und in der Folge bildet sich ein Schutz gegen den eigentlichen Erreger aus. Das sagt zumindest die Theorie. Seit Freitag wird diese Theorie am Tübinger Uniklinikum auch in Form einer klinischen Studie am Menschen erprobt.
Wie die erste Behandlung mit diesem Impfstoff in Tübingen verlaufen ist, wie die Studie weitergeht und wie das Mittel von CureVac genau funktioniert – darüber hat Sputnik exklusiv mit Peter Kremsner,dem Direktor des Instituts für Tropenmedizin Tübingen und Leiter der Studie, gesprochen.
Herr Kremsner, am Freitag hat die erste Probandin am Uniklinikum Tübingen den mRNA-Impfstoff von CureVac gegen das SARS-Coronavirus-2 erhalten. Wie ist die erste Impfung verlaufen? Und finden heute planmäßig die nächsten Impfungen statt?
Die erste Probandin hat es am Freitag bekommen. Es ist alles gut verlaufen. Das Mittel war sehr gut verträglich, es gab keinerlei Nebenwirkungen oder Auffälligkeiten und heute geht es weiter mit drei weiteren Probanden, die bereits geimpft wurden und es sieht weiterhin sehr gut aus.
Vielleicht einmal kurz für die Hörer: Wie funktioniert dieser mRNA-Wirkstoff? Wie gelangt die Boten-RNA in die Zielzelle? Und welches Antigen wird da in menschlichen Zellen produziert?
Der mRNA-Impfstoff wird mit Lipid-Partikeln, die die mRNA umschließen, in die Zelle geschleust. Er wird dort dann in das eigentliche Antigen umgeschrieben. Die Struktur ist am Ende immer die gleiche – ob es sich nun um einen DNA-Impfstoff, einen mRNA-Impfstoff oder einen Protein-Impfstoff handelt. Alle Impfstoffkandidaten beruhen im Wesentlichen auf dem Spike-Protein, das die chinesischen Wissenschaftler im Januar beschrieben haben, als sie erstmals das Virus beschrieben haben. In manchen Fällen ist das Protein noch ein bisschen bearbeitet, aber im Wesentlichen geht es um das S-Protein, das alle Impfstoffe enthalten. Die Form der Darreichung unterscheidet sich. Manche machen das über Vektoren (Anm.d.R.: andere Viren, in die die Information von SARS-CoV-2 eingeschleust wird und die an ihrer Oberfläche das S-Protein tragen), aber das eigentliche Antigen ist bei allen das gleiche.
Es ist also das Protein, mit dem das Virus an die Wirtszelle anbindet und diese so infiziert?
Ja.
Es heißt ja auch, dass CureVac im Vergleich zu anderen mRNA-Impfstoffen kleinere Mengen RNA benötigt. Woran liegt das? Liegt das daran, dass die mRNA in der Zelle selbst wieder vermehrt wird und sich dadurch selbst verstärkt?
Genau. Das ist zumindest der Ansatz, dass geringe Mengen möglicherweise ausreichen. Ob das wirklich so sein wird, das muss man erst sehen. Das wird man in zwei Monaten etwa sehen. Noch können wir es nicht sagen. Wir können nur sagen, dass die Probanden, die es jetzt bekommen haben, keine Nebenwirkungen haben. Alles andere muss man abwarten, um zu sehen, ob ein paar Mikrogramm ausreichen, um eine gute Immunogenität und einen guten Schutz gegen Covid-19 zu erzielen.
Im Gegensatz zum Virus kann also die mRNA nicht wieder aus den Körperzellen ausbrechen und die nächsten Zellen befallen?
Die mRNA wird in der Zelle umgeschrieben und das Antigen produziert, das dann das eigentliche Ziel für die Abwehrreaktion von Antikörpern und T-Zellen des Immunsystems ist. Dieses Antigen soll dann auch den Schutz vor Infektionen induzieren. Eine weitere Vermehrung der mRNA wie bei Viren gibt es nicht.
