Die ARD veröffentlichte am 23. Januar auf ihrer Webseite den Radiokommentar "Leider eine vertane Chance" der Korrespondentin des Hessischen Rundfunks (HR) in Jerusalem Sabine Müller als Text und Podcast. Müller bezeichnete die Art und Weise, wie Israel und Russland an diesem Tag der Opfer des Holocaust und der Leningrader Blockade gedachten, als "unwürdig". Die Veranstaltung zur Einweihung eines Denkmals nannte sie "politische und erinnerungspolitische Privatparty", in den Reden des russischen Präsidenten entdeckte sie zudem "verbale Attacken gegen Polen".
RT Deutsch kommentierte den ARD-Beitrag in zwei Meinungsartikeln. Im Artikel von Andreas Richter wurden die Anmaßung und der Hochmut der Autorin kritisiert. Online-Redakteur Wladislaw Sankin sah sich alle Politiker-Auftritte des Tages an, um vor allem die Bestätigung dafür zu finden, dass Wladimir Putin am Gedenktag Polen angegriffen hat. Er fand das Gegenteil davon – Putin gedachte neben der jüdischen auch der Millionen polnischer Opfer im Krieg, und zwar als Einziger an diesem Tag. Infolgedessen warf der RT-Deutsch-Autor dem öffentlich-rechtlichen Sender die Verbreitung von Fake News vor.
RT Deutsch wandte sich an die zuständige Redaktion des Hessischen Rundfunks, bot dem Sender die Gelegenheit zu einer Gegendarstellung und stellte deren Veröffentlichung in Aussicht. Inzwischen haben wir eine Stellungnahme erhalten. Wir dokumentieren sie im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir gerne wie folgt beantworten.
Der Hessische Rundfunk weist die teilweise überzogene Kritik am Kommentar der Korrespondentin Sabine Müller zurück.
Der Kommentar gibt die persönliche Einschätzung der Autorin wieder. Er ist eine Meinungsäußerung, die von der Pressefreiheit garantiert ist. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig ihr der "Kampf gegen den grassierenden weltweiten Antisemitismus" ist und hat auch die Veranstaltung, über die sie berichtet hat, entsprechend gewürdigt: "Ja, vieles war würdig und überzeugend."
Leider wird unsere Korrespondentin in der Berichterstattung vielfach nicht korrekt zitiert. Die Autorin kritisiert, dass "Israel und Russland diesen Gedenktag teilweise kaperten". An dieser Stelle hätte eine präzisere Formulierung möglicherweise Missverständnisse vermieden. Ihre Kritik richtet sich nicht gegen die Staaten Israel und Russland als Ganze, sondern gegen das konkrete Verhalten zweier Regierungspolitiker, Israels Regierungschef Netanjahu und Russlands Präsident Putin.
Wenn der Kommentar an diesem besonderen Gedenktag Gefühle verletzt hat, bedauern wir dies ausdrücklich. Allerdings wollen wir noch einmal betonen, dass dieser Beitrag von der Autorin ein Kommentar war – in dem sie ihre persönliche Einschätzung und Meinung äußert. Bitte haben Sie daher Verständnis dafür, dass wir nicht in eine weitere inhaltliche Diskussion um einzelne Abschnitte des Kommentars gehen können.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Hessischer Rundfunk
Was ist mit Putins Attacken?
Auf jeden Fall bleibt festzuhalten: Es ist erfreulich, dass der öffentlich-rechtliche Sender die mediale Kritik offenbar ernst nimmt und sich – so scheint es – um deren Klärung bemüht. Dennoch, die Fragen bleiben. Zur Erinnerung: Im Artikel, den die zuständigen Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks offensichtlich gelesen haben, schrieb der RT-Redakteur:
Sollte die ARD auf unsere Anfrage hin doch Belege für "Verbalattacken gegen Polen" bei den öffentlichen Auftritten Wladimir Putins am 23. Januar in Jerusalem finden, werden wir diese Gegendarstellung unverzüglich publik machen.
Belege für die Behauptung – zugespitzt formuliert –, Putin habe, statt würdig der Opfer zu gedenken, die große Bühne für verbale Attacken gegen Polen genutzt, legte der Sender nicht vor. Damit hat er den zugegebenermaßen scharfen Vorwurf der Fake News nicht entkräftet, denn dieser wurde von der Reaktion des HR lediglich als "teilweise überzogene Kritik" bezeichnet. Das ist die diplomatische Methode, sich aus der Affäre zu ziehen, wenn man Fehler stillschweigend zugibt.