Genscher hat dann in Tutzing auch gesagt, Deutschland kann nicht neutral bleiben. Das war die Reaktion auf die Forderung der Amerikaner. Genscher wurde dafür anschließend kritisiert, zum Beispiel von Hans-Jochen Vogel von der SPD, der meinte, Genscher hätte damit gegenüber Moskau die Chance auf die deutsche Einheit verspielt.
Der Rede schloss sich jedoch eine diplomatisch sehr aktive Zeit an. Genscher sprach wenige Tage danach mit Baker in Washington über diese Rede. Daraufhin hat sich dann Baker bereit erklärt, für dieses Konzept - Deutschland in der Nato, aber keine weitere Ausdehnung nach Osten - einzutreten. Damit ist Baker nach Moskau gefahren. Vorher hatte er sich noch mit dem französischen Außenminister Dumas und dem britischen Außenminister Hurt abgesprochen.
Heutzutage will das niemand mehr wahrhaben, aber es gibt eine ganze Reihe Gesprächsnotizen aus den Gesprächen westlicher Führer mit Gorbatschow damals, in denen westliche Führer, wie zum Beispiel Mitterrand (Francois Mitterrand, von 1981 bis 1995 französischer Staatspräsident, Anm. d. Red.) die Zusage zu keiner weiteren Osterweiterung als richtig anerkannt haben. Dass die Amerikaner sich dann später entschlossen haben, sich von dieser Zusage und diesem Brief zu distanzieren, ist etwas, das der Entwicklung der amerikanischen Außenpolitik ab etwa 1996 zuzurechnen ist.
Frank Elbe (78) war von 1987 bis 1992 Bürochef und Redenschreiber des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher.
Der Diplomat war später langjähriger deutscher Botschafter in Indien (1993–1997), Japan (1997–1999), Polen (1999–2003) und der Schweiz (2003–2005).
Das Interview mit Frank Elbe zum Nachhören:
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