Der Bericht der Untersuchungskommission JIT zur MH17-Katastrophe bestätigt bereits zuvor gehegte Befürchtungen über eine Farce ohne Beweise und Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze. Die Wahrheit werden wohl erst kommende Generationen herausfinden.
von Wladislaw Sankin
Diese Woche förderte Schlüsselereignisse zutage hinsichtlich der Ermittlung zu den möglichen Urhebern und Verantwortlichen für die Katastrophe der Boeing MH17. Mittlerweile zeichnet sich offiziell ab, dass es mindestens zwei Versionen des Geschehens gibt – die des Internationalen Ermittlerteams aus den Niederlanden und jene der russischen Militärspezialisten. Die Sache ist allerdings nach wie vor sehr weit von dem entfernt, was man eine hinreichend nachvollziehbare Aufklärung bezeichnen könnte. Die Geschichte um den Abschuss des malaysischen Flugzeugs ist auf dem besten Weg, zur Affäre des Jahrhunderts zu werden.
"Enttäuschung" war jenes Wort, das die russische offizielle Reaktion auf den Abschlussbericht der Internationalen Ermittlerkommission (Joint Investigation Team, kurz JIT) auf den Punkt brachte. Andererseits: Man hätte auch nichts Anderes erwartet. Die von den USA nur wenige Stunden nach der Katastrophe vorgebrachte Beschuldigung Russlands wurde jetzt mittels aufwendiger Animationen illustriert und auf diese Weise in plastischer Form vorgeführt. Allerdings ohne Beweise, in deren Besitz die Amerikaner damals zu sein proklamiert hatten.
Die Argumente, die das fast ausschließlich aus westlichen Experten zusammengestellte Team vorlegte, beruhen zum großen Teil auf bereits von Bellingcat-Recherchen bekannten, vermeintlichen Video- und Fotobeweisen aus sozialen Netzwerken. Dabei benutzt das Recherchenetzwerk Materialien, die ihm offenbar vom ukrainischen Geheimdienst zugespielt worden sind, unter anderem nie auf ihre Echtheit überprüfte, angeblich abgehörte Telefonate. Völlig neu in der juristischen Praxis ist die enge Einbindung einer der verdächtigten Parteien selbst in die Ermittlung. Diese konnte deshalb auch weitgehend frei entscheiden, welche Materialien sie freigibt und hatte natürlich freie Hand für alle möglichen Manipulationen. Russlands Mithilfe wurde dagegen immer abgelehnt.
Diese gravierende Verletzung elementarer Anforderungen an eine unparteiische Verfahrensführung macht es grundsätzlich unmöglich, die Ergebnisse der Ermittlung ernster zu nehmen als beispielsweise die Moskauer Schauprozesse des Jahres 1938 – wobei es diesmal wenigstens keine "Selbstkritik" vonseiten der Beschuldigten gab. Die erwartungsgemäß dennoch oder gerade deshalb von den westlichen Medien als seriös und neutral gehypte Untersuchung ermöglicht jedoch nun weitere juristische Schritte des Westens, die Russland nicht ignorieren kann.
Deshalb bemüht sich seit 2015 auch der BUK-Hersteller Konzern Almas-Antei um eine Paralleluntersuchung, deren Ergebnisse er auch wiederholt medienwirksam präsentierte. RT Deutsch berichtete. Die Offenheit und die mathematische Präzision der auf Feldexperimenten und technischen Dokumentationen basierten Darstellungen von Almas-Antei kontrastierten die intrasparente Methodik des JIT. So berufen sich z.B. die Ermittler auf ein angebliches "heimliches" Experiment mit BUK-Raketen in Finnland, machen aber dessen Resultate inklusive der erforderlichen Messungen nicht publik.
Auf das Argument, eine Rakete, die aus dem von den Rebellen kontrollierten Gebiet abgefeuert worden wäre, hätte eine Geschwindigkeit von 750 m/Sek. nicht erreichen können, wie sie die abgefeuerte Rakete vor der Explosion entwickelt habe, gingen die Ermittler erst gar nicht ein. Ebenso ignorierten sie auch andere durch Beweise untermauerte Gegenargumente der russischen Raketenschmiede, etwa die durch ballistische Expertise gewonnene Erkenntnis, die Rakete - wäre sie wie behauptet aus dem Rebellengebiet abgefeuert worden - hätte andere Beschädigungen am Mantel der Flugmaschine hinterlassen.
Die beiden Ermittlerteams gingen offenbar auch von verschiedenen Raketenmodellen aus. Es ist seltsam, dass die Information, die vom Raketenhersteller selbst kommt, keine Spur im Bericht über die Raketen selbst findet. Dafür dürfen hingegen nicht namentlich benannte Netzwerkspezialisten aus dem Bellingcat-Stall über Nuancen der Waffenmodelle spekulieren.
