Die westlich orientierten russischen Liberalen versuchen, die Korruption zum Wahlkampfschlager zu machen. Doch der Kreml gibt sich gelassen. In den russischen Regionen kämpfen derweil viele Kandidaten mithilfe "schwarzer Propaganda" um ihre persönliche Existenz. RT Deutsch über die Untiefen des Wahlkampfs in Russland.
Ulrich Heyden, Moskau
Am 18. September wird die Duma neu gewählt. Zum ersten Mal seit 2003 wird wieder es wieder gemischte Wahlen geben. Das bedeutet, die Bürger der Russischen Föderation werden die eine Hälfte der 450 Duma-Abgeordneten wieder über Parteilisten, die andere Hälfte über Direktmandate wählen. Parallel zu den Duma-Wahlen finden auch Wahlen der Gouverneure und der Kommunalparlamente statt.
Von einem landesweiten Wahlkampffieber kann, obwohl der Urnengang stetig näher rückt, noch keine Rede sein. Die Wahlen könnten aber durchaus Überraschungen bereithalten. Im Gegensatz zur letzten Duma-Wahl 2011, als nur sieben Parteien antraten, kandidieren diesmal 14 Parteien zu den landesweiten Parlamentswahlen, darunter viele kleine, neugegründete Oppositionsparteien mit linker, rechter oder liberaler Ausrichtung. Diese kritisieren den Kreml scharf, anders als die drei alteingesessenen Oppositionsparteien in der Duma – KPRF, Liberaldemokraten und Gerechtes Russland. Diese vermeiden zu konfrontative Aussagen gegenüber der Regierung und der Mehrheitspartei Einiges Russland. Die Sperrhürde für den Parlamentseinzug wurde von zuvor sieben auf nunmehr fünf Prozent gesenkt.
Bisherige Duma-Parteien werden ihre Position im Parlament behaupten können
Die Ergebnisse einer Anfang August veröffentlichten Umfrage des Lewada-Instituts unter Personen, die sich bereits entschieden haben, zur Wahl zu gehen, legen die Annahme nahe, dass die Kreml-nahe Partei Einiges Russland erneut mit einem Wahlsieg rechnen kann. Die von Premierminister Dmitri Medwedew geführte Partei wird der Umfrage zufolge 57 Prozent der Stimmen bekommen. Bei den Duma-Wahlen 2011 waren es noch 49,32 Prozent gewesen.
Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation unter ihrem Langzeitvorsitzenden Gennadi Sjuganow und die Liberaldemokratische Partei des Nationalisten Wladimir Schirinowski können mit jeweils 15 Prozent der Stimmen rechnen. 2011 bekamen diese Parteien 19,19 bzw. 11,67 Prozent der Stimmen. Die sozialdemokratische Partei Gerechtes Russland würde nach der Lewada-Umfrage nur noch fünf Prozent der Stimmen bekommen, damit aber immerhin die Sperrhürde noch überwinden. Im Jahr 2011 wurde Gerechtes Russland noch mit 13,24 Prozent der Stimmen in die Duma gewählt.
Die kleinen linken, liberalen und rechten Parteien, die bisher nicht in der Duma vertreten sind, werden der Umfrage zufolge jeweils nicht mehr als ein Prozent der Stimmen bekommen. Nur die rechtsliberale Partei Parnas unter dem ehemaligen Premierminister Michail Kasjanow käme auf zwei Prozent der Stimmen.
Der Fernsehkanal Rossija 24 hatte im Vorfeld dieser Wahlen Talk-Shows organisiert, in denen auch die Vertreter der Kleinparteien zu Wort kommen. Die Talk-Shows werden "Debatten" genannt, deren Moderation erscheint jedoch als ungeschickt. Anstatt tatsächlicher Debatten geben die Parteienvertreter nur der Reihe nach ihre Statements ab, fast wie auf einem Jahrmarkt, auf dem jeder seine Ware anpreist.
Nur selten schafft es eine Parlamentsdebatte in die Abendnachrichten
Das Ansehen des Parlaments ist in Russland wesentlich geringer als jenes des Präsidenten, der nach der Verfassung eine dominierende Rolle innehat. Zudem ist die Debattenkultur im russischen Parlament nicht besonders stark ausgeprägt. Nur selten schaffen es die Debatten mal in die Abendnachrichten. Die meisten Russinnen und Russen sehen es deshalb eher als eine bloße Bürgerpflicht, wählen zu gehen.
Um die Bürger zur Wahl zu mobilisieren, lassen sich die Wahlhelfer von Einiges Russland einiges einfallen: Wahlhelfer machen Hausbesuche, bei denen sie sich nach den Sorgen und Nöten der Bürger erkundigen. Gleichzeitig werden die Telefonnummern der Befragten notiert, offenbar im Hinblick auf einen "Erinnerungsanruf" am Wahltag.
