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Der lange Weg zur Identität: Eine Reise von Bremerhaven nach Kaliningrad

swaine1988
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Autor: RT deutsch
Quelle: https://deutsch.rt.com/gesells...
2020-02-02, Ansichten 930
Der lange Weg zur Identität: Eine Reise von Bremerhaven nach Kaliningrad

Anlässlich einer Forschungsreise in das russische Kaliningrad machte der Arbeitsrechtler Dr. Rolf Geffken einige spannende Beobachtungen, die insbesondere für die von deutscher Seite eingeschlafenen Städtepartnerschaften mit Bremerhaven, Kiel und Rostock von Interesse sind.

von Dr. Rolf Geffken

Wege und Grenzen

Eine Reise in das russische Kaliningrad, ehemals Königsberg, Partnerstadt der deutschen Hafenstädte Rostock, Kiel und Bremerhaven, lohnt sich. Aber sie ist beschwerlich und zugleich: anachronistisch. Ursache ist der gegen das Land gerichtete Boykott der EU, in dessen Folge 2014 die Zugverbindung Berlin-Kaliningrad gekappt wurde. Seitdem gibt es – abgesehen von umständlichen Flug- und Schiffsverbindungen – nur noch die Möglichkeit, mit dem Auto die Stadt und ihre Menschen zu besuchen: mit dem Bus oder dem Taxi (!) von Berlin aus oder mit dem eigenen Pkw.

Wer – nachdem er ein Visum erhalten hat – mit dem eigenen Pkw etwa von Norddeutschland aus nach Kaliningrad fahren will, der wählt entweder den Weg über die Ostseeautobahn von Lübeck bis ins polnische Stettin oder fährt von dort aus weiter über Köslin entlang der Ostseeküste nach Danzig, um von dort über Elbing bei Mamonowo oder bei Grzechotki die russische Grenze zu überqueren. Es empfiehlt sich in jedem Fall, den meist weniger frequentierten neuen Übergang bei Grzechotki zu benutzen.

Die Gesamtentfernung beträgt etwa von Bremerhaven aus ca. 1.100 Kilometer. Die Strecke in Polen hat den Charakter einer Landstraße. Im ehemaligen Ostpreußen verläuft sie auf russischer Seite ab dem Kontrollpunkt Grzechotki und auf polnischem Gebiet auf der alten Trasse des noch vor dem Zweiten Weltkrieg hergestellten Teilstücks der Autobahn Königsberg-Berlin.

Etwa genauso lang ist die Entfernung über Berlin, Küstrin, das ehemalige Landsberg, Konitz und Marienburg auf der alten "Reichsstraße 1", heute die polnische Fernstraße Nr. 22. Die Kontrollen am Grenzübergang sind auf russischer Seite umfassend und trotzdem routiniert und zügig. Auf der Hinfahrt hatte der Verfasser am Kontrollpunkt Grzechotki ("Mamonowo II") einen Aufenthalt von nur etwa zwei Stunden. Die Fahrt auf russischem Gebiet führt durch eine fast menschenleere Landschaft schnell und zügig ans Ziel.

Der Verkehr 

Der Straßenverkehr in Kaliningrad ist vor allem zur Rushhour sehr dicht. Die Busse – darunter viele Trolleybusse auch neuerer Bauart – sind regelmäßig voll besetzt. Obwohl die Stadt mit fast 500.000 Einwohnern keine U-Bahn und kein S-Bahn-Netz besitzt, wurden Straßenbahnlinien stillgelegt. Die Triebfahrzeuge wurden zwar teilweise erneuert, aber ein Investitionsbedarf ist unverkennbar.

Der frühere Nordbahnhof existiert nicht mehr. Der Eisenbahnverkehr verläuft vorwiegend über den ehemaligen Hauptbahnhof. Allerdings fahren dort keine Züge mehr Richtung Danzig oder gar Berlin ab. Fernzüge fahren nach Petersburg und Moskau, und zwar über eine durch Litauen verlaufende Transitstrecke. Regionalzüge fahren ins ehemalige Pillau (Baltijsk) an die Ostsee oder nach Gumbinnen und Tilsit (an der Grenze zu Litauen).

Die Lage Kaliningrads

Nach der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion wurde das Gebiet um Kaliningrad völlig von seinem natürlichen Hinterland getrennt und ist heute vollständig von EU-Außengrenzen umgeben. Im Rahmen der "Zwei-plus-Vier"-Gespräche von 1990 soll ein Vertreter der Sowjetunion dem Leiter des politischen Referats der deutschen Botschaft "Verhandlungen" über Kaliningrad angeboten haben. Dokumentiert ist das nicht. Die deutsche Seite soll darauf nicht eingegangen sein, denn eine solche Veränderung des Gebietsstatus des ehemaligen Nordostpreußens hätte mit Sicherheit zu erheblichen Problemen im Verhältnis zu Polen geführt.

