Die Umschreibung hatte bereits begonnen, als die Verbrechen sowjetischer Soldaten, die an der deutschen Zivilbevölkerung begangen wurden, als die Verbringung von deutschen Kulturgütern in die Sowjetunion, als die rigiden Reparationen, die die Sowjetunion ihrer Besatzungszone aufbürdete, als all das immer wieder dargestellt wurde und wird als seien es beziehungslose Solitärereignisse, die aus einer bösartigen Natur der Sowjetunion/Russlands und sowjetischer/russischer Menschen herrührten, die sich vollkommen grund- und anlasslos über deutsche Frauen, deutsche Männer und deutsche Kunstsammlungen hermachten, ganz so als hätte es Operation Barbarossa, Kommissarbefehl, Barbi Jar, Leningrader Blockade, Stalingrad, Plünderung und Zerstörung sowjetischer Museen und Kulturgüter oder als hätte es den Befehl der „verbrannten Erde“ nie gegeben.
Die Umschreibung hatte schon begonnen, als in der westlichen Darstellung des zweiten Weltkrieges das polnische Katyn wichtiger wurde als das belorussische Chatyn, als die Geheimrede von Nikita Chrustschow auf dem XX. KPdSU-Parteitag 1956 wichtiger wurde als die Geheimrede von Heinrich Himmler auf der Reichs- und Gauleitertagung in Posen 1943, als Lawrenti Berija und der NKWD wichtiger wurden als Reinhard Gehlen und der BND.
Die Umschreibung der Geschichte hatte begonnen, als die Sowjetunion, als die Errichtung sozialistischer Staaten in Osteuropa mit Nazi-Deutschland, als die Nazi-Bewegung und die Kommunistische Bewegung gleichgesetzt wurden, natürlich mit dem Wort Diktatur belegt, während umgekehrt die schmerzbefreite Wiedereinreihung schlimmster Nazi-Verbrecher und –Kollaborateure in westliche Staatsapparate nur deshalb als „Aufbau der Demokratie“ durchging, weil Alt-Nazis und neue Demokraten in einem Punkt einig waren, in ihrer fanatischen antikommunistischen und antisowjetischen Grundhaltung. Hitlers Hauptziel war bekanntlich immer der jüdisch-bolschewistische Untermensch im Osten.
Die Umschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges war schon in vollem Gange, als die großangelegten Feierlichkeiten zum 75-Jahrestag der heldenhaften Landung tausender Soldaten der Westalliierten in der Normandie in der Berichterstattung vor allem auch in Deutschland in einem Tonfall dargestellt wurden, als wäre diese – ich möchte es ausdrücklich noch einmal betonen, weil es schlicht den Tatsachen entspricht – als wäre diese beispiellose logistische Meisterleistung und Heldentat, die mit einem hohen Blutzoll tausender Soldaten bezahlt wurde, deren Opfer zu Recht nicht hoch genug gewürdigt und gedacht werden sollte, als wäre aber der D-Day das zentrale Ereignis des Zweiten Weltkrieges gewesen, während die Rote Armee sich bis zum 6. Juni 1944 in den Schützengräben der „Ostfront“ die Zeit mit Kartenspielen vertrieben hätte, obwohl die sowjetischen Truppen bis zu diesem Zeitpunkt zwei Drittel der Wehrmacht und ihrer Verbündeten gebunden hatten.
Die Umschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges hatte begonnen, als über die großangelegten Feierlichkeiten zum 74. „Tag des Sieges“, am 9. Mai 2019 in Moskau, im Westen despektierlich mit Überschriften wie „Wann endet der Sieges-Wahn?“ berichtet wurde und natürlich die Militärparade auf dem Roten Platz nur „Putins Großmachtstreben“ dokumentierte.
Mittlerweile ist bei der Umschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges die Phase eingetreten, in der ganz offen versucht wird, der Sowjetunion eine gleichrangige Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zuzuschreiben und die Last und Leistungen, die das sowjetische Volk bei der Bekämpfung und Niederschlagung der Nazi-Barbarei getragen und erbracht hat, als eine Art Petitesse und die Empörung in Russland über dieses Klein- und Umschreiben als „Putins ausufernder russischer Nationalismus“ diffamiert wird.
Die ARD-Kommentatorin meinte unter anderem auch:
„Und es sind Zweifel angebracht, ob aus dem Erinnern an diesem Tag und an denen, die in den nächsten Tagen noch folgen, ob aus all den nochmal erzählten herzzerreißenden Schicksalen der Toten und Überlebenden, ob daraus tatsächlich konkrete Schritte folgen, mit denen der grassierende weltweite Antisemitismus zurückgedrängt werden kann.“
Diesen Zweifeln kann abgeholfen werden, denn Moshe Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), der die Gedenkveranstaltung in Yad Vashem organisierte, berichtete in seiner Rede von fünf Beispielen aus Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien und Russland, wo die Regierungen Gesetze erließen, die den Kampf gegen Antisemitismus stärken sollen. Kantor erwähnte dabei Russland als das Land mit den „wahrscheinlich niedrigsten Fallzahlen von Antisemitismus“, wo „aufgrund einer sehr kompromisslosen, langfristigen Antisemitismuspolitik…antisemitische Vorfälle…mit maximaler Schwere behandelt“ werden und damit „Antisemitismus in der Öffentlichkeit praktisch beseitigt“ sei.
Aber, wir ahnen es und können es auch in diversen Medien dieser Tage lesen, Moshe Kantor ist suspekt. Denn der 1953 in Moskau geborene Oligarch gilt als Vertrauter und Berater von Wladimir Putin, und natürlich war die Einladung des russischen Präsidenten nach Yad Vashem, inklusive Rede eine üble Verschwörung gegen Polen, dessen Präsidenten angeblich oder tatsächlich durch Moshe Kantor ein Rederecht in Yad Vashem verweigert wurde, weshalb der polnische Präsident und andere behaupteten, Putin würde diese Rede zur Verunglimpfung Polens nutzen. Wie war das noch mit den verbalen Attacken?
* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.