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Thüringen: Rechter Putsch – Ramelows Erbe

swaine1988
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Autor: RT deutsch
Quelle: https://deutsch.rt.com/meinung...
2020-02-06, Ansichten 592
Thüringen: Rechter Putsch – Ramelows Erbe

CDU und AfD haben einen FDP-Politiker an die Macht gehievt. Auch wenn der mittlerweile wieder zurückgetreten ist: Das war geplant und absehbar. Rot-Rot-Grün ist daran keineswegs unschuldig. Trotzdem wäre Ramelow 2.0 für die "kleinen Leute" das geringere Übel gewesen.

von Susan Bonath

Die Abwahl des Linke-Politikers Bodo Ramelow als Ministerpräsident von Thüringen hat bundesweit für Empörung gesorgt. Mit Hilfe der CDU und AfD kam der FDP-Mann Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang an die Macht. Seine Partei hatte bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen. Von einem "Rechtsputsch" ist die Rede, von einer konzertierten Aktion des neoliberal-konservativ-faschistischen Lagers. Vergleiche mit dem Aufstieg der NSDAP in der Weimarer Republik wurden gezogen. Was ist da dran, und wie kam es dazu?

Rechtes Lager plante Abwahl Ramelows

In der Tat: Die Wahl Kemmerichs war kein Zufall. Es war kraft des Ergebnisses der Landtagswahl zu erwarten, dass Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen keine absolute Mehrheit erhalten würde, die aber erforderlich gewesen wäre. Es war auch klar, dass die CDU und die FDP keinen AfD-Mann gewählt hätten. Und dann einigte man sich eben auf Kemmerich, um ihn mit der eigenen Stimmenmehrheit ins Amt zu hieven. Denn im dritten Wahlgang kam es nur noch darauf an, wer die meisten Stimmen hat.

Bereits im November vergangenen Jahres hatte es einen Schriftwechsel der AfD mit der FDP gegeben, in dem es um den Umgang mit dem Wahlergebnis ging. Da ist es kein Wunder, dass einige den "Putsch" im vorab witterten. So twitterte der SPD-Politiker Wolfgang Tiefensee, der zuletzt im Kabinett Ramelow Minister für Wirtschaft und Wissenschaft war, kurz vor dem Wahlgang am Morgen des 5. Februar:

Sehr geehrter Herr Kemmerich, ist es wahr, dass Sie sich mit den Stimmen der AfD zum MP wählen lassen und dann die SPD-Minister zum Bleiben auffordern wollen? Welch ein politischer Dammbruch und welch eine Anmaßung.

Rückblick: Erster Parlamentssieg der NSDAP in Thüringen

Auch der historische Vergleich ist nicht abwegig. So feierte die NSDAP in Thüringen nach der Landtagswahl am 8. Dezember 1929 ihren ersten parlamentarischen Sieg. Der Landtag wählte Wilhelm Frick zum ersten NSDAP-Minister Deutschlands. Am 23. Januar zog er als Oberhaupt in Thüringens Innen- und Volksbildungsministerium ein.

Von dieser Position aus begann er, die faschistische Diktatur vorab in Thüringen zu errichten. Er säuberte zunächst den gesamten Beamtenapparat und besetzte alle wichtigen Posten mit NSDAP-Leuten. Dann verbot er bestimmte Bücher für sämtliche Schulen und Bibliotheken des Landes und führte Schulgebete ein, um "eine Verseuchung des deutschen Volkstums durch fremdrassige Kulturen (zu) verhindern". Schließlich ließ er auch Museen von "entarteter Kunst" säubern.

Im Polizeiapparat und der Verwaltung tauschte Frick von da an nach und nach die Beamten gegen NSDAP-Mitglieder und -anhänger aus. Bis 1933 gelang es der Hitler-Partei auf diese Weise, speziell das kleinbürgerliche Milieu in Thüringen an sich zu binden. Eine große Rolle spielte dabei wohl dessen Angst, so kurz nach dem Ersten Weltkrieg durch die Wirtschaftskrise erneut alles zu verlieren.

