Wie verpackt man diese Erkenntnisse nun in ein offizielles Gutachten des Bundestages, ohne politisch zu sehr dem westlichen Narrativ zu widersprechen? Beim Wissenschaftlichen Dienst klingt das so:
„Seit fünf Jahren bekämpfen sich ukrainische Streitkräfte und pro-russische Separatisten im Donbass/Donezbecken. Der Territorialkonflikt weist klassische Züge eines nicht-internationalen (internen) bewaffneten Konflikts auf. Über Umfang, Qualität und Ausmaß der militärischen Involvierung Russlands im Ukraine-Konflikt gibt es neben wenigen belastbaren Fakten und Analysen vor allem zahlreiche Spekulationen, zum Teil widersprüchliche Berichte und Pressemeldungen, verschiedene Dementi, aber insgesamt kein eindeutiges Lagebild.“
Anschließend folgt im Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes der entscheidende Satz:
„Auch der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben offenbar keine belastbaren Erkenntnisse vor.“
Tatsächlich achtet die Bundesregierung bei ihren Formulierungen darauf, Russland nicht als direkten Kriegsteilnehmer zu bezeichnen. Auch ist Russland weder im Minsker Abkommen noch bei den Normandie-Gesprächen als unmittelbare Konfliktpartei aufgeführt.
Die Behauptung, dass die Volksrepubliken in Lugansk und Donezk von Russland gesteuert werden, unterstützt der Wissenschaftliche Dienst ebenfalls nicht:
„Die Frage, ob pro-russische Separatisten in der Donbass-Region derzeit von Moskau aus kontrolliert und gesteuert werden, oder ob sich noch reguläre russische Truppen auf ukrainischem Territorium aufhalten, lässt sich ohne belastbares Faktenmaterial – insbesondere ohne entsprechende Geheimdienstinformationen – nicht zuverlässig beantworten.“
Ukrainische und transatlantische Kommentatoren und Politiker verwehren sich auch meist erzürnt gegen den Begriff „Bürgerkrieg“ in Bezug auf die Ukraine. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellt allerdings gleich im ersten Satz seiner Analyse fest, dass es sich um einen „Territorialkonflikt Donbass / Ost-Ukraine“ handelt. Weitere Formulierungen sind „nicht-internationaler (interner) bewaffneter Konflikt“ oder eben auch der Terminus „Bürgerkrieg“.
Im Mai 2019 hat der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret erlassen, dass es Ukrainern aus den Regionen Lugansk und Donezk ermöglicht, in einem vereinfachten Verfahren binnen drei Monaten russische Staatsbürger zu werden. Auch hierin sieht der Wissenschaftliche Dienst keinen eindeutigen Verstoß gegen das Völkerrecht. So heißt es in dem Gutachten:
„Die Frage, ob und wann eine extraterritoriale Politik der Masseneinbürgerung von ausländischen Staatsangehörigen gegen das Interventionsverbot des ausländischen Staates verstößt, ist völkerrechtlich ausgesprochen umstritten … Für die rechtliche Bewertung gilt es indes, im Einzelfall das Spannungsfeld zwischen dem Recht der Betroffenen, sich für die Zugehörigkeit zu einem Staat frei entscheiden zu können, ferner den Interessen des ‚Heimatstaates‘, dessen Staatsangehörige ‚abgeworben‘ werden sollen, sowie drittens der extraterritorialen Jurisdiktionsbefugnis und den Interessen des Drittstaates, der die Einbürgerungspolitik nicht zuletzt aus kulturellen oder humanitären Gründen betreiben kann, in einen gerechten Ausgleich zu bringen.“
Es ist kein Geheimnis, dass Russland die selbsternannten Volksrepubliken offiziell humanitär unterstützt. So stellt auch der Wissenschaftliche Dienst fest, dass dies wegen der ukrainischen Handelsblockade lebensnotwendig für die Volksrepubliken ist:
„Moskau leistet wirtschaftliche und humanitäre Hilfe und Unterstützung beim Aufbau der Staatlichkeit in den von pro-russischen Separatisten kontrollierten, aber international nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk, die infolge einer ukrainischen Handelsblockade vollständig darauf angewiesen sind, Rohstoffe aus Russland zu beziehen und eigene Produkte dorthin zu liefern.“
Abschließend verweist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages darauf, dass die Frage der russischen Involvierung in den Ukraine-Konflikt Gegenstand eines vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anhängigen Verfahrens zwischen der Ukraine und Russland ist, dem dieser Bericht nicht vorgreifen will. Der Wissenschaftliche Dienst schätzt den Ausgang des Verfahrens „als ungewiss“ ein.
Auch wenn sich der Wissenschaftliche Dienst in seiner Quellenauswahl neben wissenschaftlichen Einrichtungen vorwiegend auf deutsche Mainstreammedien bezieht, so bemüht er sich doch erkennbar, sich an Fakten zu halten und einseitige Interpretationen zu unterlassen.