Was konnte an Tierzellen gezeigt werden, weshalb jetzt das Mittel in die klinische Phase übergegangen ist?
In der präklinischen Phase werden ja immer die Stabilität, die Teratogenität – also wie stark es auf Keimzellen wirkt –, die Toxizität an verschiedenen Zielzellen geprüft. Und dann wird in mindestens einem Tier auch die Giftigkeit und zusätzlich auch – aber das ist nicht zwingend erforderlich – eine mögliche Wirksamkeit im Tierversuch gezeigt. Hier wurde in der Maus gezeigt, dass es super ist. Ich glaube der Maus nicht, ich hoffe, dass es auch beim Menschen so sein wird. In der Maus können wir jeden Krebs heilen im Handumdrehen und keinen einzigen soliden Tumor beim Menschen. Wir haben gegen Malaria 30 bis 40 zu 100 Prozent wirksame Impfungen in der Maus und keine einzige im Menschen. Aus meiner Sicht bräuchte man keine Maus-Experimente mehr haben, wenn man von Toxizität-Tests absieht, um in den Menschen zu gehen. Sie sind häufig nicht sehr sinnvoll und zielführend und oft sogar irreleiten.
Und wie wird der Impfstoff angewendet? Als Nasenspray oder wird er in den Blutkreislauf injiziert?
Das ist eine intramuskuläre Verabreichung.
Kommen wir zurück zur Studie selbst. Jetzt wurde die Probandin 24 Stunden lang im Krankenhaus überwacht. Wie geht es weiter? Soll sie in Abständen ihr Allgemeinbefinden melden? Und wie weist man nach, dass sie vor dem Erreger auch wirklich geschützt ist?
Sie ist ständig mit uns in Kontakt, kann jederzeit alles berichten, schreibt auch zuhause auf, wie es ihr geht. Sie misst gewisse Vitalparameter und Temperatur. Dann gibt es in Abständen von zuerst wenigen Tagen und dann Wochen zehn bis zwölf Nachuntersuchungen und einen Monat nach der ersten Impfung gibt es eine zweite Impfung.
Und wie weist man nach, dass die Person gegen das SARS-Coronavirus-2 immun ist?
In der Phase eins der klinischen Prüfung wird die Sicherheit und Verträglichkeit einer Medizin bestimmt und zusätzlich bei Impfungen noch die Immunogenität, also Antikörper bestimmt und T-Zell-Reaktivität nachgewiesen. Darüber hinaus geht es nicht. In der Phase zwei wird die Dosis eingestellt, eventuell auch andere Zielgruppen als Probanden aufgenommen. Dann muss man sich einigen, wohin es gehen soll, wer es kriegen soll, in welcher Dosis und Verabreichungsform. Da gibt es dann auch erste Wirksamkeitsdaten. In der Phase drei der Prüfung geht es im Sinne einer goldenen standardisierten Studie darum zu zeigen, dass in der Placebo- und in der Serumgruppe unterschiedlich viel Covid-19 auftritt. Wenn der Unterschied sehr groß ist, dann kann der Impfstoff hundert Prozent wirksam sein und wenn er kleiner ist – entsprechend weniger. Das kann man erst in der Phase-3-Prüfung richtig sehen.
Sie haben von anderen Zielgruppen gesprochen, die man später hinzuzieht. Mit welcher haben wir es jetzt zu tun? Sind es vor allem junge, gesunde Leute?
Die ersten sind 18 bis 40 Jahre alt, aber wir haben jetzt schon angefangen, 40- bis 60-Jährige einzuschließen. Das ist die Probandenschaft für die Phase eins: 18- bis 60-Jährige, gesunde Freiwillige.
Und die schwierigeren Fälle, die eigentlich am meisten von Covid-19 betroffen sind, die kommen dann, wenn gesichert ist, dass es keine Toxizität gibt?