CDU, FDP und AfD: Marktreligiöse unter sich

Dass neoliberale, konservative und faschistische Kräfte im Jahr 2020 abermals zusammenarbeiten, um die Macht zurückzuerobern, verwundert ebenfalls nicht. Das Thema, wie "ein linker Ministerpräsident zu verhindern" sei, spielte sowohl bei der CDU und der FDP als auch bei der AfD nicht erst seit dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse eine Rolle.

Mehr noch: Die drei Parteien verbindet viel Inhaltliches. So sind sowohl die FDP, die einst über Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Ex-NSDAP-Funktionäre in ihren Reihen beherbergt hatte, als auch die AfD ein Kind der marktradikalen Hayek-Gesellschaft. Auch viele CDU-Mitglieder gehören dieser an. Die Hayek-Gesellschaft wiederum ist ein Kind der Mont Pèlerin Society (MPS). Deren Gründer, Friedrich-August von Hayek, gilt als der Urvater des Neoliberalismus. Er predigte, wie seine Thinktanks noch heute, die Religion von der Allmacht des Marktes, der geleitet sei durch die Unternehmer, denen sich jeder Besitzlose zu unterwerfen habe.

AfD und FDP: Zwei "Mövenpick-Parteien"

Ganz einig waren sich die Mitglieder der drei Parteien freilich nicht. So kam es um 2015 zu einer Austrittswelle aus der Hayek-Gesellschaft von zahlreichen FDP- und einigen CDU-Mitgliedern, darunter beispielsweise der FDP-Chef Christian Lindner sowie Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln sowie im Wirtschaftsrat der CDU aktiv. Grund für die Austritte war eine Ansammlung von zahlreichen AfD-Mitgliedern in der Hayek-Gesellschaft und deren rassistische Positionen.

Ihre marktradikale Denkweise haben die ausgetretenen CDU- und FDP-Politiker mit ihrem Austritt freilich nicht in dem Thinktank zurückgelassen. Dafür reicht ein Blick in die Bundestagsdebatten. Egal ob es um die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, eine sanktionsfreie Grundsicherung, mehr Mitbestimmung für Lohnbeschäftigte, höhere Mindestlöhne oder Renten geht: CDU, FDP und AfD geißelten in den letzten Jahren gleichermaßen derlei soziale Anträge von links als "Sozialismus" oder mindestens "unbezahlbar".

Das FDP und AfD sich inhaltlich besonders nahe stehen, wenngleich erstere ihren Rassismus etwas leiser unter die Leute tragen mag, zeigt eine weitere Gemeinsamkeit: Die FDP erlangte einst Berühmtheit als sogenannte "Mövenpick-Partei". Der Eigentümer der Hotel- und Gastronomiekette Mövenpick, August von Finck, war nämlich vor Jahren der Großspender der FDP schlechthin. Dank der Milliarden machte sich die Partei dann auch auf, seine Wünsche zu erfüllen. Zusammen mit der CDU boxte die FDP somit die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen im Bundestag durch.

Doch seit 2013 tauchte von Finck Junior, dessen Vater seinerzeit Adolf Hitler unterstützt hatte, in einem anderen Zusammenhang auf: als Großspender der AfD. Zuvor hatte er neben der FDP auch der CSU und einem rechtslibertären "Bund freier Bürger" einige Millionen zukommen lassen.

Die Linke als Mitverwalterin des kapitalistischen Systems

An der Situation in Thüringen ist die Partei von Bodo Ramelow derweil nicht völlig unschuldig, auch wenn sie bei der Landtagswahl Ende Oktober 2019 erneut die meisten Stimmen, mit 31 Prozent sogar etwas mehr als 2014, ergattern konnte. Ihre Koalition mit der SPD und den Grünen hat die Linkspartei nicht nur endgültig ins bürgerliche Lager katapultiert. Sie hat auch deutlich gezeigt, wie weit sich eine Partei von ihren eigenen, auf Bundesebene und anderswo propagierten Forderungen entfernen kann, wenn sie zu viele Kompromisse mit dem Kapital eingeht.

Und Kompromisse ist Ramelow so viele eingegangen, dass man schon von einem Verrat an der linken Wählerschaft und von einer völligen Abkehr linker Ideale sprechen kann. Denn links ist nicht in erster Linie ein politischer Führungsstil, sondern eine Herzenseinstellung.

Links sein bedeutet per Definition, alle Menschen als gleichwertig anzuerkennen, sich ausnahmslos auf die Seite der Unterdrückten, Marginalisierten, Verfolgten und Ausgebeuteten sowie gegen die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu stellen. Das schließt das schnöde Verwalten der kapitalistischen Verhältnisse aus. Gemessen daran, war Ramelows Politik alles andere als links.

Unehrliche Politik unter linkem Deckmantel

Weder hat er sich für Hartz-IV-Bezieher eingesetzt, die von Thüringer Jobcentern hart sanktioniert worden waren, noch hat er Abschiebungen von Familien mit kleinen Kindern abgewehrt, die schon lange in Deutschland lebten. Unter seiner Regie tummelte sich die militante Naziszene wie eh und je im Mutterland des NSU-Terrors. Auch der tief in dieses Milieu verstrickte Verfassungsschutz ist weiterhin aktiv, obwohl die Linkspartei ihn doch eigentlich abschaffen wollte. Und nicht zuletzt war Ramelow gern gesehener Gast im Rüstungskonzern Jenoptik.

Wer so viele Kompromisse mit dem bürgerlichen Verwalterlager eingeht, kommt rechts wieder heraus. Vor allem zeigt er deutlich: Der Kapitalismus ist auf bürokratischer Verwaltungsebene eben nicht zu bändigen. Und das spüren natürlich auch die Opfer dieser Wirtschaftsordnung, die dann irgendwann auch eine Linkspartei – zurecht – nicht mehr als Vertreterin ihrer Interessen wahrnehmen.

Glaubwürdig ist indes nur, wer zu seinen propagierten Positionen steht und danach handelt. Das schließt ein, ehrlich zu sagen, dass das für immer mehr Menschen destruktive und Angst einflößende System parlamentarisch nicht verändert werden kann, solange niemand die Übermacht des religiös verehrten Marktes bremst, sprich: die Eigentums- und Machtverhältnisse angreift.

Wenn Arbeiter marktradikale "Schlächter" feiern

Dennoch ist es nur schwer zu verstehen, dass durchaus eine große Anzahl Lohnabhängiger einen solchen rechten Putsch, mit dem der FDP-Mann Kemmerich an die Macht gehievt wurde, in Online-Kommentarspalten und in den sozialen Netzwerken geradezu feiert.

Auch das erinnert an früher, als Arbeiter begannen, der NSDAP nachzulaufen, also jener Partei, die 1933, kaum an der Macht, die Gewerkschaftshäuser stürmen, Sozialdemokraten und Kommunisten verhaften ließ, um anschließend alle Arbeiterorganisationen zu verbieten.

Wenn Arbeiter die marktradikalste Offensive bejubeln, ist das in etwa so, als würden Schafe ihren Schlächter zu ihrem König erklären, und dies einfach deshalb, weil der ihnen Zucht, Ordnung und sicheres Futter versprochen und versichert hat, die schwarzen Schafe zuerst zu schlachten. Wer auch immer Wert auf soziale Mindeststandards legt und einen vollständig herrschenden Markt nicht will, muss Ramelow dann doch als kleineres Übel begreifen. Der Faschismus hadert nicht. Wer ihm am Ende zum Opfer fallen kann, ist anfangs nicht bekannt. So war es in der Geschichte, so wird es auch im 21. Jahrhundert sein.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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