Prowestliche Oppositionsparteien finden sich nur unter den kleinen linken, liberalen und rechten Parteien außerhalb des Parlaments, die den Wahlumfragen zufolge aber nur zwischen ein und zwei Prozent der Stimmen bekommen und damit auch weiterhin außerparlamentarisch bleiben werden.
Putin mit Hitler verglichen
Besonders oppositionell präsentiert sich die rechtsliberale Partei Parnas. Die drei Spitzenkandidaten der Partei sind Michail Kassjanow – von 2000 bis 2004 Premierminister Russlands - sowie die beiden rechten Populisten Wjatscheslaw Malzew - der bereits mehrfach durch antisemitische Äußerungen auffiel – und der Geschichtsprofessor Andrej Subow, welcher 2014 die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation mit der Annexion von Teilen der Tschechoslowakischen Republik durch Hitler 1938 gleichsetzte.
In einer Wahlkampf-Talkshow behauptete der Professor jüngst, in Russland herrsche immer noch ein "kommunistisches Regime", denn Wladimir Putin habe sich 2010 zur "sowjetischen Tradition" bekannt. Dabei sei Lenin ein "Verbrecher" gewesen und es sei ein Übel, dass nach wie vor so viele Straßen nach ihm benannt sind. Parnas-Spitzenkandidat und Rechtspopulist Wjatscheslaw Malzew erklärte in einer Wahlkampf-Talkshow, Wladimir Putin habe ein "korruptes Regime" geschaffen, weshalb man versuchen müsse, ihn durch ein Amtsenthebungsverfahren zu entmachten.
Kreml zieht Konsequenzen aus der Protestbewegung 2011
Aus der Protestbewegung gegen vermeintliche Wahlfälschungen bei der Duma-Wahl im Dezember 2011 hat der Kreml Konsequenzen gezogen. Das Wahlrecht wurde reformiert und der Kampf gegen korrupte Spitzenbeamte verstärkt. Westliche Medien erweckten 2011/12 den Eindruck, dass die Partei Einiges Russland die Duma-Wahl nur infolge von Fälschungen gewonnen hätte, doch Meinungsumfragen zeigten, dass die Kreml-nahe Partei bei den Wahlen auch ohne die beanstandeten Unregelmäßigkeiten deutlich gesiegt hätte.
Jetzt, wo die Duma-Wahlen und die Präsidentschaftswahlen 2018 immer näher rücken, befinden sich der Kreml und die liberale, westliche orientierte Opposition in einem Rennen, die an jenes zwischen dem Hasen und dem Igel erinnert. Immer, wenn die Liberalen eine neue Enthüllung planen, kann der Kreml von sich behaupten: "Wir sind schon da. Um den Fall kümmern wir uns schon." So setzte Putin bereits im vergangenen Jahr zahlreiche Gouverneure und Spitzenbeamte ab, weil sie in Verdachtsfälle der Korruption verwickelt waren. Zuletzt traf es den Chef der russischen Zollbehörde.
Nachdem der stellvertretende Parnas-Vorsitzende Ilja Jaschin am Dienstag seinen Bericht über die angeblich "kriminelle" Partei Einiges Russland vorgestellt hatte, konterte der stellvertretende Vorsitzende der Regierungspartei, Konstantin Masurewski, der Jaschin-Bericht sei eine "einfache Zusammenfassung lange bekannter Fakten". Einiges Russland führe einen ernsthaften Kampf gegen die Korruption und fordere von seinen Mitgliedern sogar mehr als das Gesetz.
Der Kreml will eine Wiederholung von Wahlfälschungen, wie es sie 2011 gegeben haben soll, auf jeden Fall verhindern. Zu diesem Zweck berief Wladimir Putin im März die bekannte Politikerin Ella Panfilowa, die auch in den liberalen Kreisen Moskaus angesehen ist, zur neuen Leiterin der Zentralen Wahlkommission. Ihr Vorgänger, Wladimir Tschurow, hatte 2011 alle Wahlfälschungsvorwürfe bestritten.
Panfilowa, kaum im Amt, schritt sofort zur Tat: Im April blies sie wegen des Verdachts auf Wahlfälschungen die Wahlen zum Kommunalparlament im westlich von Moskau gelegenen Vorort Barchiwa ab. Der nationalistische Blogger Aleksej Nawalni, einer der Führer der Protestbewegung von 2011, wollte die Ermittlungen wegen einer möglichen Wahlfälschung in Barwicha eigentlich groß herausbringen, um sich als einziger echter Demokrat Russlands zu präsentieren. Doch Panfilowa stahl ihm die Show.