Wenn wir sicher sind, dass Verträglichkeit und Sicherheit in Ordnung sind, dann gehen wir auf die anderen Gruppen und das werden dann vor allem die über 65-Jährigen sein und solche mit Vorerkrankungen, aber auch Kinder. Letztlich muss man alle impfen, wenn wir am Schluss eine Herdenimmunität erzielen wollen, die ausreicht, um diese Erkrankung auch regional, vielleicht sogar global zu bekämpfen und vielleicht sogar wieder weg zu kriegen.
Nun werden im weiteren Verlauf der klinischen Studie deutlich höhere Probandenzahlen benötigt. Sie stehen im Grunde vor einer ähnlichen Situation auch bei der Hydroxychloroquin-Studie, dass es nicht genug Bedürftige gibt, da die Epidemie in Deutschland abebbt. Wie soll die mRNA-Studie weiter laufen, wenn das Infektionsgeschehen weiter abfällt?
Die Phase-1-Prüfung kann hier gut gemacht werden. Für die Prüfung der Wirksamkeit ist im Moment sind in der EU im Moment nur Schweden und vielleicht auch Portugal die einzigen Länder, in denen man das prüfen könnte. Wir können hier keine Phase-3-Studie machen, in der wir die Wirksamkeit sehen wollen, wenn es dabei bleibt, dass so wenige Fälle auftreten. Deswegen muss man dann weltweit denken und viele Zentren auch in Gebieten einschließen, die da liegen, wo es viele Fälle gibt. Zum Beispiel in Nord- und Südamerika, in manchen asiatischen Ländern, vor allem im arabischen Raum, aber auch in Afrika.
Gesetzt die Pandemie geht von selbst zurück, bevor der Impfstoff in großen Mengen produziert wird. Sind die ersten klinischen Studien mit mRNA-Vakzinen dann sozusagen ein Proof-of-Concept am Menschen? Immerhin können mRNA-Vakzine ganz allgemein nicht nur gegen das SARS-Coronavirus-2 eingesetzt werden.
Im Moment sieht es nicht so aus, als ob das von alleine wegginge. Im Gegenteil: Es gibt praktisch jeden Tag mehr Fälle als am Vortag weltweit gesehen. In der europäischen Union gibt es die einzige Ausnahme Schweden. Überall anderswo sieht es jetzt so aus, als ob wir jetzt den Fluch los wären. Aber das ist ein Trugschluss. Das kann und wird wieder kommen. Weltweit ist es im Vormarsch, das können und dürfen wir nicht vergessen. Selbst wenn es jetzt aufhörte, dann ist es schon einmal gut, eine Phase-1-, vielleicht sogar Phase-2-Prüfung eines Impfstoffes gehabt zu haben. Dann kann überlegen, wie man weitermacht, wenn es eventuell wiederkommt oder wiederaufflammt. Es gibt eine Möglichkeit zusätzlich zu einer großen Phase-3-Zulassungsstudie und das ist die kontrollierte humane Infektion. Ich bin gemeinsam mit zwölf Experten von der Weltgesundheitsorganisation beauftragt worden, eine solche kontrollierte humane Infektion zu entwickeln. Wir haben schon das Design dafür und die ersten Studien dazu werden in den USA umgehend beginnen. Dann wäre das eine Möglichkeit, auch die Wirksamkeit des Impfstoffes nachzuprüfen.
Heißt das, man infiziert geimpfte Menschen gezielt mit dem SARS-Coronavirus-2 und schaut, ob sie noch daran erkranken?
Das würde in relativ überschaubaren Gruppen, von jungen gesunden 20- bis 25-jährigen Probanden geschehen, die so gut wie sicher eine Infektion kriegen können. Man könnte einen Impfstoff in solchen Studien testen. Das ist bereits auf der Seite der Weltgesundheitsorganisation in einem rund hundert-seitigen Bericht nachzulesen und die ersten Studien sollen demnächst beginnen, so wie es auch bei anderen Infektionen gang und gäbe ist. Wir haben auch eine Malaria-Infektionsmodell entwickelt, das praktisch weltweit verwendet wird und das könnte auch bei Covid-19 klappen.
Das Interview mit Peter Kremsner zum Nachhören: