Rund um die Welt ziehen Staaten neue technologische Möglichkeiten heran, um die Corona-Krise unter Kontrolle zu bekommen. Entsprechende Überwachungsmaßnahmen können aber, laut Snowden, meist von Dauer sein, da es schwierig sei, einmal angewandte Technologien wieder in zurück in die Mottenkiste zu verfrachten, wie er sich ausdrückte.
„Notfallmaßnahmen, die speziell heute genehmigt werden, tendieren dazu, kleben zu bleiben. Der Notfall tendiert dazu, ausgedehnt zu werden. Die Behörden beginnen sich damit anzufreunden, ein wenig mehr Macht zu erhalten. Sie beginnen, das zu mögen”, meint Snowden.
Er fürchtet, dass die Regierungen nach Beendigung der Krise neue Gesetze erlassen könnten, die die für den Notfall erstellten Regeln dauerhaft etablieren und auf neue Einsatzmöglichkeiten für hochentwickelte Technik setzen könnten.
Als Beispiel nannte Snowden die Analyse von Standortdaten. Das sei natürlich ein wirksames Mittel, um die Ausbreitung des Virus und der infizierten Menschen zu erheben. Aber es könnte auch verlockend sein, mit einer verschärften Überwachung der Handydaten künftig Terroristen oder sonstige angebliche Staatsfeinde aufspüren zu wollen.
Das Projekt selbst steckt noch in den Kinderschuhen. Zuletzt diskutierte die eigens zusammengestellte Taskforce verschiedene Einsatzszenarien, die von der Telemedizin bis zur Kartierung von Krankheiten reichen. Laut dem geschäftsführenden Partner der Risikokapitalfirma Hangar, Josh Mendelsohn, wird das Unternehmen der US-Regierung in den kommenden Tagen seine Empfehlungen vorlegen. Hangar unterstützte die US-Regierung demnach dabei, das Projektkomitee aufzubauen.
Weitere in den USA ansässige Technologieunternehmen entwickelten bereits eigene Instrumente zur Eindämmung von COVID-19. Anfang der Woche eröffnete Verily, eine Tochtergesellschaft von Googles Alphabet, ein Webportal, das die Bürger Kaliforniens beim Corona-Testprozess unterstützen soll. Während Microsoft vor wenigen Tagen Interessierten seinen Corona-Virus-Tracker vorstellte, entwickelte Google eine Webseite, die Informationen über die Krankheit zusammenträgt, einschließlich der Symptome und Risiken.
Besonders besorgt zeigte sich Snowden angesichts der Möglichkeit, Überwachungsmaßnahmen mit Künstlicher Intelligenz zu verknüpfen. Die daraus folgende Effizienz stelle eine Bedrohung für die persönliche Freiheit dar. In der Corona-Krise setzt etwa China Künstliche Intelligenz ein, um Menschen mit Fieber zu identifizieren. In Russland wird KI verwendet, um Menschen ausfindig zu machen, die gegen Quarantäneregeln verstoßen. Selbst das durch kontroverse Sammlung von Social-Network-Daten in Verruf geratene KI-Unternehmen Clearview wird derzeit von Regierungen konsultiert und soll dabei helfen, Corona-Infizierte aufzuspüren.
Die deutsche Politik setzt bislang vor allem auf Maßnahmen der sozialen Isolation, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Im Gespräch ist jedoch laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) auch die Nutzung von Mobilfunkdaten, um Kontaktpersonen von Infizierten besser identifizieren zu können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ins Spiel gebracht, die eine Handyortung solcher Kontaktpersonen ermöglicht hätte. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erteilte den Plänen zumindest vorerst eine Abfuhr.
Besonders autoritäre Regime, die Zugang zu Daten und fortschrittlichen Analysewerkzeugen vorfinden, seien dafür prädestiniert, neu erlangte Fähigkeiten gegen ihre eigene Bevölkerung einzusetzen, meint Snowden. „Wir nähern uns dieser Situation täglich mehr, wenn wir unsere Entscheidungen in Panik fällen.” Es sei deshalb notwendig, technische Kompetenzen von Staaten genau zu beobachten und abzuwägen, ob man sie für eine vorübergehende Krise in Kauf nimmt, um möglicherweise dauerhaft damit überwacht zu werden.
sm/ap