Umgekehrt birgt der jetzige Status Probleme, solange es zwischen Russland und den beteiligten Nachbarländern Polen und Litauen kein politisches Einvernehmen gibt. Beide Nachbarn gehören der EU und der NATO an und haben ein angespanntes Verhältnis zu Russland. Die baltischen Staaten vor allem deshalb, weil sie den Bewohnern russischer Nationalität grundsätzlich die Staatsbürgerschaft verweigern. Polen, weil es aus innenpolitischen Erwägungen heraus eine engere Kooperation mit Russland wegen des Gebiets Kaliningrad ablehnt. 

Bis zur Auflösung der Sowjetunion war der "Oblast" Kaliningrad weitgehend militärisches Sperrgebiet. Noch heute sieht man vor allem in Küstennähe zahlreiche Strecken bewachter Militäranlagen. In den Straßen Kaliningrads ist Militär durchaus präsent (mehr als die Polizei). Aber das Territorium ist heute – entgegen vielfachen Gerüchten im Westen – weitgehend jedermann zugänglich. Darunter auch die sogenannte "Frische Nehrung", die von Baltijsk aus mit der Fähre erreichbar ist.

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Den enormen wirtschaftlichen Problemen, die die Privatisierung der sowjetischen Staatswirtschaft nach der Wende verursachte, begegneten die politisch Verantwortlichen unter anderem mit dem Versuch, das gesamte Gebiet vor allem für ausländische Investoren zur "Sonderwirtschaftszone" zu erklären. Günstige Rahmenbedingungen sollten Investoren anlocken. Dieser Versuch blieb anfangs ohne Wirkung, wurde aber nach einem Gesetz aus dem Jahre 2006 schließlich erfolgreich durchgeführt. Inzwischen haben das deutsche Automobilunternehmen BMW und das koreanische Unternehmen KIA dort Produktionsstätten aufgebaut und profitieren zum Teil erheblich von den bestehenden Steuervergünstigungen. Allein 340 deutsche Unternehmen engagieren sich in Kaliningrad. Die Stadt beherbergt jetzt die größte Fischereiflotte Russlands. Die hochspezialisierte Jantar-Werft baut unter anderem Fregatten für die indische Marine. Daneben gehören die chemische Industrie, der Maschinenbau, die Möbelindustrie und die Bernsteinindustrie (die größte der Welt) zu den bedeutendsten Wirtschaftsbereichen.

Partnerschaften 

1990 kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen der Lloyd-Werft in Bremerhaven, dem fischverarbeitenden Unternehmen "Flamingo Fisch" und der "Reftransflot Kaliningrad". Ein russisches Fabrikfangschiff wurde umgebaut, und die Kosten wurden in Fisch "bezahlt". Aus dieser ungewöhnlichen Kooperation und weiteren Wirtschaftsprojekten erwuchs schließlich die Städtepartnerschaft zwischen Kaliningrad und Bremerhaven, die am 24. April 1992 offiziell geschlossen wurde.

Zu einem der Projekte im Rahmen dieser Städtepartnerschaft gehörte die Unterstützung, die der berühmte Kaliningrader Zoo durch den Bremerhavener "Zoo am Meer" erhielt. Dreieinhalb Jahre lang fuhr der damalige Direktor Rüdiger Wandrey – später Leiter des Zoos in Wingst – nach Kaliningrad, um die dortigen Tierpfleger in Seewasseraquaristik auszubilden und Kaliningrader Tierpfleger an der Unterweser fortzubilden. Wandrey gerät noch heute ins Schwärmen, was die angenehmen menschlichen Beziehungen betrifft, die er in dieser Zeit erleben durfte.

Ringen um Identität 

Kaliningrad hat lange gebraucht, um zu einer eigenen Identität zu finden. Der Grund dafür lag vor allem darin, dass man das historische Erbe der großen Stadt Königsberg lange Zeit nicht antreten wollte. Nur ganz wenige erhaltene Baudenkmäler wurden wieder aufgebaut oder rekonstruiert. Ganz anders etwa als in Danzig oder Breslau. Dort gab es bekanntlich durchaus Bezüge zur polnischen Geschichte. In Königsberg aber gab es keine Bezüge zu Russland. Selbst der Namensgeber Kalinin, Staatspräsident der Sowjetunion, hatte keinerlei Bezüge zur Stadt.

Und doch: Die Aneignung der Königsberger Geschichte begann zunächst mit Immanuel Kant, der zeit seines Lebens dort arbeitete und an der "Albertina", der Königsberger Universität, lehrte. Das am alten Dom errichtete große Grabmal wurde mit Spenden der aus Ostpreußen stammenden Gräfin Dönhoff wieder errichtet. Im Hauptgebäude der Universität im Süden des Stadtzentrums wurde eine Replik des im Kriege verschollenen Denkmals aufgestellt. Heute steht das Denkmal Schillers vor dem Kaliningrader Theater und das Denkmal des Gründers der Universität Herzog Albrecht am Dom. Doch die Universität selbst trägt nun den Namen Immanuel Kants.

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