Die Hinweise der Russen auf Fehler und Unstimmigkeiten in den vorläufigen Ergebnissen wurden allerdings nicht komplett ignoriert. Die entsprechenden kritischen Stellen im Bericht wurden immerhin gestrichen und mussten entsprechend zumindest bemerkt worden sein, dennoch brachten sie die Kommission nicht von ihrer falschen Spur ab.
Die Hauptstütze der holländischen Beweisführung sind jedoch ausgerechnet die Darstellungen aus den sozialen Netzwerken. Gekonnt zusammengestellt und animiert, sollten sie die abenteuerliche These untermauern, wonach Russland die BUK-Abschussrampe mit allen dazugehörigen Gerätschaften – immerhin drei Fahrzeuge - kurz über die Grenze auf das Territorium der Donezker Republik verfrachtete, um diese dann nach einem eintägigen Einsatz, der sich zufällig gerade mit dem Abschuss der Passagiermaschine überschnitt, wieder zurückzuholen. Und das waren nicht einmal manipulierte Bilder aus dem Jahr 2014, das waren komplett andere. Die Entlarvung der Manipulationen dieser und ähnlicher "Beweise" aus den sozialen Netzwerken ist entsprechend mittlerweile auch in Russland und auch anderswo zum Volkssport geworden.
Es wäre ja auch nicht so, dass die Beweisführung der russischen Seite seit Juli 2014 widerspruchlos hingenommen worden wäre. Es gab auch hier hin und wieder unterschiedliche Versionen, die russische Medien vorstellten. In diesem Zusammenhang waren auch diese Manipulationen auf den Leim gegangen. Aber kann man es einer Partei, die sich zu Unrecht beschuldigt fühlt, wirklich übelnehmen, nach allen entlastenden Materialen zu suchen - zumal dieser Partei der Zugang zu einer fairen Ermittlung vollständig verwehrt wurde?
Dass ein respektables internationales Gremium wie das von der niederländischen Staatsanwaltschaft beauftragte Joint Investigation Team zu solch einer unwissenschaftlichen Methodik greift und jegliche rechtsstaatliche Grundsätze zur Ermittlung einer Flugzeugkatastrophe ignoriert, zeigt, wie der Ansatz der Nutznießer dieser Kampagne aussieht. Und er offenbart die Methode und den Effekt einer globalen Verdummung, die offenbar von den herrschenden Kreisen auch gewollt ist. Wie man es bereits seit Beginn der Krise kennt, gilt einmal mehr: Je weniger Substanz die Beschuldigungen gegen Russland haben, desto aggressiver wird die Verleumdungskampagne.
Es macht Sinn, über die auffälligen Ähnlichkeiten der MH17-Story mit einem aus den "Northwood-Papers" der CIA bekannten Plan aus dem Jahr 1962 nachzudenken. Demnach sollte ein vorgetäuschter Flugzeugabsturz über Kuba einen Grund für eine Invasion der USA in dem abtrünnigen Land liefern. Ein dort wiedergegebener Gedanke lautet wie folgt:
Man kann einen Vorfall schaffen, der überzeugend zeigen würde, wie ein kubanisches Flugzeug ein ziviles Charterflugzeug attackierte und zum Absturz gebracht hätte. Dieses könnte von den USA aus nach Jamaika, Guatemala, Panama oder Venezuela fliegen. Kuba sollte dabei aber jedenfalls überquert werden. Die Passagiere können Studenten sein oder eine beliebige andere Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Interessen, damit sich ein Charterflug ohne Zeitplan rechtfertigen lässt."
Damals ist es zwar zu diesem konstruierten Casus Belli nicht gekommen. Die Folgen eines vermutlich gelungenen Einsatzes der gleichen Methodik sehen wir aber heute.
Trotz der "enttäuschenden" Schlussfolgerungen im Bericht des JIT kann man in Russland auch Anzeichen einer Erleichterung feststellen. Der Bericht wird in Talkrunden und Experten-Kommentaren auseinandergenommen und vernichtend kritisiert. Es ist auch so, als ob sich alle die Frage stellen: "War es das?".
Die jüngst veröffentlichten Primärdaten der Radarkontrolle und das Fehlen solcher aufseiten der Ermittler erzeugen zusätzlich das Gefühl der Überlegenheit hinsichtlich der eigenen Argumente mit Blick auf künftige Auseinandersetzungen, die bestimmt noch folgen werden. Die MH-17 Story lässt sich damit nahtlos in die Kette antirussischer Kampagnen der letzten Jahre einfädeln. Ob es um die Ukraine, die Doping-Affäre oder Syrien geht, folgen alle Beweisführungen zur Untermauerung der angeblichen russischen Bösartigkeit immer dem gleichen Muster: Beweise haben wir, aber wir zeigen sie Euch nicht.
So mutiert die Katastrophe mit knapp 300 Opfer zu einem weiteren Kapitel eines unsauber geführten geopolitischen Spiels und wird zu einer Angelegenheit, deren Aufklärung möglicherweise die kommenden Generationen auf sich zu nehmen haben werden.