Im Jahr 2011 beschrieb COMPACT-Autor Manuel Ochsenreiter (unter dem Pseudonym Andrea Ricci) das Nachtleben in Beirut und besuchte dafür auch die Hisbollah-Viertel. Angesichts der gegenwärtigen Zerstörung der libanesischen Hauptstadt durch israelische Bomben und Raketen – der israelische Außenminister freute sich heute: «Beirut steht in Flammen» – wollen wir an die einst pulsierende Metropole erinnern. Wir gedenken aller Opfer – mögen sie in Frieden ruhen.
_ von Manuel Ochsenreiter
Beirut braucht uns. Die libanesische Hauptstadt, die Perle der Zedernrepublik ist in Gefahr. Nein, nicht Bombenbauer und Milizen bedrohen es in diesen Tagen, sondern eine spezielle Sorte Tourismus. Dem Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel kann der post-moderne Wandel der einst so schönen, stolzen Levante-Stadt in ein rosa Eldorado gar nicht schnell genug gehen. Im letzten Jahr gab es daher jede Menge Partytipps unter der Überschrift «Willkommen in Arabiens schwuler Party-Metropole!»
Und gleichzeitig beginnen die saudischen Snobs aus der Wüste, eine Kneipe nach der anderen in Beirut ihren noblen Bedürfnissen anzupassen. Während sie zu Hause in Riad brav gen Mekka beten, lassen sie in Beirut zu literweise Luxuswodka in sogenannten Supernightclubs und Nobelbars, die allerorten aus dem Boden schießen, die Sau raus – Allah schaut dabei hoffentlich weg.
Daher: Beirut braucht uns. Unbedingt. Besucher, die die Stadt so zu nehmen wissen, wie sie ist: bunt, chaotisch, im besten Sinne multikulturell – aber ohne Claudia Roth! von quietsch-reaktionär bis faustgeballt-revolutionär. Hauptsache: Widerstand! Und die schönsten Orte der Stadt stehen nicht unbedingt in jedem dahergelaufenen Reiseführer. Doch die Leser von COMPACT wissen in Zukunft mehr, anbei also die aufregendsten Tipps für ein verlängertes Beirut-Wochenende, bei dem man garantiert dem westlich-schwülen Ringelpiez und Rolex-tragenden Wüstensöhnen entwischt.
Erinnerung an den Bürgerkrieg im Beiruter Stadtteil Gemmayze: Stilleben mit Katze und Einschusslöchern. Foto: O.R. Tonesque
St. George’s Yacht Club & Marina: Die Traditionslocation existiert seit 1930. Heute ist der Club so etwas, wie das letzte gallische Dorf von Asterix und Obelix. Denn er leistet Widerstand gegen das Mammutbauunternehmen Solidere der Präsidentenfamilie, des Hariri-Clans, welches seit seiner Gründung Mitte der 1990er Jahre Downtown-Beirut in eine Zuckerbäcker-Luxus-Stadt für die oberen Zehntausend ausbaut. Das Hariri-Unternehmen will seit langem auch St. George’s nebst Traditionshotel aufkaufen und umbauen – doch der Eigentümer leistet erbitterten Widerstand. An den Häuserwänden hängen daher gigantische «Stop Solidere»-Plakate, die Angestellten des Clubs tragen T-Shirts mit der Parole.
Wer also im Kampf David gegen Goliath mit ein paar Cocktails den Mann mit der Steinschleuder unterstützen möchte, ist im St. George Yacht Club & Marina goldrichtig. Für etwa 15 Dollar Eintritt kann man im Flair alter Zeiten sonnenbaden. Liz Taylor und Richard Burton süffelten hier bereits Long-drinks, und Omar Sharif flanierte im Sonnenuntergang. Insgesamt sind die Preise moderat, der Club ist sehr sauber und gleich mehrere Salzwasserpools laden zum Schwimmen ein. Serviert wird nicht nur landestypisches Fingerfood, sondern auf Wunsch auch Wasserpfeife und Arak. Und die Aussicht ist einmalig. Denn der Blick in Richtung Stadt zeigt eine Skyline, die sich noch immer nicht vom Bürgerkrieg gänzlich erholt hat. Der morbide Charme dieses kleinen Paradieses ist unvergleichlich. Der Club hat täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet und ist zentral im Innenstadtbereich gelegen.
Gemmayze: Schritttempo jede Nacht. Wer den Fehler macht, direkt mit dem Auto in die Kneipenstraße Gemmayze im Bezirk Ashrafieh zu fahren, wird ihn lange bereuen. So lange, bis er es endlich an einem der kostenpflichtigen Parkplätze abstellen konnte. Denn die Straße brummt – zum Leidwesen vieler Anwohner. Es lohnt sich jedenfalls ein Fußmarsch durch die überfüllte Straße, an der von Checkpoint zu Checkpoint gelangweilte libanesische Militärpolizisten mit Waffen herumstehen und Späßchen machen. Man sollte vor allem auf die Akustik achten. Denn wenn Jürgen Drews der «König von Mallorca» ist, dann ist Dieter Bohlen der «Fürst von Gemmayze» – nur weiß er es (noch) nicht.
Solide deutsche Popmusik aus den 1980er Jahren hat hier Hochkonjunktur. Aus den offenen Kneipentüren schallen einem Modern Talking, Peter Schilling und Nena entgegen – dazwischen immer wieder orientalischer Pop. Eine große Ü-30 Party! Doch man sollte sich beeilen. Denn die geschäftstüchtige Straße weckt Begehrlichkeiten bei den Heuschrecken aus Dubai mit ihren Petrodollars. Die altehrwürdigen, etwas heruntergekommenen Häuser werden nach und nach «saniert», was oft bedeutet: abreißen und neu bauen. So verliert Gemmayze nach und nach ein Stück Seele. Wer Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg noch aus der Zeit nach der Wende kennt, weiß, was das zu bedeuten hat. Wer also den alten Charme mit Deutschpop noch einmal genießen möchte, sollte sich am Abend ins Getümmel stürzen.