Zahlreiche Neuerungen im Wahlrecht
Dmitri Medwedew (Präsident Russlands von 2008 bis 2012) ordnete noch unter dem Eindruck der Proteste gegen vermeintliche Wahlfälschungen 2011 zahlreiche Neuerungen an. Bereits zu den Präsidentschaftswahlen 2012 gab es in allen Wahllokalen Videokameras. Außerdem wurde das Registrierungsverfahren für die kleinen Parteien vereinfacht, was zur Folge hat, dass bei der Duma-Wahl in diesem Jahr 14 Parteien auf dem Wahlzettel stehen. Die 2005 von Putin abgeschaffte Wahl der Gouverneure wurde wieder eingeführt, was die politische Debatte in den russischen Regionen belebte.
Medwedew will 1.800 neue Schulbusse für russische Regionen
Wenige Wochen vor der Duma-Wahl bemüht sich auch der Premierminister und Parteivorsitzende von Einiges Russland, Dmitri Medwedew, der eigentlich zum liberalen Flügel in der russischen Elite gehört, um ein soziales Image. Den Rentnern hat er eine Einmalzahlung in Höhe von 67 Euro als Inflationsausgleich zugesagt. Mehrere Minister seien gegen diese Einmalzahlung gewesen, aber er habe sich durchgesetzt, erklärte Medwedew stolz.
Medwedew war jüngst auf einem Sommer-Jugendlager jedoch auch eine missverständliche Äußerung herausgerutscht, die jetzt die Opposition im Wahlkampf gegen ihn benutzt. Auf die Frage, wie man von dem in Russland verbreiteten geringen Lehrergehalt überhaupt leben könne, meinte der Premier, man könne ja den Beruf wechseln und in die Wirtschaft gehen.
Mittlerweile machte der Premierminister jedoch klar, dass ihm die Bildung wirklich am Herzen liegt. Medwedew regte den Kauf von 1.800 neuen Schulbusse für Dörfer und Kleinstädte an.
Außerdem setzte Medwedew überraschend den wegen seiner Reform der Abiturprüfung unbeliebten Bildungsminister Dmitri Liwanow ab. Die neue Bildungsministerin, Olga Wassiljewa, kommt aus dem konservativ-patriotischen Lager. Ob sie die zahlreich von Liwanow begonnenen "Effektivierungsmaßnahmen" im Bildungsbereich weiterführen wird, ist bisher unklar.
Verleumdungsblatt "Wir fressen Russland"
Für Tausende von Abgeordneten und ihre Mitarbeiter hängt von den Wahlen auch das eigene Schicksal ab. Wie aus einem Bericht des Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen (IGSO) hervorgeht, der Anfang August im Moskauer Haus des Journalisten vorgestellt wurde, werden bei den diesjährigen Wahlen oft Methoden der "Tschornyj Piar" ("schwarzen PR") eingesetzt, das heißt, der Gegner wird durch Unterstellungen in ein schlechtes Licht gerückt.
Derartige Methoden werden in den russischen Regionen gegen alle vier in der Duma vertretenen Parteien angewandt, etwa gegen Einiges Russland in Irkutsk und gegen die KPRF in Mari El und Orenburg, berichtete IGSO-Leiter Boris Kagarlitsky bei der Präsentation des Berichts. In mehreren russischen Regionen wurde ein gegen die Partei Gerechtes Russland gerichtetes Verleumdungsblatt unter dem klingenden Namen "Saschrjom Rossija", ("Wir fressen Russland") verteilt. Die Führung von Gerechtes Russland demonstrierte Gelassenheit und erklärte, bei der "Partei der Macht" sei "Gerechtes Russland" eben besonders gefürchtet.
Meist geht es bei dem Einsatz von "schwarzer PR" nicht um ideologische Auseinandersetzungen, sondern um persönliche Existenzfragen, heißt es im IGSO-Bericht. Unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise sei der Konkurrenzkampf unter den Kandidaten stärker geworden. Es sei eine Situation entstanden, in der die die Kandidaten massenhaft begännen, "die Parteien zu wechseln und versuchen, sich einen Platz für eine Kandidatur zu suchen". Der Wettkampf zwischen den Kandidaten sei "wichtiger geworden als der Wettkampf zwischen den Parteien", heißt es in dem Bericht.
Oft werde die "schwarze Propaganda" auch von Gouverneuren eingesetzt, die Angst haben, dass ihre Macht durch populäre Kandidaten in ihrer Region eingeschränkt wird. Kuriose Blüten treibt diese Form von Machterhalt in der südsibirischen Region Orenburg. Dort ließ die Gebietsverwaltung den Wahlkampfbus von Sergej Katasonow, einem Kandidaten der Liberaldemokratischen Partei, durch einen roten Feuerwehrwagen und mehrere gelbe Schulbusse blockieren. Über den Vorfall berichtete das Internetportal Orenburgskaja Politika in einer Fotoreportage.