Die sogenannte Wehrverfassung im Grundgesetz stehe Auslandseinsätzen der Bundeswehr „prinzipiell im Wege“, erklärt der Völkerrechtler Gregor Schirmer in dem Politikmagazin. Er erinnert daran, dass laut Grundgesetz die Bundeswehr nur dann zu anderen Aufgaben als der Verteidigung eingesetzt werden dürfe, wenn es um inneren Notstand und Katastrophenhilfe gehe. Bis 1990 hat sich noch jede Bundesregierung an diese Vorgaben gehalten und selbst anderslautende Wünsche wie aus den USA abgewiesen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges habe sich das geändert, stellt Schirmer fest.
„Das Bundesverfassungsgericht erwies sich leider als williger Helfer bei der Beschaffung zweifelhafter Rechtsgrundlagen und juristischer Freiräume für Auslandseinsätze, ohne den Verfassungstext zu ändern.“
Das sei bereits mit dem Karlsruher Urteil von 1994 deutlich geworden. Darin war erklärt worden, Bundeswehreinsätze im Ausland seien „im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ verfassungskonform.
Das Bundesverfassungsgericht fügte nur hinzu, dass solche Einsätze nur möglich seien, wenn der Bundestag vorher zustimmt. Damit sei die Bundeswehr zur vielgerühmten „Parlamentsarmee“ geworden, so Schirmer. Karlsruhe habe gleichzeitig noch den Auftrag der Nato von dem der Verteidigung zu dem „kollektiver Sicherheit“ umformuliert. Dabei sei das deutsche Verfassungsgericht „nicht berechtigt, den Status der Nato zu verändern“.
Aber nur so kann die Bundeswehr auch im Nato-Auftrag weltweit agieren. Das tut sie derzeit mit etwa 3.300 Soldatinnen und Soldaten an 16 laufenden Auslandseinsätzen. Mehr als 25 sind nach Schirmers Angaben seit 1992 bereits abgeschlossen. Dabei seien bisher 110 Bundeswehrangehörige ums Leben gekommen. „Der Bundestag hat bisher allen von der Regierung beantragten Einsatzbeschlüssen mit jeweils überwältigender Mehrheit zugestimmt“, erinnert der Völkerrechtler.
Er erinnert auch daran, dass es um nicht weniger als die Frage von Krieg und Frieden geht. Seine Sicht formuliert er so:
„Deutschland kann und sollte seine oft beschworene stärkere Verantwortung für den Frieden wirksam mit seinen enormen zivilen Mitteln nachkommen. Die verfassungsrechtliche Absegnung der Einsätze der Bundeswehr durch das Urteil war eine der politisch schwerwiegendsten Fehlentscheidungen und eine eklatante Missachtung des Grundgesetzes und damit des Willens des Volkes.“
Schirmer widerspricht dem Etikett „Parlamentsarmee“ für die Bundeswehr. Das sei diese „schon deshalb nicht geworden, weil nach den jeweils gefassten Einsatzbeschlüssen das Parlament und sein Präsident faktisch nichts mehr zu bestimmen haben. Die Kommandogewalt über die Streitkräfte bleibt auch während des Auslandseinsatzes bei der Exekutive, beim Verteidigungsminister, im ‚Verteidigungsfall‘ beim Bundeskanzler, bei der Generalität und Militärbürokratie.“
Der Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2005 über ein Gesetz zur parlamentarischen Beteiligung bei Entscheidungen über Militäreinsätze reduziere diese noch, so Schirmer. Die erfolge nur in der Form, dass von der Regierung vorbereitete Einsatzanträge abgesegnet oder abgelehnt werden können. „Änderungen des Antrags sind nicht zulässig“, zitiert er au dem Gesetz. Dieses lasse Möglichkeiten offen, den Parlamentsvorbehalt zu umgehen, zum Beispiel bei „Gefahr im Verzug“.
Schirmer hält es wie Paech für notwendig, „die rechtlichen Positionen des Parlaments gegenüber der Bundeswehr zu verstärken“. Das sei notwendig, um Versuche abzuwehren, den Parlamentsvorbehalt weiter aufzuweichen. Zudem reiche es nicht aus, dass der Bundestag wie bisher nur über den Verlauf der Einsätze unterrichtet werde. Die gesetzliche Möglichkeit, dass das Parlament die Bundeswehr aus einem Einsatz zurückruft, sei bisher noch nicht genutzt worden.
„Das Mitreden und Mitentscheiden des Bundestages ist den Einsatzwütigen unter den Militärs lästig.“ Diese von Schirmer beschriebene Haltung scheint in dem Beitrag durch, den der Ex-Bundeswehr-General Ulf von Krause im Heft zum Thema beisteuert. Der Parlamentsvorbehalt für die Bundeswehr behindere diese bei der Zusammenarbeit mit anderen Armeen zum Beispiel innerhalb der Europäischen Union (EU), bedauert der Ex-Offizier.
Er beschreibt nicht nur, wie die Bundesregierungen bis 1989 am Verteidigungsauftrag der Bundeswehr festhielt. „Nach Herstellung der deutschen Einheit erfolgte eine allmähliche Aufweichung dieser Position“, bestätigt von Krause. Das sei mit vorsichtigen und politisch „geschönten“ Schritten geschehen, so beim Minenräumen am Golf und dem Sanitätseinsatz im Kambodscha in den 1990er Jahren. Er schreibt auch von der „Legende vom humanitären Einsatz“ in Somalia in der Zeit.
Für den Ex-General ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 ein Akt „kühner Interpretation des Grundgesetzes“. In seinem Beitrag vergleicht er die Situation in anderen europäischen Land mit der der Bundeswehr. Meist gebe es keine Parlamentsbeteiligung, und wenn, dann nur in Ausnahmefällen. „Damit nimmt Deutschland eine Sonderrolle ein, wobei der Parlamentsvorbehalt ein Kooperationshindernis darstellt.“ Das würden Partner in der EU kritisch einschätzen.
Anders als der Ex-General von Krause fordern die beiden Völkerrechtler Schirmer und Paech mehr parlamentarische Mitspracherechte, wenn es darum geht, die Bundeswehr im Ausland einzusetzen. „Keine Völkerrechtsnorm verpflichtet einen Staat, seine Streitkräfte zu irgendeiner Mission ins Ausland zu schicken“stellt Schirmer klar. „Die Bundeswehr ist, schon aus historischen Gründen, Zuhause am besten aufgehoben.“
Weitere Beiträge zum Thema in der aktuellen „WeltTrends“-Ausgabe beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Politik und Militär in Frankreich sowie in Kolumbien und Südkorea.
*Terrororganisation, in Deutschland und Russland verboten.