Hamra: Vor dem Bürgerkrieg, der 1975 ausbrach, galt die Hamra-Straße als «Champs Elysées» von Beirut. Davon ist – mit Verlaub – heute nicht mehr allzu viel übrig. Die stets staubelastete Straße selbst strotzt nur so von Klamotten- und Schmuckgeschäften. Wer sich dennoch nicht von westlichen Markenlabels ablenken lässt, dem offenbaren sich echte Schätze. Beispielsweise das kleine aber feine Uhren- und Schmuckgeschäft von Rani Kourani, einem Künstler der ganz besonderen Art. Denn Kourani und sein Bruder bauen Modelle aus den Patronenhülsen des Bürgerkrieges. Das Schaufenster steht voll mit kleinen Panzern, Raketenwerfern und Düsenjägern, alle liebevoll mit Lötzinn und Lack aus unzähligen Patronenhülsen verschiedener Kaliber montiert – und teilweise sogar beweglich. Und dabei nicht einmal teuer: Bereits für 80 Dollar (Verhandlungsbasis) kann man einen kleinen, goldenen Patronen-Panzer erstehen. Allerdings dürfte die Einfuhr nach Deutschland nicht ganz einfach sein. Kleiner Tipp: Auf keinen Fall ins Handgepäck nehmen. Wer also ein schönes Beirut-Mitbringsel für die liebe Grünen-Ortsgruppe zu Hause sucht, ist bei Rani Kourani im richtigen Laden!
Mleeta: Doch man kann nicht nur den ganzen Tag durch Strandclubs und Shoppingmeilen tingeln. Der anspruchsvolle Widerstandstourist von heute sollte unbedingt einen Nachmittag für einen Ausflug nach Mleeta, etwa eine Stunde südlich von Beirut gelegen, einplanen. Denn dort entsteht derzeit ein wohl weltweit einmaliges Museum – das Widerstandsmuseum der Hisbollah. Im Mai 2010 eröffnete die sensationelle Kriegsschau, und bereits in den ersten zehn Tagen besuchten nach Angaben der Betreiber etwa 130.000 Menschen das Gelände, welches auf einer Bergspitze thront. Bei gutem Wetter sieht man bis zu den Golanhöhen. Der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat große Pläne mit dem Widerstandsmuseum. «Wir hoffen, dass das touristische Dschihad-Zentrum ein erster Schritt ist, die Geschichte unseres heroischen Widerstandes zu präsentieren!» In einer großen künstlerischen Installation kann man erbeutetes israelisches Gerät bestaunen, die Waffen des Widerstandes werden präsentiert und — der Höhepunkt! — man kann eine Tour durch eine Hisbollah-Partisanenstellung im Berg machen. Und auch hier kann man an die Lieben daheim denken: Denn im Museum gibt es selbstverständlich einen Hisbollah-Fanshop, in dem man für kleines Geld große Freude erstehen kann.
Von der Nasrallah-Kaffeetasse, Hisbollah-Fahnen, Schlüsselanhängern, Aufklebern bis zu Kinder-Spielzeuggewehren aus Plastik in Hisbollah-Verpackung ist alles zu haben. Ein Besuch lohnt sich! Und das Gelände soll noch weiter ausgebaut werden. Hotels und Swimmingpools sind geplant, sogar eine Seilbahn soll in einigen Jahren auf den Widerstandsberg führen. Nach Mleeta kommt man von Beirut aus bequem mit dem Taxi. Aber Achtung: Den Preis unbedingt vorher aushandeln!
Guns ’n Buns: Wer nach seinem Mleeta-Besuch noch ordentlich in Resistance-Wallung ist, für den ist der Schnellimbiss Guns ’n Buns genau das Richtige. Auch hier: Einfach einen Taxifahrer fragen. Denn das Lokal liegt mit-ten in Südbeirut, einer «von der Hisbollah kontrollierten Gegend», wie deutsche Medien gerne unheilschwanger schreiben. Das ganze Restaurant sieht aus wie ein Checkpoint, überall stehen Sandsäcke und Granaten-Attrappen (hoffentlich nur Attrappen!) herum, Tarnnetze hängen kreuz und quer im Raum. Aus den Lautsprechern sind Schüsse zu hören.
Alle Speisen tragen die Namen von Waffen, man kann Kalaschnikow mit Dragunov zu sich nehmen. «A sandwich can kill you» ist das etwas bizarre Motto des Fastfood-Restaurants. Doch wie ist das gemeint? Der Besitzer sagte mal in einem Interview mit dem Hisbollahnahem Fernsehsender Al Manar, die Sandwiches seien so groß, dass sie dem Kunden gefährlich werden könnten. Ach so. Heute muss man wieder etwas nach diesem Lokal suchen. Denn es hat den Ort mittlerweile gewechselt. Da die gastronomische Aufsicht in Beirut nicht ganz mit der von Hannover oder Bielefeld vergleichbar ist, findet man das Guns ’n Buns in keinem Telefonbuch. Daher: Durchfragen ist angesagt. Ach ja, und die Kamera mit Teleobjektiv besser tief in der Tasche lassen. Denn in Südbeirut mag man Fotografen nicht allzu gerne — und wer will schon als «zionistischer Agent» verdächtigt werden?